Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit (= Analysen und Dokumente; Bd. 31), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 463 S., 29 Abb., ISBN 978-3-525-35049-2, EUR 31,90
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Mit der Geschichte der Akademie der Künste der DDR zwischen 1950 und 1989/90 lenkt der Berliner Literaturwissenschaftler Matthias Braun, der schon des Öfteren mit Studien zur DDR-Kultur hervorgetreten ist, den Blick auf eine herausragende Kulturinstitution dieses einstigen deutschen Teilstaates. Die DDR-Akademie, in Anlehnung an die renommierte "Preußische Akademie der Künste" 1950 als "Deutsche Akademie der Künste" (DAK) gegründet, büßte ihren gesamtdeutschen Anspruch spätestens 1974 ein, als sie sich in "Akademie der Künste der DDR" (AdK) umbenannte, bevor sie 1990 zur "Akademie der Künste zu Berlin" mutierte und 1993 mit der Westberliner Parallelinstitution verschmolzen wurde. Weit kurzlebiger noch als der gesamtdeutsche Anspruch war der Gründungsanspruch auf eine "beratende Funktion", wenn nicht auf die Rolle als "höchste Institution" in der DDR-Kulturpolitik (20) - eine Illusion, die bereits durch die stalinistische Kulturpolitik ab 1951 ad absurdum geführt wurde. Die SED-Führung wünschte sich die Akademie stattdessen als folgsames "Regulierungsorgan" (20), zu dem sie durch SED-Kaderpolitik und MfS-Durchdringung zielstrebig ausgebaut wurde. Zugleich aber, so Braun, behielt die Akademie jahrzehntelang eine "Integrationsfunktion" auch für nicht konforme Künstler, die darüber "in das Herrschaftsgefüge" der SED eingebunden werden sollten (19). Die aus dieser Doppelfunktion resultierenden Spannungen verweisen auf die Braun interessierenden Bemühungen der Akademie, sich "innerhalb der vom SED-Regime geprägten Gesellschaft und von den Akademiemitgliedern grundsätzlich bejahten Politik Spielräume zu erkämpfen". Zugleich geht es um die kulturpolitische Relevanz der Institution und um die Rolle der Staatssicherheit bei ihrer Gleichschaltung (14).
Sind diese Fragen anregend, erweist sich der methodische Ansatz von Braun als sehr wenig systematisch. Die Grobgliederung des Buches orientiert sich an den Amtszeiten der Akademiepräsidenten, folgt damit immanenten und zugleich personalistischen Kriterien statt übergeordneten Periodisierungen. Selbst bei einem derart immanenten Ansatz hätte man organisationssoziologische Fragestellungen erwartet - zur Arbeit der Sektionen, zu deren Vernetzung mit politischen und kulturellen Subsystemen der DDR, zu internen Netzwerken, ihren Koalitionen oder Kollisionen. Doch nichts von alledem. Stattdessen unterliegt auch der Blick auf das politische System der DDR einer Engführung nicht nur auf die Führungsgremien der SED, sondern auch dort auf einige wenige herausgehobene Personen. Eine systematische Analyse des (sich womöglich verschiebenden) Stellenwerts der Akademie im politischen Gesamtsystem der DDR erfolgt nicht; der Leser erfährt fast nichts über institutionelle Konkurrenzen zwischen Akademie, SED-Führung, Bezirken, Ministerien oder Blockparteien.
Ein derart personenzentrierter Ansatz wäre zu rechtfertigen, wenn Brauns Akteuren überragende individuelle Bedeutung zu attestieren wäre. Doch daran fehlt es meistens. Nur wenige Akademiepräsidenten waren bedeutende Individuen - weshalb Braun Kantigkeit und zeitweilige Widersetzlichkeit fast nur bei Arnold Zweig, dem Gründungspräsidenten der Jahre 1950 bis 1953, und bei Konrad Wolf, der zwischen 1965 und 1982 amtierte, auszumachen vermag. Wohl versteht der Verfasser die Widersprüchlichkeit des "Multifunktionärs" Johannes R. Becher (91) zu beleuchten, doch schon die Relevanz Heiner Müllers geht in Brauns Reduktion auf dessen Rolle als "Abwicklungspräsident" (431) zwangsläufig unter, obschon die Wahl des international renommierten, aber von der SED nicht geliebten Dramatikers 1990 den Versuch einer Neulegitimation der AdK aus ihrer intellektuellen Potenz heraus signalisierte. Die übrigen Präsidenten sind derart blasse Figuren, dass sie Brauns personalistische Gliederung nachhaltig dementieren. Vom Nachfolger Wolfs, dem offenbar nur als "Brecht-Schüler" (373) bemerkenswerten Manfred Wekwerth, haben schon Zeitgenossen bemerkt, er sei "wesentlich 'leichter' gebaut, opportuner, biegbarer" gewesen. [1] Solche Urteile werden umso gewichtiger, stellt man in Rechnung, dass auch Wolf in Konfliktfällen allzu oft der Unterordnung unter die Parteidisziplin Priorität gab. Am ehesten wagte der Nichtkommunist Zweig grundsätzliche Kritik an der seinerzeitigen SED-Kulturpolitik, was 1952/53 seine vorzeitige Ablösung zur Folge hatte; doch auch Zweig wurde kritisiert, dass er in worthülsenhaften "Selbstschutz" ausweiche, "wenn es zu Fragen kommt, die uns hier bedrängen." [2]
Die Feingliederung der Kapitel erfolgt ebenfalls nicht nach systematischen Fragestellungen, sondern addiert Einzelfälle aus der jeweiligen Präsidentenära. Einige davon sind gewichtig - von der Debatte über den DEFA-Film "Das Beil von Wandsbek" über die Absetzung des Redakteurs Peter Huchel bis zur 1976 erfolgten Ausbürgerung Wolf Biermanns, die Braun treffend, wenn auch sprachlich holprig als "eine der wichtigsten politischen Zäsuren im politischen und kulturellen Leben der DDR" bewertet (260). Spielt die AdK in den meisten Fällen nur eine Nebenrolle, vermag Braun auch einige Schlüsselmomente der Institution herauszuarbeiten: Von der "Politbüroschelte" an der elitären "Oberhaus"-Struktur der AdK 1963 (173) über das renitente Wahlplenum von 1974 bis zur von Stefan Hermlin organisierten deutsch-deutschen "Berliner Begegnung" von 1981. Die Rolle der AdK im Schlüsseljahr 1989/90 wird hingegen allzu knapp und unzureichend beleuchtet; so findet der von AdK-Mitgliedern unternommene Versuch einer Neudefinition der DDR-Kulturpolitik keine Berücksichtigung.
Quellenmäßig basiert Brauns Studie auf Akten der AdK, der SED und der Staatssicherheit, ergänzt um DDR-Regierungsakten und Nachlässe einiger Akteure. Hinzu kommen elf "Zeitzeugengespräche", wobei sich diese Verbeugung vor der "oral history" besonders im Falle des Gründungsdirektors Rudolf Engel als lohnend erweist, denn dieser war zwar ein linientreuer, aber zugleich intelligenter und ironiefähiger Funktionär, wie nicht nur seine unvollständig gebliebenen Memoiren oder seine Kontakte zum Dissidenten Wolfgang Harich dokumentieren, sondern auch die angesichts des Entstehungszeitraums 1980/81 recht offenherzig anmutenden Interviews.
Brauns ansonsten breite Literaturbasis hätte um DDR-Tagebuchliteratur etwas erweitert werden dürfen: So finden sich bei Victor Klemperer Einzelheiten zur Ablösung Arnold Zweigs und zur Installation des Führungsduos Becher/Abusch 1952/53, und auch der spätere SED-Dissident Alfred Kantorowicz vermag Details zur Frühphase der Akademie zu liefern - so etwa den Hinweis, dass man einen Tag nach Beginn des Aufstands am 17. Juni 1953 "vom Ausmaß des Aufruhrs im gesamten Bereich der Republik" offenbar "erst in der Akademie" erfahren konnte, deren Direktor Engel übrigens mit den Sowjets bestens vernetzt war. [3]
Alles in allem hat Matthias Braun keine umfassende, methodisch elaborierte Analyse der Akademie der Künste der DDR vorgelegt, die man eigentlich erwartet hätte. Gleichwohl weckt sein Buch an vielen Stellen Interesse. Eine Zusammenfassung seiner Ergebnisse erspart sich leider auch dieser Autor. So bleibt denn der Leser auf den Abgesang verwiesen, den Braun seinem Gegenstand angesichts des Zusammenbruchs des SED-Regimes 1989 widmet: "Den Künstlern, Schriftstellern und Kunstwissenschaftlern war ihr Kontrahent, ihr Feind, ihr Partner - je nach Einstellung - verloren gegangen." In diesem einen Satz lässt sich die vier Jahrzehnte währende Spannung auf den Punkt bringen, welche die Existenz der Akademie der Künste der DDR zwischen scheinbar autonomer "Kulturinsel" und willfährigem SED-"Machtinstrument" gekennzeichnet hat.
Anmerkungen:
[1] Michael Schwartz (Hg.): Ernst Schumacher - Ein bayerischer Kommunist im doppelten Deutschland. Aufzeichnungen des Brechtforschers und Theaterkritikers in der DDR 1945-1991, München 2007, 534.
[2] Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch, 2 Bde., Berlin (West) 1980, hier Bd. 2, 172.
[3] Kantorowicz: Deutsches Tagebuch, Bd. 2, 371.
Michael Schwartz