Rezension über:

Anton Legner: Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Köln: Greven-Verlag 2003, 508 S., 335 meist vierfarb. Abb., ISBN 978-3-7743-0335-5, EUR 64,00
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Rezension von:
Gerhard Lutz
Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Ulrich Fürst
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Lutz: Rezension von: Anton Legner: Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Köln: Greven-Verlag 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/4121.html


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Anton Legner: Kölner Heilige und Heiligtümer

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Seit einigen Jahren gewinnt das mittelalterliche Reliquienwesen zunehmend an Interesse für die kunstgeschichtliche Forschung. Anton Legner darf hier eine Pionierrolle zugesprochen werden. Nachhaltig tritt er für ein umfassendes Verständnis des mittelalterlichen Sakralraums als eines Orts von Liturgie und Frömmigkeit ein. Mit dem hier zu besprechenden Buch greift Legner diesen Faden an einem zentralen Komplex wieder auf.

Die Stadt Köln besaß bis zur Säkularisation einen der reichsten Reliquienschätze. Unser heutiger Blick ist jedoch allzu sehr auf die Gebeine der hl. Ursula und der 11.000 Jungfrauen sowie auf die 'Überbleibsel' der Heiligen Drei Könige konzentriert, wobei gerade die über ganz Europa verstreuten Reliquien der Jungfrauen paradigmatisch für den mittelalterlichen Reliquienhandel stehen. Legner öffnet nun den Blick für die weiteren Schätze der Metropole. Das opulent ausgestattete Buch ist in drei große Abschnitte gegliedert: das einführende Kapitel gibt zunächst einen Überblick über die Kultur der Heiltumsverehrung, die beiden Hauptabschnitte sind dann einem Gang durch die Kirchen Kölns sowie den Kölner Reliquien andernorts gewidmet.

Oft tritt der Autor eher in den Hintergrund und lässt stattdessen die zeitgenössischen Quellentexte sprechen, die sorgfältig ausgewählt sind und so ein farbiges Bild mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Reliquienkultur zeichnen. Legner verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen dem Erwerb beziehungsweise der Pflege der Reliquienschätze und den Kirchenbauten. Erzbischof Bruno (953-965) etwa ließ den Dom zur Ehre der von ihm erworbenen Petrusreliquien ausbauen (24). Besonders schwer fällt uns der Zugang, wenn Träume und Visionen den Anlass für eine Kirchenerweiterung oder einen Umbau gegeben haben, wie zum Beispiel die Traumerscheinung der maurischen Märtyrer gegenüber dem hl. Anno, in dem diese sich nicht nur unzufrieden mit der bisherigen Aufbewahrung äußerten, sondern ihn auch noch züchtigten. Dies veranlasste den Erzbischof dazu, in St. Gereon nach deren Gebeinen graben zu lassen und anschließend die Kirche zu erweitern (31 f.).

Manch gemeinhin verbreitete Vorstellung bedarf der Differenzierung. So weist Legner zu Recht darauf hin, dass der Begriff der 'redenden' Reliquiare, wonach deren Äußeres in Gestalt von Körperteilen auf die inwendig liegende Reliquie schließen lässt, nur bedingt richtig ist. Oft enthalten solche Behältnisse ganze Kollektionen von Reliquien und stehen in ihrer Form nicht in Bezug zum Inhalt (65).

Einen weiteren zentralen Punkt streift Legner eher beiläufig: die Unterscheidung zwischen Andachts- und Kultbild (67). Legner versucht, diese in seinen Augen frömmigkeitsferne Unterscheidung aufzuheben, da diese den komplexen Bezug zwischen Altar, Bild, Reliquie und Skulptur verwische (67). Reliquien wie Bilder waren - zumindest im Hochmittelalter - Objekte sowohl der Andacht wie auch des Kults. Der Autor verweist insbesondere auf das Bild des Gekreuzigten, das häufig im Kopf ein Reliquiensepulchrum beherbergte. Kruzifixe waren zentrale Andachtsbilder, und gerade deshalb stattete man sie mit unsichtbarem oder sichtbarem Heiltum aus (67). Dennoch erscheint Legners Ablehnung des Begriffspaares Andachtsbild und Kultbild zu strikt. Gerade die Forschung der vergangenen 25 Jahre ist hier zu wichtigen Differenzierungen gelangt. So hat beispielsweise Robert Suckale in seinem Aufsatz zu den 'Arma Christi' (Städel-Jahrbuch 1977, 177-208) deutlich gemacht, wie sich verschiedene Intentionen oder Funktionen in einem Bild vereinen können und dass eine differenzierte Verwendung der Begriffe Andachtsbild und Kultbild durchaus sinnvoll sein kann.

Im zweiten Abschnitt des Buches schließt sich ein Gang durch die Kölner Kirchen mit ihren Schätzen an, wie sie sich dem Pilger früherer Jahrhunderte dargeboten haben. Legner geht dabei auf zahlreiche Pilgerstätten ein, die längst vom Erdboden verschwunden sind, von denen sich aber zum Teil noch bedeutende, heute zum Teil weit verstreute Schätze erhalten haben. Gerade hier erweist sich die erlesene Bebilderung des Bandes als vorteilhaft, entsteht doch so ein anschauliche Vergegenwärtigung des vergangenen Reichtums der Stadt in einer bisher einmaligen Dichte.

Besonders wertvoll ist die Einbeziehung zentraler Kunstwerke, die der Autor mit den lokalen Reliquienschätzen verbinden kann. Als Beispiel sei hier auf die 1447 von Stefan Lochner für die Katharinenkirche gemalte Tafel der Darbringung im Tempel verwiesen (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum), auf dem der Stifter mit seiner Rechten das Heiltum des hl. Simeon vorweist, zusätzlich erläutert durch einen Inschriftenzettel in seiner Linken (147).

Demgegenüber erfahren wir wenig über die Gestaltung der Liturgie in den einzelnen Kirchen. Dies ist großteils der Quellenlage geschuldet. St. Aposteln wird als ein Zentrum liturgischen Lebens hervorgehoben, doch mag dieses Urteil durch die Überlieferung eines Liber ordinarius beeinflusst sein. Dieser wichtigen Quelle war in jüngerer Zeit bereits eine eigene Untersuchung gewidmet. Dennoch wüsste man gerne mehr darüber, inwieweit der Text weitere Aufschlüsse über den dortigen Umgang mit den Reliquien gibt (177).

Im dritten Abschnitt widmet sich Legner den Spuren Kölner Reliquienschätze andernorts. Der Autor breitet hier eine beeindruckende Materialfülle aus, die er - vergleichbar dem Gang durch Köln - geografisch geordnet hat. Entfaltet diese Struktur bei den Kölner Beispielen durchaus ihren Reiz, hat sie beim Gang durch die Lande eher den Charakter einer Aufzählung. Ein stärker chronologisches Vorgehen wäre hier durchaus aufschlussreich gewesen: das kontinuierliche Interesse an Kölner Reliquien lässt sich seit dem 11. Jahrhundert nachweisen. Anfangs scheinen in erster Linie die großen Klöster und Stifte Reliquien aus Köln bezogen zu haben, wie zum Beispiel 1021 Quedlinburg, 1036 Echternach, 1052 St. Emmeram in Regensburg und etwa zur selben Zeit auch das niederösterreichische Melk.

Für die Geschichte und Verbreitung der Kölner Reliquienschätze kommt dem 12. Jahrhundert offenkundig eine Schlüsselstellung zu. Im Zuge der systematischen Ausgrabungen kam es zu einem nachhaltigen Aufschwung, der sich in vielfältiger Form in den Schriftquellen nachzeichnen lässt. Zudem gab es offenbar auch regionale Konjunkturen: so kamen im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts zahlreiche Reliquien in die bayerischen Klöster. 1167 reiste beispielsweise Abt Isingrimm von Ottobeuren nach Köln und brachte von dort einen Reliquienschatz mit, den er neben seiner Abteikirche auf 77 umliegende Kirchen verteilte, die dafür alljährlich einen Bittgang nach Ottobeuren machen sollten (318). Teile des Schatzes gelangten bis über den Reschenpass in das Kloster Marienberg im oberen Vinschgau (364). Für andere Klöster sind ebenfalls Reliquienerwerbungen bezeugt, so zum Beispiel Dießen (1150, 1158 und 1182), Schäftlarn (1160), Prüfening (1119, 1125, 1129, 1132, 1140, 1179), Windberg (1142) und Zwettl (1159).

Weiterer Beleg für die Attraktivität der Kölner Reliquien ist der Besuch Norberts von Xanten im Jahr 1121, der für sein Kloster Prémontré verschiedene Reliquien erhielt. Typisch erscheint die Auffindung des Leibes einer hl. Jungfrau, deren Ruheort zuvor in einer nächtlichen Vision gezeigt worden war. Auch in St. Gereon begann er in medio monasterio zu graben und fand dort den unversehrten Körper (34) eines Mitglieds der thebäischen Legion mit Spuren des Schwerthiebs und Blutresten, eindrücklich beschrieben in der Vita Norberts. Derartige Berichte verraten freilich weniger über die tatsächlichen Abläufe beim Besuch Norberts als über die Frömmigkeit der Zeit.

Reliquien waren kein Handelsgut in modernem Sinne, auch wenn die Verbreitung von Reliquien der 11.000 Jungfrauen dies auf den ersten Blick nahe legt. Mit Nachdruck macht Legner auf diesen Unterschied aufmerksam und lässt immer wieder die Quellen sprechen. Besonders eindrücklich schildert den Erwerb von Reliquien ein Bericht über die Fahrt der Mönche von Grandmont nach Köln im Jahr 1181. Für den Erhalt der Reliquien gaben sie geistlichen Dank, indem sie versprachen, die Stifter in die immer währenden Gebete in der Kirche von Grandmont einzuschließen.

Besondere Erwähnung verdient schließlich das außergewöhnlich sorgfältig strukturierte Register, das unter neueren Publikationen seinesgleichen sucht.

Als erster Gesamtschau der Geschichte und Verbreitung Kölner Reliquienschätze kommt diesem Kompendium besonderes Gewicht zu. Es leistet einen wichtigen Beitrag, den mittelalterlichen Kirchenbau im Kontext seiner Ausstattung zu verstehen, geformt im Lauf der Jahrhunderte nach Maßgabe der sich wandelnden Frömmigkeitsvorstellungen.

Gerhard Lutz