Werner Rösener: Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, 448 S., 8 Farbtafeln, 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-538-07179-7, EUR 29,90
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Werner Röseners Gesamtdarstellung der Jagd von der Altsteinzeit bis in die Gegenwart ist ein ebenso begrüßenswertes wie ambitioniertes und schwieriges Unterfangen. Denn historische Arbeiten zur Jagd, die ihren Gegenstand weder pauschal moralisch verurteilen noch die Jagd in apologetischer Weise zur anthropologischen Grundkonstante erklären, sind dünn gesät; ebenso Untersuchungen, die sich mit den vielfältigen ökologischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Aspekten der Jagd beschäftigen. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes sind daher Auswahl und Schwerpunktsetzungen unabdingbar.
Der Autor, ausgewiesen durch eigene Forschungen zur Jagd und Agrargeschichte des Mittelalters, nähert sich der Geschichte der Jagd in vier chronologisch geordneten Großkapiteln. Ausgehend von den Grundlagen in Frühgeschichte und Antike, beschreibt er die Entwicklung der höfischen Jagd in Mittelalter und Neuzeit, ehe er abschließend die "moderne Jagd im Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen und Gegensätze" (373) skizziert. Auch wenn gelegentlich Seitenblicke auf die Verhältnisse in England und Frankreich geworfen werden, verengt sich der Fokus der Darstellung vor allem ab der Neuzeit auf die deutschen Territorien.
Rösener versteht die Geschichte der Jagd als "bedeutenden Beitrag zu einer neuen Kulturgeschichte" (23). Damit ist allerdings nicht der erweiterte Kulturbegriff oder das methodische Instrumentarium der in den letzten Jahren unter der Sammelbezeichnung "Kulturgeschichte" firmierenden Ansätze gemeint, sondern die Tatsache, dass die Jagd in Mittelalter und Früher Neuzeit "nur im Kontext der höfischen Kultur mit ihren verschiedenartigen Bezügen richtig verstanden" (24) werden könne. Die höfische Jagdkultur steht folgerichtig im Mittelpunkt, ihre Darstellung nimmt zwei Drittel des Buches in Anspruch.
Die handbuchartige Unterteilung der Großkapitel nach chronologischen, regionalen oder inhaltlichen Gesichtspunkten ermöglicht insgesamt den schnellen Zugriff auf relevante Informationen und macht die Kapitel auch unabhängig voneinander les- und verstehbar. Angesichts der vom Autor identifizierten "Epoche des herrschaftlichen Jagdregals" (91) vom Hochmittelalter bis zur Revolution 1848/49 bleibt allerdings fragwürdig, warum die Analyse trotzdem durch die herkömmlichen Epochengrenzen von Mittelalter und Früher Neuzeit strukturiert wird, was störende Redundanzen zur Folge hat. Bedauerlicherweise verzichtet Rösener auch darauf, die großen Linien der Jagdgeschichte in einem eigenen Schlusskapitel noch einmal zusammenzufassen. Ein allerdings etwas knapp geratenes Glossar der wichtigsten jagdlichen Fachausdrücke erleichtert auch Laien und Nicht-Jägern den Zugang zur Materie. Ortschaften und Personen werden über ein Register erschlossen.
Im einleitenden Problemaufriss trägt der Autor kontroverse Stimmen und Einschätzungen der Jagd aus unterschiedlichen Jahrhunderten zusammen, diskutiert die wenigen Ergebnisse und vielen Lücken der bisherigen Forschung und unternimmt eine erste Annäherung an seinen Untersuchungsgegenstand. Auf der Suche nach konstanten Grundelementen, welche die Jagd über Jahrhunderte hinweg "zu einer beglückenden Beschäftigung" (12) gemacht hätten, findet Rösener Bedenkenswertes in den "Meditationen über die Jagd", die der spanische Philosoph José Ortega y Gasset 1944 anstellte. So liege ihre Faszination in der künstlichen Verlängerung einer "höchst archaischen Situation" (13) begründet, die ihren Reiz daraus beziehe, dass der Jagderfolg nicht selbstverständlich, die Überlegenheit des Jägers nicht absolut sei. Jagd sei eine künstliche Rückkehr zur Natur, die von den Jägern als Befreiung aus Alltag und gesellschaftlichen Zwängen empfunden werde. Weder adelt Rösener damit aber die Jagd zu einer anthropologischen Grundkonstante, noch gewinnt er aus derlei Überlegungen eine explizite Definition von "Jagd".
Implizit scheint er aber darunter das Verfolgen und letztendliche Töten von Tieren zu verstehen, ein Vorgang, der 99% der Menschheitsgeschichte entscheidend geprägt habe. Ausführlich diskutiert Rösener unter dem Schlagwort der "Jagdhypothese" (30) die Rolle der Jagd bei der Evolution und Vergesellschaftung des Menschen und greift dabei auf Ergebnisse der Archäologie und Paläoanthropologie zurück. Ihre fundamentale Bedeutung habe die Jagd erst während der mehrere tausend Jahre dauernden "neolithischen Revolution" mit ihrem Übergang zu festen Siedlungen, Tierzucht und Ackerbau verloren.
Dieser relative Bedeutungsverlust habe schon in den frühen Hochkulturen den Übergang von der "einfachen Nahrungsjagd zum höheren Jägertum" (71) ermöglicht. Mehr und mehr sei die Jagd ein Privileg des Herrschers geworden, worin Rösener bereits bei den Ägyptern eine der Hauptlinien der späteren europäischen Jagdkultur identifiziert. War in Europa die Jagd bei Germanen und Kelten noch prinzipiell frei, so beschnitten die Merowingerkönige seit dem 6. Jahrhundert die freie Jagdausübung durch die Einrichtung königlicher Forsten. In diesen Gebieten waren die Jagd und andere Nutzungsmöglichkeiten wie Holzeinschlag, Waldweide, Schweinemast oder Rodung dem König oder von ihm mit Jagd- oder Forstrechten belehnten Vasallen vorbehalten. Seit dem 9. Jahrhundert reklamierten die Könige auch das Jagdrecht in Gebieten, in denen ihnen das Recht an Grund und Boden nicht zustand. Der Wildbann wurde zu einem selbstständigen Herrschaftsprivileg und läutete besagte Epoche des herrschaftlichen Jagdregals ein, die in Deutschland erst 1848/49 beendet wurde.
Jahrhunderte lang stellte somit die Jagd ein Privileg der Fürsten und der Aristokratie dar, das der symbolischen Inszenierung von Macht diente und bei der sich Leidenschaft und Ritual verschränkten. Für das Mittelalter und die absolutistische Jagd der Frühen Neuzeit zeigt Rösener anschaulich und an vielen Beispielen, wie die Inszenierung der Jagd die ständische Gesellschaftsordnung abbildete. Anhand von Bildern aus illuminierten Handschriften, die dem Buch teilweise als farbige Illustrationen beigegeben sind, gelingt es ihm nachzuweisen, dass die Damen der höfischen Welt an der mittelalterlichen Beizjagd nicht nur als Zuschauerinnen beteiligt waren, sondern die Jagd auch aktiv ausübten. Gleiches galt im Rahmen der absolutistischen Prunkjagden. Zumindest einzelne Fürstinnen und Königinnen standen ihren Männern bei der Jagd in wenig nach. So berichtet Rösener von wahren Massakern unter Hasen, welche die Kurfürstin Elisabeth Augusta von der Pfalz im ausgehenden 18. Jahrhundert veranstaltet habe. Die Landbevölkerung hingegen blieb in den meisten Gegenden von der Jagdausübung ausgeschlossen. Bauern mussten oft tatenlos zusehen, wie das fürstlich gehegte Wild Ernten und Felder verwüstete und waren darüber hinaus den Fürsten noch zu Fronen und Scharwerk verpflichtet. Die übermäßige Belastung durch Jagdfronen gehörte daher nicht von ungefähr zu den im Bauernkrieg vorgebrachten Beschwerdepunkten, und als in der Paulskirche 1848 die Verfassung eines zu bildenden deutschen Nationalstaats diskutiert wurde, befassten sich 13% der eingegangenen Petitionen allein mit Fragen des herrschaftlichen Jagdrechts.
So enzyklopädisch Rösener die Jahrhunderte der ständisch privilegierten Jagd behandelt, so enttäuschend fallen die 17 Seiten aus, die der modernen Jagd nach 1848/49 eingeräumt werden. Die im letzten Kapitel vorgestellten Diskussionen der Gegenwart - Konflikte um Waldschutz und Wildhege, Trophäenjagd und ökologische Jagdauffassung, Jagd und Naturschutz wirken wie ein Fremdkörper im Buch, da auf ihre historische Einordnung und Problematisierung verzichtet wird. Die hundert Jahre zwischen Ablösung der Jagdprivilegien und dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 finden jagdgeschichtlich in der Darstellung praktisch nicht statt. Wichtige Entwicklungen bleiben somit unterbelichtet, wie beispielsweise die Genese der Jagdkritik aus ethisch-moralischer Perspektive. Rösener erklärt die gegenwärtige Ablehnung der Jagd mit einem pauschalen Wertewandel in einer "Zeit der Friedenssehnsucht und der anwachsenden Tötungskriminalität" (14); auf zu Grunde liegende Wandlungen im Mensch-Tier-Verhältnis seit der Aufklärung oder den Anteil der Reformbewegungen um 1900 geht er nicht ein. Und nicht nur die Wurzeln des Biosphärenreservats Schorfheide in einem ehemalig kaiserlichen Jagdrevier legen nahe, dass es zwischen Jagd, Naturschutz und Umweltbewusstsein komplexere Beziehungen gibt und gab, als die von Rösener anklagend ins Feld geführte Ausrottung vieler Tierarten durch übermäßige Bejagung.
Das Fazit fällt daher zwiespältig aus: Liefert das Buch vor allem zum Mittelalter einen kenntnisreichen und unterhaltsamen Überblick über die Jagd als integralen Bestandteil der höfischen Kultur, so weisen die Ausführungen über die moderne Jagd erhebliche Lücken auf, und auch umweltgeschichtliche Fragestellungen, wie die Zusammenhänge von Jagd und Umweltbewusstsein oder Jagd und ihre Kritik als Gradmesser für das Mensch-Tier-Verhältnis in der Geschichte, werden allenfalls gestreift.
Bernhard Gißibl