Karin Wieland: Die Geliebte des Duce. Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus, München: Carl Hanser Verlag 2004, 376 S., 9 Abb., ISBN 978-3-446-20484-3, EUR 24,90
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"Eine Frau hat zu gehorchen! In unserem Staat darf sie nicht zählen", lautet ein vielzitiertes Diktum Benito Mussolinis. [1] In der Tat fallen einem nicht eben zahlreiche Namen von Frauen ein, die "zählten" im Italien der zwanziger und dreißiger Jahre. Eine der wenigen Italienerinnen, die damals wirklich über so etwas wie persönliche Macht verfügte, war die Publizistin und Kunstkritikerin Margherita Grassini Sarfatti, deren außergewöhnlicher Lebensgeschichte Karin Wieland im vorliegenden Buch nachgeht. Im Jahre 1883 als viertes Kind einer wohlhabenden jüdischen Familie in Venedig geboren, avancierte die Sarfatti nach der faschistischen Machtübernahme 1922 zur "ungekrönten Königin Italiens" - so jedenfalls das Urteil Alma Mahler-Werfels, die ihr 1928 in Rom begegnete (300). Ausschlaggebend für ihre Position war - wie konnte es innerhalb der Führerdiktatur dieser Zeit anders sein - ihre persönliche "Nähe zum Herrscher". Spätestens seit Ende des Ersten Weltkrieges verband die Sarfatti mit dem "Duce" eine Liebesbeziehung, die in ihrer Dauer und Intensität für den Frauenhelden Mussolini ungewöhnlich, wenn nicht einzigartig war.
Es ist symptomatisch für die langjährige einseitige Fokussierung der italienischen (Frauen-) Geschichtsforschung auf den Antifaschismus, dass die ungewöhnliche Karriere Margherita Sarfattis in Italien bislang nicht näher beleuchtet wurde. Dagegen liegt aus der Feder zweier amerikanischer Autoren eine dickleibige Biografie vor, der Karin Wieland (ohne dies angemessen offen zu legen) nicht nur eine Fülle lebensgeschichtlicher Details schuldet, sondern von der sie auch ihre Hauptthese übernimmt [2]: Sarfatti habe auf Grund ihres persönlichen Einflusses auf ihren Geliebten, vor allem aber durch ihre erfolgreiche Biografie "Dux" maßgeblichen Anteil am politischen Aufstieg Mussolinis und schließlich der Etablierung der italienischen Variante des Führer-Mythos gehabt. Wie der Klappentext in auflagenträchtiger Überspitzung formuliert, habe erst Sarfatti "den linkischen, fanatischen Volksschullehrer in den charismatischen Duce verwandelt". Eine überzeugende Begründung dieser gewagten Behauptung bleibt Wieland allerdings, soviel sei vorweggenommen, ihren Lesern weitgehend schuldig.
Die Lebensgeschichte ihrer Heldin beginnt im venezianischen Ghetto, wo Margheritas Großvater Marco Grassini, hoch angesehener Jurist und späterer Offizier des vereinten Königreichs Italien einen Palazzo erworben hatte. Sehr überzeugend erhebt Karin Wieland die Familiengeschichte der Grassinis zum Modellfall der erfolgreichen Juden-Emanzipation im Zuge des Risorgimento. Margheritas Vater Amedeo, ebenfalls Jurist, Ökonom und finanzieller Berater des venezianischen Rates, vollendete den beeindruckenden sozialen Aufstieg seiner Familie durch den Umzug aus dem Ghetto in einen der prächtigsten Palazzi am Canale Grande. Trotz seiner Aufgeschlossenheit für die technischen Errungenschaften der Moderne war er politisch konservativ und hielt an den jüdischen Glaubenstraditionen fest. Erst seine Tochter Margherita, der er eine exzellente Ausbildung zukommen ließ, vollzog den endgültigen Bruch mit dem jüdischen Erbe. Sensibilisiert durch Zola, Ibsen, Shaw und eine engagierte Gouvernante kam sie in Kontakt mit der sozialistischen Bewegung. Mit 18 Jahren heiratete sie gegen den Willen des Vaters den jüdischen Rechtsanwalt und Sozialisten Cesare Sarfatti, ihren "Fluchthelfer" aus dem elterlichen Palazzo (46). In den folgenden Jahren brachte Margherita nicht nur drei Kinder zur Welt, sondern veröffentlichte auch erste Artikel in kleineren sozialistischen Zeitschriften, in denen sie sich bereits mit ihrer lebenslangen Passion beschäftigte: der Kunst.
Im Jahre 1902 entschied sich Familie Sarfatti für den Umzug in die zweifellos aufregendste Stadt des damaligen Italien: nach Mailand. Prägend für die weitere Entwicklung wurde die Begegnung mit der russischen Exilantin Anna Kuliscioff, der Lebensgefährtin des Sozialistenführers Turati und der "wichtigste[n] Frau in Margherita Sarfattis Leben" (54). Die Instrumente, mit denen die Kuliscioff das sozialistische Mailand beherrschte, waren dieselben, mit denen Margherita einige Jahre später "regieren" sollte: ein einflussreicher Salon, eine Zeitschrift und ein mächtiger Mann.
Als die Sarfatti 1913 Benito Mussolini kennen lernte, der soeben Chefredakteur des sozialistischen Parteiblatts "Avanti!" geworden war, war sie, wie Wieland zusammenfasst, "eine reiche Kunstsammlerin, gefürchtete Kritikerin, galt als feministische Sozialistin, gute Mutter und Frau von Welt." (117) Als solche muss die attraktive 30-jährige dem drei Jahre jüngeren rising star der sozialistischen Partei als äußerst begehrenswerte Eroberung erschienen sein. Aber erst durch die Zäsur des Ersten Weltkrieges wurde aus dem erotischen Abenteuer eine wirkliche Liebes- und Arbeitsgemeinschaft, die zweifellos für beide eine größere Bedeutung hatte als die jeweiligen ehelichen Beziehungen. Beide hatten nach anfänglichem Zögern die italienische Kriegsintervention befürwortet, was sie zu Dissidenten innerhalb der sozialistischen Partei gemacht hatte. Margherita Sarfatti war jedoch weit mehr als nur politisch heimatlos geworden: Ihr 17-jähriger Sohn Roberto hatte zu den jüngsten italienischen Kriegsgefallenen gehört. In einer der stärksten Passagen ihres Buches beleuchtet Wieland, wie Trauer und Schuldgefühle ihre Protagonistin endgültig auf die Seite der faschistischen Bewegung trieben, die im Namen der Gefallenen die Gewalt des Krieges zu perpetuieren suchte. Als Mitarbeiterin in der Mailänder Redaktion des "Popolo d'Italia", des neuen Blatts von Mussolini, leistete sie laut Wieland einen wesentlichen Beitrag zur "Deprovinzialisierung" ihres Geliebten, der kurze Zeit darauf in Rom die Macht übernehmen sollte. Für die Sarfatti brachte ihre privilegierte Stellung als Vertraute des "Duce" in den folgenden Jahren den endgültigen Durchbruch als die bestimmende Figur des Kunstbetriebes. Sie revanchierte sich für Mussolinis Gunsterweise mit der bereits erwähnten, 1925 im Ausland, ein Jahr darauf auch in Italien publizierten Biografie "Dux", die, übersetzt in 19 Sprachen, wesentlich zum internationalen Renommee des Diktators beitrug.
Trotz alledem: Schon früh zeichnete sich ab, dass die Beziehung zwischen der jüdischen Intellektuellen und dem 'Duce' eine Schicksalsgemeinschaft auf Zeit bleiben würde. Mit der Konsolidierung der Diktatur wurde Mussolini der Avancen seiner Geliebten, die ihm an Ehrgeiz und Machthunger nur wenig nachstand, zunehmend überdrüssig. Als deutliches Zeichen des sinkenden Sterns der Sarfatti interpretiert die Autorin deren 1928 erfolgte Konversion zum Christentum (288). Auch dieses Opfer änderte jedoch nichts daran, dass der "Duce" es vorzog, seinem eigenen Alterungsprozess durch immer zahlreichere und immer jüngere Geliebte entgegenzuarbeiten, statt ihn in der langjährigen Weggefährtin gespiegelt zu sehen. Spätestens Anfang der 30er-Jahre ließ er die Sarfatti endgültig fallen. Zur größten Propagandaausstellung des Faschismus, der Mostra della Rivoluzione Fascista im Jahre 1932, wurde die einstige Drahtzieherin faschistischer Kulturpolitik nicht einmal mehr eingeladen. Die Verabschiedung der so genannten Rassengesetze im Jahre 1938 bedeutete für die verstoßene Geliebte auch eine ganz persönliche Katastrophe.
Wielands Darstellung besticht durch Abgewogenheit und souveräne Kenntnis der einschlägigen Literatur. Sachliche Fehler sind ihr kaum nachzuweisen; allenfalls der Hinweis, dass die italienische Rassengesetzgebung nicht deutschem Einfluss zuzuschreiben ist, sondern bereits 1936 in der neueroberten italienischen Kolonie Äthiopien einen direkten Vorläufer besaß, ist anzumahnen. Immer wieder gelingen der Autorin eindringliche Momentaufnahmen der italienischen Gesellschaft, so beispielsweise in ihrer Schilderung der Situation nach der Matteotti-Krise (251-255). Dennoch konnte sie diese Passagen nicht zu einem überzeugenden Ganzen verbinden. Vor allem ihre Hauptfigur bleibt erstaunlich blutleer, obwohl sich Wieland dafür entschieden hat, den wissenschaftlichen Charakter ihrer Abhandlung immer wieder durch romanhafte Passagen zu durchbrechen. Die Entscheidung, Sarfattis letzte 23 Lebensjahre nach der Emigration auf 3 Seiten abzuhandeln, mag auf Grund des weniger spektakulären Charakters dieser Zeitspanne angehen; dennoch hätte man gern mehr über den weiteren Verlauf der von Sarfatti geförderten Künstlerkarrieren im Nachkriegsitalien erfahren. So relativiert beispielsweise die jüngste Renaissance des lange Zeit als "Maler im Schwarzhemd" abqualifizierten Mario Sironi Wielands Diktum vom Scheitern der Sarfatti als Kunstkritikerin. [3]
Andere Versäumnisse wiegen schwerer. So erwähnt Wieland mit keinem Wort, dass neben der zweifellos einflussreichen Mussolini-Biographie ihrer Protagonistin im faschistischen Italien ungefähr 400 lebensgeschichtliche Darstellungen des "Duce" kursierten, darunter das im Vergleich mit "Dux" bravere, aber auflagenstärkere Buch Giorgio Pinis. [4] Des weiteren ist zu bemerken, dass Mussolini schon vor seiner angeblichen intellektuellen Initiation durch die Sarfatti ein versierter Politiker, Journalist und Redner sowie vor allem ein unermüdlicher Vielleser gewesen ist. Wieland selbst unterstreicht die Bedeutung seiner Rezeption Georges Sorels, die wie der Kontakt mit den Werken Gustave Le Bons bereits in die Zeit seines frühen Aufenthaltes in der Schweiz fiel.
Unterm Strich ist es zu bedauern, dass die Autorin an die Faszinationskraft des von ihr erzählten Frauenlebens so wenig geglaubt zu haben scheint, dass sie es für nötig hielt, ihm künstlich Bedeutung einzuhauchen, statt es für sich selbst wirken zu lassen.
Anmerkungen:
[1] Emil Ludwig, Colloqui con Mussolini, Milano 2000 (Orig. 1932), 166.
[2] Philip V. Cannistraro/Brian R. Sullivan, Il Duce´s Other Woman. The untold story of Margherita Sarfatti, Benito Mussolini´s jewish mistress, and how she helped him to come to power, New York 1993.
[3] Jens Petersen, Faschismus und Kultur. Der Fall Mario Sironi, in: Klaus Wolbert (Hg.), Kunst und Faschismus. Politik und Ästhetik im Nationalsozialismus und im italienischen Faschismus, Darmstadt 1995, 158-184.
[4] August Bernhard Hasler, Das Duce-Bild in der faschistischen Literatur, in: QFIAB 60/1980, 420-506.
Petra Terhoeven