Mary T. Boatwright: Hadrian and the Cities of the Roman Empire, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2000, XVIII + 243 S., ISBN 978-0-691-04889-5, GBP 39,95
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Ein Blick über die frisch ausgegrabenen Ruinen der südspanischen Römerstadt Italica inspirierte Mary T. Boatwright, dieses Buch zu schreiben. Konzeption und architektonische Ausführung der zu Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus entstandenen Stadtanlage riefen in ihr unwillkürlich das Bild der von Kaiser Hadrian in Athen gestifteten Bibliothek wach; die Vorstellung einer den antiken Mittelmeerraum umspannenden, einheitlichen urbanen Kultur und der Interaktionsprozesse, die diese Kultur gestalteten und prägten, ließ die Idee reifen, dem Phänomen eine Monografie zu widmen und dieses an jenem Kaiser beispielhaft zu demonstrieren, der wie kein anderer Herrscher des römischen Reiches für die Idee der Vielfalt und Einheit zugleich lebte und sie in persona vorantrieb. Schon die Zeitgenossen haben die Regierungszeit Hadrians (117-138) als außergewöhnlich erkannt: Nicht nur sein widersprüchlicher Charakter gab Rätsel auf, sondern auch seine ausgedehnte, für einen römischen Kaiser ungewöhnliche Reisetätigkeit, die ihn in fast jede Provinz des Reiches führte, und die dort vor Ort nach persönlichem Augenschein getroffenen Maßnahmen und Entscheidungen in selbst kleinsten Einflusssphären haben Erstaunen, Kritik und Lob - je nach Standpunkt des Betroffenen - hervorgerufen.
Der Untersuchungsgegenstand berührt die grundsätzliche Frage, wie es den Römern gelang, den gewaltigen Reichskörper mit seinen diversen politischen, ethnischen, religiösen und kulturellen Entitäten nicht nur dank militärischer Überlegenheit zu schaffen, sondern ihm als kohärentem politischen und ideologischen Gebilde auch dauerhaften Bestand zu sichern. Die Geschichte des römischen Reiches, so die Verfasserin richtig (5), besteht - soweit sie die Beziehungen zwischen Herrscher und Untertanen, organisiert in den Städten der Provinzen, betrifft - aus einem Wechselspiel von Gewalt und Überzeugungsarbeit. Das kaiserliche Regiment wurde den Untertanen zuvörderst über das Bild des allgegenwärtigen Wohltäters und Fürsorgers vermittelt und durch vielerlei symbolische Akte vergegenwärtigt, zusätzlich aber mittels konkreter und direkt erfahrbarer Gunsterweise neu belebt und bekräftigt: Das Besondere bei Hadrian lag in der unmittelbaren Involvierung des Kaisers durch Präsenz vor Ort: Reisten die Kaiser vor ihm und nach ihm grundsätzlich nur zur persönlichen Kriegführung direkt an die Grenzen des Imperiums, absolvierte Hadrian ein umfangreiches Reiseprogramm, das die Städte und Sehenswürdigkeiten der Provinzen zum Ziel hatte. Das Buch beschreibt nicht nur alle Interaktionsfelder zwischen Kaiser und Städten aufgrund neuester Quellenbasis, sondern fragt auch nach dem ideologischen Gehalt, nach dem "Programm" der kaiserlichen Munifizenz, das den Städten ihre Rolle und Selbstidentität im Reich vermittelte.
In mehreren Kapiteln werden die Bereiche der kaiserlichen Wohltaten vorgeführt, systematisch kategorisiert nach Rechtsprivilegien, städtischer Verwaltung und Wirtschaft sowie Bauprojekten; eine gesonderte Betrachtung wird drei "Musterstädten", die als herausragende Beispiele kaiserlicher Förderung gelten - Athen, Smyrna und Italica - zuteil, ebenso den neuen oder "erneuerten" Städten wie Cyrene (nach den im großen Judenaufstand unter Traian erfolgten Zerstörungen), den mysischen Städten und Antinoopolis in Ägypten. Die zentralen Kapitel des Buches beschreiben und interpretieren die Quellenevidenz in einer umfassenden, zuverlässigen Art, die die tiefe Vertrautheit von Mary T. Boatwright mit der Epoche und der Arbeitsmethode dokumentiert. [1] In manche grundsätzliche Problemkreise, wie den Unterschied zwischen municipium und colonia in der Kaiserzeit oder die Rolle des Kaisers als (nomineller) städtischer Oberbeamter, wird in breiter Dokumentation exkursartig eingeführt. Als Ergebnis präsentiert das Buch einen wichtigen Baustein zum Verständnis römischer Herrschaftspraxis: die Erneuerung und Bekräftigung lokaler Traditionen in den verschiedensten Bereichen des öffentlichen Lebens, womit der Kaiser das Engagement der städtischen Eliten beflügelte, sich in den Dienst ihrer Heimatgemeinde zu stellen, zugleich aber die Integration der kaiserlichen Autorität als weltliche Schirmherrin und auch religiöser Bezugspunkt in jede einzelne, stolz behütete Schatztruhe eigener Geschichte und Identität. Wir haben es hier nicht mit "Romanisation" im herkömmlichen Sinne zu tun, sondern mit einer von Geben und Nehmen geprägten Art des kulturellen Austausches, der freilich dem höheren Zweck der Herrschaftssicherung diente. Dies klar aus der hadrianischen Städtepolitik herausgearbeitet zu haben ist das wesentliche Verdienst dieses Buches. Es gehört zu den Rätseln von Hadrians Persönlichkeit ("egregious mistake", 209), dass er keinen Weg fand, auch die Juden in dieses kombinatorische Konzept von Eigenständigkeit und Integration einzubinden, und damit einen der verlustreichsten Kriege heraufbeschwor, den das römische Kaiserreich zu führen hatte.
Freilich fordert die Thematik zu tiefer greifenden Überlegungen, wie sie Mary T. Boatwright unternimmt, heraus, ob die kaiserlichen Wohltaten nach wie auch immer gearteten Kriterien verteilt oder konzentriert wurden und welcher Einfluss in diesem Zusammenhang der ausgedehnten Reisetätigkeit Hadrians zukam. Mehrfach und völlig zu Recht stellt sie fest, dass es keine Systematik gab (125: "despite the famed practicality of the Romans considerations of economic rationality cannot fully explain each of Hadrian's engineering and building projects"). Ebenso zutreffend resümiert sie, dass "no evidence points to a conscious policy [...] to materially improve whole cities or provinces" (207). Dieses Resultat führt wiederum zu der richtigen Folgerung, dass des Kaisers physische Anwesenheit keine notwendige Voraussetzung für seine Wohltaten vor Ort darstellte, wenngleich sie dieselben veranlassen konnte (207). In diesem Sinne, wenn auch nicht explizit von der Verfasserin formuliert, und so paradox es in diesem Kontext klingen mag, zeigen die gesammelten Zeugnisse, dass der Kaiser nicht notwendigerweise reisen musste, um die tausendfachen Probleme der Untertanen zu regeln und um die Kommunikation zu pflegen; wenn eine "necessity" bestanden haben sollte, wie es formuliert wurde, [2] fragt man sich, warum abgesehen von Hadrian und allenfalls Augustus kein römischer Kaiser die Provinzen systematisch bereist hat. In einigen Fällen ist die Interdependenz von Aufenthalt und Aktion vor Ort bezeugt oder liegt klar auf der Hand: beispielsweise Tarraco, die Kephisosbrücke bei Eleusis, die mysischen Städte, Trapezus, Antinoopolis. Cassius Dio (69,10,1) fand es erwähnenswert, dass Hadrian seine Heimatstadt Italica reichlich ehrte und beschenkte, obwohl er sie als Kaiser nie besuchte. Umgekehrt besuchte der Kaiser sicherlich auch Pergamon und das berühmte Heiligtum von Olympia: Während sich in Olympia bis heute keine Spur seines Wirkens gefunden hat, wird der nachweisbare Aufschwung des Asklepieions in Pergamon zweifellos seinem Zuspruch und seinem Interesse an dieser Kultstätte, wo er als "Neuer Asklepios" verehrt wurde, (mit) zu verdanken sein. Unter den vielen Stiftungen jener Zeit kennen wir zwar viele vornehme Pergamener, aber nicht den Kaiser unmittelbar - solche Beispiele indirekter Förderung (etwa über Reichskarrieren der lokalen Oberschicht) fallen leider durch das Raster der von der Mary T. Boatwright angewandten Kriterien, Hadrians Aktivitäten zu erfassen. Pergamon bietet im Übrigen mit seiner neuen römischen Unterstadt eine noch deutlichere Parallele zur nova urbs von Italica als die athenische Architektur; beide Initiativen gingen wohl auf Traian zurück, und Hadrian war der großartige Vollender.
Damit sind wir bei einem entscheidenden letzten Punkt: Am Beispiel von Pergamon und Ephesos versuchte ich zu zeigen, dass letztlich die jeweils aktuellen "Beziehungen" zwischen Kaiser und jeder einzelnen Stadt, vor allem definiert durch direkte persönliche Verbindungen, deren Stellenwert und ihre Chance, in den Genuss kaiserlicher Gunst zu kommen, bestimmten. [3] Die Verfasserin unterstreicht natürlich (159) die Bedeutung jener Interaktion zwischen Kaiser und städtischer Oberschicht und nennt selbst das bekannteste, literarisch bezeugte Beispiel: Dem Sophisten Polemo gelang es, Hadrians Gunst von Ephesos weg, wo sein Rivale Favorinus lehrte, auf seine Wirkungsstätte Smyrna zu lenken, und so 10 Millionen Denare der baulichen Ausschmückung der Stadt zuzuführen. Alexandria in der Troas verdankte seinen Aquädukt der Fürsprache des jüngeren Atticus Herodes, seine Familie hat neben anderen, wie Anthony R. Birley zeigte, zweifellos das Ihre zu Hadrians Interesse an Athen beigetragen. [4] Italica benötigte keine Mittler, da sie patria Traians und Hadrians war. Hierzu bedürfte es eingehenderer Studien zu einzelnen Stadttypologien und zu städtischen Eliten, als es in dem von der Verfasserin gesteckten Rahmen möglich war, und nur in den wenigsten Fällen wird man aufgrund der Quellenlage plausible Möglichkeiten anbieten können. Damit erklärt sich aber das unter räumlichem und inhaltlichem Aspekt so bunt schillernde Bild der hadrianischen Aktivitäten, das sich jeder Systematik entzieht, ja entziehen muss. Die resümierende Feststellung Mary T. Boatwrights, dass "Hadrian's benefecations created personal ties between emperor and city elites" (209) möchte ich in dem Sinne umkehren, dass "personal ties between emperor and city elites created Hadrian's benefications".
Anmerkungen:
[1] Vgl. Mary T. Boatwright: Hadrian and the City of Rome, Princeton 1987.
[2] Jean-Louis Mourgues: Rezension von Helmut Halfmann: Itinera principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im Römischen Reich (= HABIS; 11), Stuttgart 1986 in: JRS 80 (1990), 219-222, hier 221.
[3] Helmut Halfmann: Städtebau und Bauherren im römischen Kleinasien. Ein Vergleich zwischen Pergamon und Ephesos (= Istanbuler Mitteilungen; Beiheft 43), Tübingen 2001.
[4] Anthony R. Birley: Hadrian and Greek Senators, in: ZPE 116 (1997), 209-245, bes. 216 ff.
Helmut Halfmann