Jürgen Luh / Vinzenz Czech / Bert Becker (Hgg.): Preussen, Deutschland und Europa 1701-2001 (= Baltic Studies), Groningen: INOS 2003, 570 S., ISBN 978-90-73432-08-6
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Vinzenz Czech: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit, Berlin: Lukas Verlag 2003
Jürgen Luh: Der Große. Friedrich II. von Preußen, München: Siedler 2011
Jürgen Luh / Michael Kaiser / Michael Rohrschneider (Hgg.): Machtmensch - Familienmensch. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), Münster: Aschendorff 2020
Anlass und Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes war das "Preußenjahr" um den 300. Jahrestag der Königskrönung in Königsberg 1701. Doch war schon die Tagung, die - von diversen Sponsoren ausgerichtet - im Oktober 2000 in Potsdam stattfand, nicht ausschließlich auf dieses Ereignis fokussiert. Den bilateralen Beziehungen sind vier Abschnitte gewidmet (dem nordwesteuropäischen genius loci entsprechend sind eigene Abschnitte für die Niederlande und England reserviert, während die "Nachbarn im Reich" und die "kontinentalen Mächte" summarisch zusammengefasst werden); der Bereich Kulturaustausch leitet über zu den thematischen Kapiteln: Militär - und "preußische Tugenden", denen sich Gerd Heinrich widmet. Der Pferdefuß des pietistischen Impulses und der puritanischen Zivilisation, wie er den amerikanischen Protestantismus stärker als den europäischen prägt, kommt dabei in einer Randbemerkung des "roi sergeant" und "Tugendabsolutisten" Friedrich Wilhelm I. deutlich zum Vorschein: "Er wolle nicht schuldig werden an allem Bösen, das geschehe" (23).
An die Ära der Königskrönung knüpfen am ehesten noch die Beiträge über die Nachbarn im Reich an - die unter anderem die Rivalität mit Sachsen (Frank Göse) und Bayern (Michael Kaiser) Revue passieren lassen, dann auch noch die militärische Verbindung mit Württemberg (Daniel Hohrath) - und die ersten beiden Beiträge im Abschnitt über den Kulturaustausch: Peter-Michael Hahn ("Hofhaltung und Kulturtransfer") weist nicht bloß auf die unterschiedlichen Zugänge der drei Regenten im Jahrhundert nach 1650 hin, sondern hebt auch strukturell das Fehlen eines regionalen Hochadels hervor. Gerade die reicheren Teile des Adels waren exzentrisch angesiedelt und lange Zeit auf außerpreußische Metropolen fixiert. Andreas Pecar setzt Zeremoniell und Architektur in einem instruktiven Vergleich mit dem Kaiserhof in Beziehung: Während man dort an der "winckeligen" Hofburg festhielt, die für Reisende des 18. Jahrhunderts von den Wiener Adelspalästen schon weit übertroffen wurde, eben weil "jede Neuformulierung seines zeremoniellen Ranges nur eine Rangminderung bedeuten" (294) konnte, empfahl sich für Preußen der Bau des "konsequent modernen" Berliner Stadtschlosses, um seinen neuen Rang sehr wohl auch innerhalb der Reichsgrenzen zu dokumentieren. Hans van Koningsbrugge untersucht das europäische Umfeld der Königskrönung, insbesondere die Rolle der Seemächte im beginnenden Nordischen Krieg: Während die offizielle niederländische Politik auf ein Bündnis mit Schweden setzte, dabei aber immer auch auf Friedensvermittlung, um Hilfstruppen gegen Frankreich zu gewinnen, galt die Stadt Amsterdam als pro-russisch und konnte mit der Mission Marlboroughs 1704, die Garantien gegen ein schwedisches Ausgreifen in Aussicht stellte, einen Punktesieg erringen, der Preußen zugute kam.
Unter "Kulturaustausch" findet sich auch Agnieszka Zablocka-Kos' Vergleich zweier "Regierungsstädte", Posen und Breslau, in urbanistisch-städtebaulicher Hinsicht, der die Auseinandersetzung der Berliner Planungen des 19. Jahrhunderts mit lokalen Faktoren betont, der polnischen Elite (wie zum Beispiel dem Mäzen Edward Raczinsky) in Posen, dem bürgerlichen Selbstbewusstsein in Breslau, wobei der Wandel des Kontrahenten vom liberalen zum katholischen Gegenpol vielleicht nicht deutlich genug hervorgehoben wird.
Die "bilateralen" Abschnitte prägen gelegentlich übergreifende Betrachtungen (wie zum Beispiel Horst Lademachers "Abschied der Niederlande vom ersten Rang" und Wolf D. Gruners "Preußen in Europa 1701-1860/1871") oder Vergleiche (zum Beispiel Ricarda Vulpius zu Selbstverwaltung und Autokratie in Preußen und Russland), im Wesentlichen aber eine Dominanz der "Bilder"-Studien, wie sie derzeit en vogue sind. Exemplarisch erwähnt seien aus der zeitgeschichtlichen Ecke: Andreas Rose über die Fleet Street und das Ende der Weimarer Republik, die zum Ergebnis kommt, dass Hitler der Londoner Presse im Vergleich zum Preußentum oft immer noch als die harmlosere Alternative erschien (was ohne das Wissen der Nachgeborenen verfassungspolitisch auch tatsächlich logisch erscheint). Bis in die Gegenwart reicht Dominik Geppert, der sich mit Margaret Thatchers Weltbild auseinander setzt, dabei die anfängliche Vorbildwirkung Deutschlands hervorhebt, die einen englischen Kommentatoren zur Annahme verleitete, Maggie hätte aus den Engländern, die längst nicht mehr über die von ihr gepriesenen Tugenden verfügten, "gute Preußen" machen wollen (250). Ihre Gegnerschaft zur Wiedervereinigung beruhte nicht bloß auf hochgekommenen Ressentiments der Kriegszeit, sondern auch auf der Enttäuschung, dass eine konservative deutsche Regierung nach 1982 den Dialog mit dem sozialistischen Frankreich der Zusammenarbeit mit ihr vorzog.
An dem bei einem Thema wie Preußen geradezu unverzichtbaren Abschnitt über militärische Fragen ist vor allem Peter Wilsons Kritik des Topos "Social Militarisation" bemerkenswert, der die Identität von Junkertum und Militärstaat infrage stellt und auch viel von der Einzigartigkeit ("uniqueness") des preußischen Modells im Reich. Max Plassmanns Beitrag über "Sieg oder Untergang", sprich: die mentale Bereitschaft preußischer Militärs auch in aussichtsloser Situation weiterzukämpfen, leidet hingegen bei aller lobenswerten Vorsicht seiner Schlussfolgerungen ein wenig am Mangel solcher komparativer Untersuchungen. (Dem Österreicher fällt auf, dass die Weltkriegs-Formel vom "wenigstens anständig Untergehen" von Franz Joseph I. stammt, nicht von einem Preußen...)
"Preußen, Deutschland und Europa" bietet seinerseits kein kompaktes "Bild", dafür aber viele interessante Facetten. Das Naserümpfen über "Buchbinder-Synthesen" wäre falsch am Platz, vielmehr gilt es in Zeiten lobenswerten Kostenbewusstseins Publikationsmöglichkeiten beim Schopf zu ergreifen, wo immer sie sich bieten.
Lothar Höbelt