Rezension über:

Mary T. Boatwright: Peoples of the Roman World (= Cambridge Introduction to Roman Civilization), Cambridge: Cambridge University Press 2012, XVIII + 241 S., 61 s/w-Abb., ISBN 978-0-521-54994-3, GBP 17,99
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Rezension von:
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer
Historisches Institut, FernUniversität Hagen - Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer: Rezension von: Mary T. Boatwright: Peoples of the Roman World, Cambridge: Cambridge University Press 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/21437.html


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Mary T. Boatwright: Peoples of the Roman World

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In ihrem neuesten Buch, das sich an ein fachlich nicht vorgebildetes Publikum richtet, stellt die Verfasserin das Römische Reich als eine Ansammlung nach und nach unterworfener Völker vor und untersucht sowohl die ethnischen Stereotype, mittels derer die Römer ihre ehemaligen Gegner und neuen Untertanen wahrnahmen, als auch deren ethnische Selbstwahrnehmung. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen steht dabei die Beobachtung, dass sich die römische Fremd- und Eigenwahrnehmung in Auseinandersetzung mit den unterworfenen Völkern im Laufe der Zeit immer wieder veränderte. In dieser Flexibilität, die römische Identität jeweils neu zu definieren und Identitätszuschreibungen an unterworfene Völker zu revidieren, sieht Boatwright einen wichtigen Grund für die Integrationskraft und damit die Dauer der römischen Herrschaft (29).

In fünf Kapiteln behandelt die Verfasserin die "nördlichen Barbaren" (Gallier, Kelten, Germanen), die Griechen, Ägypter, Juden und Christen. Sie gibt in jedem Kapitel zunächst einen knappen Überblick über deren Geschichte im Rahmen des Imperium Romanum, bevor sie ihre ethnische Identität aus römischer wie indigener Sicht erörtert. Die Auswahl der 'Völker' ist der römischen Perspektive verpflichtet; dass hierunter auch die Christen fallen, die sich im Gegensatz zu den Juden nicht als ethnische Gruppe verstanden, begründet Boatwright mit deren vereinzelter Selbststilisierung als einer "new race" (171), was nicht wirklich überzeugt. Nicht eigens behandelt werden die Syrer als Stereotyp für die 'Orientalen', die 'Schwarzen' und die afrikanischen Stämme. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung umfasst die republikanische und die Prinzipatszeit, nicht aber die Spätantike (198), was nicht begründet wird und auch nicht einleuchtet, da diese Epoche zahlreiche neue Aspekte für das Problem der Ethnizität im Römischen Reich bietet.

Die ethnische Vielfalt im Imperium Romanum ergab sich nicht nur aus der Annexion unterworfener Regionen, die dann als Provinzen organisiert wurden. Sie war auch - wie die Verfasserin hervorhebt - das Resultat von gewaltigen Migrationsbewegungen freiwilliger oder erzwungener Art innerhalb des Reiches: Eine Versklavung im großen Stile, die Griechen und 'Barbaren' nach Italien schwemmte, die Stationierung von Soldaten in allen Provinzen, eine wirtschaftlich motivierte Auswanderung aus Rom und Italien in die Provinzen sowie eine Einwanderung in das Kerngebiet des Römischen Reiches führten zu einer ethnischen Vielfalt vor allem in Metropolen wie Rom. Nicht nur der ferne "Andere" in den Provinzen, auch der nahe "Fremde" in Rom und Italien nährte die ethnischen Stereotype: Konnten sich die Aristokraten reichsweit noch einer griechisch-römischen Kultur verpflichtetet sehen, so blühten in der 'plebejischen' Kultur der Metropolen die ethnischen Vorurteile, die ab und zu in Pogrome mündeten.

Für das Vorhaben, ethnische Selbstwahrnehmungen und Identitätszuschreibungen in ihrem Wandel zu rekonstruieren, bereitet die Überlieferung, wie die Verfasserin in der Einleitung hervorhebt, Schwierigkeiten: Die überwiegend römischen oder romorientierten Quellen lassen die Perspektive der Unterworfenen kaum zur Geltung kommen und nehmen zudem vorwiegend die aristokratischen Gruppen in den Blick. Die von Boatwright als Korrektiv betrachteten, provinzialen Grabmonumente, Reliefs, Inschriften und Papyri aber sind zumeist selbst schon Ausdruck einer römisch geprägten Lebensweise - was Boatwright nicht immer genügend berücksichtigt -, und sie sind überdies nur schwer als Zeugnisse ethnischer Identität zu interpretieren.

In Bezug auf die "nördlichen Barbaren" behandelt Boatwright in erster Linie die Gallier bzw. Kelten, mit denen Rom über Jahrhunderte hinweg Krieg geführt hatte, bevor ganz Gallien nach dem Bataver-Aufstand endgültig befriedet worden war. Hier kann die Verfasserin sehr gut zeigen, wie sich die "Barbarengrenze" im Laufe der Zeit immer weiter nach Norden verschob, vom pauschalen metus Gallicum nach der Eroberung Roms 387 v. Chr. über die Gallia Transpadana und Gallia Togata zur Gallia Comata, schließlich zu den Germanen und den britischen Stämmen. Die sukzessive Provinzialisierung dieser Gebiete, die Bürgerrechtspolitik, der Dienst in den römischen Hilfstruppen und später der Kaiserkult, aber auch die Ausrottung für die ethnische Identität wichtiger Gruppen wie der Druiden, mündeten in einen Prozess allmählicher Assimilation in Gallien und im Süden Britanniens, der vor allem in Rom auf Widerstand stieß, wie die Rede des Claudius über die Aufnahme von Galliern in den Senat zeigt. Widerständige Gruppen wie die rechtsrheinischen Germanen und die schottischen Stämme sorgten allerdings dafür, dass die schlechte Reputation "nördlicher Barbaren" in Rom und der mediterranen Welt bestehen blieb, was die Kaiser aber nicht daran hinderte, germanische Leibwachen zu unterhalten. Der Donaugrenze und dem Balkanraum hingegen sowie den dortigen Germanengruppen schenkt die Verfasserin kaum Beachtung, obwohl zumindest die Trajanssäule als Siegesmonument über die Daker eine vorzügliche Quelle für ethnische Identitätszuschreibungen darstellt.

Die Griechen präsentiert Boatwright als die nächsten Fremden, die aufgrund ihrer ruhmreichen Geschichte und ihrer überlegenen, auch Rom prägenden Kultur nie als Barbaren wahrgenommen wurden. Von Anfang an war die Haltung der Römer zu den Griechen von einer Ambivalenz zwischen Bewunderung für deren Kultur und eigenem militärischem Überlegenheitsgefühl geprägt, was dazu führte, dass man zwischen den "alten" und den heutigen Griechen unterschied. Diese aristokratische Perspektive wurde aber nicht von der plebs Romana geteilt, wie etwa die Griechenaversion Juvenals deutlich macht. Erschienen in republikanischer Zeit noch alle, die Griechisch sprachen, als Griechen, so beobachtet Boatwright seit der Zeit Ciceros eine zunehmende Differenzierung der Fremdwahrnehmung in dem Sinne, dass man nun zwischen Athenern, Asiaten und Orientalen unterschied. Für die späte Republik und die frühe Kaiserzeit erkennt die Verfasserin Assimilierungsprozesse bei den römischen wie den griechischen Aristokraten (88: "overlapping identities"). Diese kommen im Romaufenthalt und in der Romorientierung vieler Griechen ebenso zum Ausdruck wie im Studium römischer Aristokraten in den Bildungszentren Griechenlands sowie in deren Zweisprachigkeit. Zudem förderte der Reichs- und Heeresdienst zahlreicher Griechen solche Tendenzen. Auf der anderen Seite konstatiert die Verfasserin, dass die griechische Kultur seit dem 2. Jahrhundert durch den verstärkten Vergangenheitsbezug ihrer Eliten (2. Sophistik) eine größere Eigenständigkeit gegenüber der römischen Tradition gewann; Rom war nun nicht länger das geistige Zentrum des Imperiums.

Bereits für die Griechen waren die Ägypter der "Andere" par excellence, zu denen sie - wie später die Römer - eine ambivalente Haltung pflegten. Befremdlich erschienen vor allem die religiösen Praktiken wie die Verehrung von Gottheiten in Tiergestalt, bewundert wurde das Alter der Kultur mit ihren monumentalen Zeugnissen. Politisch und militärisch nie ein Gegner Roms wie die anderen griechischen Mächte, gerieten die Ägypter nach dem Sieg Octavians über Kleopatra und Marcus Antonius doch politisch in Verdacht, was sich bei der Annexion Ägyptens in einem besonderen Provinzstatus niederschlug. Auf der anderen Seite verhinderte dies nicht die Ausbreitung ägyptischer Kulte in Rom und im gesamten Imperium (Isis, Serapis) oder eine "Ägyptomanie" bei der Ausstattung römischer Villen. Mit Blick auf die Papyri und die Bestattungspraxis erkennt Boatwright zwar eine Vermischung ägyptischer, griechischer und römischer Elemente, doch betrachtet sie zu Recht diese Dokumente und Monumente als wenig aussagekräftig für die Feststellung ethnischer Identitäten.

Mit den Juden im Römischen Reich wendet sich die Verfasserin dann einer Gruppe zu, die sich selbst als eigenständiges Ethnos betrachtete und als solches auch wahrgenommen wurde. Die Juden besonders in Palästina erscheinen dabei als Testfall für die Integrationsfähigkeit des Imperiums, was in den drei Aufständen der frühen Kaiserzeit deutlich wird. Durch ihren exklusiven Kultus und ihre religiös begründete Lebensweise sonderten sie sich zumeist selbst von ihrer 'paganen' Umgebung ab und gerieten deshalb leicht in die Rolle eines Sündenbocks. Boatwright fragt vor allem danach, ob die jüdischen Gemeinden eine politische oder religiöse Bedrohung der römischen Herrschaft dargestellt hatten, ohne die Frage direkt zu beantworten. Ihre Darlegungen zur Geschichte der Juden im Römischen Reich zeigen aber, dass dem nicht so war: Nicht nur die meisten Diasporagemeinden und die Attraktivität des Judentums für pagane Eliten seit dem 3. Jahrhundert zeugen von einem nicht allzu konfliktreichen Zusammenleben mit der Mehrheitsgesellschaft; auch die 'Befriedung' Palästinas nach dem Bar Kochba-Aufstand macht deutlich, dass Rom hier nur etwas mehr Gewalt als in anderen Regionen des Reiches aufwenden musste, um seine Untertanen botmäßig zu machen. Dennoch lässt sich mit der Verfasserin festhalten, dass die Akzeptanz von Juden - wie auch von Ägyptern - in Rom insgesamt gering war, was sich nicht zuletzt darin äußerte, dass kaum Juden und Ägypter in den Reichs- und Heeresdienst aufstiegen.

Die Christen als ein Volk zu behandeln, weil sich einige ihrer Wortführer im 3. und 4. Jahrhundert als neues Gottesvolk betrachteten, verschiebt das Konzept ethnischer Identität auf eine andere Ebene als in den vorangegangenen Kapiteln. Zudem waren die Christen, wie die Verfasserin selbst bemerkt, kein unterworfenes Volk, sondern eine Kultgemeinde, die sich von Anfang an im Römischen Reich ausgebreitet hatte. Zu Recht betont Boatwright die bis ins 3. Jahrhundert geringe Anzahl der Christen im Reich, die Unfähigkeit römischer Autoren bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts, sie von den Juden zu unterscheiden, und die fehlende Zurschaustellung ihrer christlichen Identität, da die Gemeinden ja einen illegalen Status hatten. Die Verfolgungen des 3. und beginnenden 4. Jahrhunderts führten zwar bei vielen Christen zur Ausformung und Stärkung einer christlichen Identität; diese kann aber nur in einem metaphorischen Sinne als ethnisch bezeichnet werden.

In ihrer Schlussbemerkung vertritt Boatwright die Auffassung, dass Rom nicht an einer Assimilierung und Romanisierung seiner Untertanen interessiert gewesen sei, sondern vor allem am Erwerb von Ländern, Gütern und Leuten (198). Das ist überspitzt: Zu ergänzen wäre, dass die meisten Untertanen sehr wohl an einer Assimilierung an die herrschende Macht und Kultur interessiert waren und Rom solche Tendenzen gezielt förderte. Insgesamt betrachtet gibt Boatwright eine anschauliche Darstellung der ethnischen und kulturellen Vielfalt im Römischen Reich, die von zahlreichen, zumeist sehr guten und ausführlich erläuterten Abbildungen und Karten begleitet wird. Nicht immer gelingt dabei die Balance zwischen historischer Darstellung und Reflexion des Problems der ethnischen Identität. Deutlich wird indes, wie vielfältig und wechselnd ethnische Selbstwahrnehmungen und Identitätszuschreibungen waren und wie schwierig es für den modernen Historiker ist, seine Quellen als Belege für ethnische Identität zu interpretieren. Daher sei dieses Buch als Einführung in das Thema empfohlen. [1]


Anmerkung:

[1] Einige wenige Fehler, insbesondere im Kapitel über die Juden, wären für eine weitere Auflage zu korrigieren: 69: Einführung des provinzialen Kaiserkultes in der Provinz Asia 29 v. Chr., nicht 19 v. Chr. 76: In republikanischer Zeit gab es keine Provinz Achaia; die Region war dem Statthalter von Macedonia unterstellt; erst Augustus richtete 27 v. Chr. eine eigenständige Provinz ein. 132 & 141: Im Jahr 6 n. Chr. stand keine Legion in Caesarea, sondern in ganz Judäa waren nur eine Ala und fünf Kohorten stationiert (W. Eck: Rom und Judäa, 2007, 108). 139: Judäa wurde nicht 63 v. Chr. in eine, in fünf Distrikte unterteilte römische Provinz umgewandelt; ihr verblieb die Autonomie unter dem jüdischen Hohenpriester (Ios. bell. I 169f.). 140: Pompeius betrat nach der Eroberung Jerusalems sehr wohl den Tempel und stellte fest, dass dieser kein Götterbild enthielt (Ios. bell. I 152f.). 141: Judäa wurde 6 n. Chr. nicht römische Provinz, sondern Präfektur der Provinz Syria (Eck, 24). 144: Das Tacituszitat lautet korrekt: sacra Aegyptia Iudaicaque (ann. II 85). 160: Eine zweite Legion wurde nicht erst 135 in Judäa stationiert, sondern spätestens 120 nach dem Diaspora-Aufstand (legio II Traiana). Nach dem Bar Kochba-Aufstand wurde diese durch die legio VI Ferrata ersetzt (Eck, 113, 145).

Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer