Raoul Zühlke: Bremen und Riga: Zwei mittelalterliche Metropolen im Vergleich (= Arbeiten zur Geschichte Osteuropas; Bd. 12), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002, 344 S., ISBN 978-3-8258-5789-9, EUR 25,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Komparatistische Ansätze gewinnen zu Recht in der Forschung zunehmend an Bedeutung, kann man doch im Vergleich die Besonderheiten des Einzelfalls besser erkennen. So ist der Ansatz der vorliegenden Arbeit, einer von Frank Kämpfer betreuten Münsteraner Dissertation, durchaus sinnvoll, die beiden Hansestädte Bremen und Riga gegenüberzustellen, auch wenn es sich in einem Fall, dem Bremens, um eine seit dem 8. Jahrhundert gewachsene, im anderen, dem Rigas, um eine im 12. Jahrhundert gegründete Stadt handelt und auch wenn die Literaturlage für Riga in mancher Hinsicht ungünstiger ist. Denn eine Reihe von Parallelen ist offenkundig: neben der Mitwirkung in der Hanse (die bei Bremen allerdings vor 1358 längere Zeit unterbrochen war) zum Beispiel die Lage an einer Flussmündung sowie am Meer, die Einbindung in den Fernhandel und - politisch - die Abhängigkeit von geistlichen Gewalten, speziell von den jeweiligen Erzbischöfen. Dazu kommen vergleichbare Entwicklungen in den Stadtverfassungen, bis hin zu einer fast gleichzeitigen Ausbildung des Rats. Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Arbeit bewusst auf geografische und verfassungsrechtliche Aspekte, bezieht aber auch wirtschaftliche und kirchliche Fragen ein, zumal sich die Kennzeichnung Bremens und Rigas als "Metropolen" auf ihre Rolle als Sitz von Erzbistümern bezieht (4).
Die Arbeit ist in zwei größere Teile gegliedert. Im ersten (9-172) werden "Bremen und Riga im chronologischen Vergleich" gegenübergestellt, der zweite (173-281) unternimmt einen "systematischen Vergleich". Raoul Zühlke beschreibt zunächst - in stetem Wechsel zwischen beiden Städten - ihre Frühgeschichte, die Anfänge des Stadtrechts und die Ausbildung der Ratsverfassung (etwa bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts), um dann in einem zweiten Schritt nacheinander die Verfassungsentwicklung Bremens und Rigas bis zum ausgehenden Mittelalter zu verfolgen. In Exkursen wird dabei auf weitere Parallelen beziehungsweise auf Sonderentwicklungen hingewiesen, zu Bremen auf die Emanzipation Kölns von seinem erzbischöflichen Stadtherrn, zu Riga auf den Vorbildcharakter der Neugründung Lübecks sowie auf die Beziehungen zum Schwertbrüderorden. Für Riga ist die Entwicklung des 14. und 15. Jahrhunderts allerdings - angesichts der Literaturlage - nur in einem Ausblick zusammengefasst.
Im zweiten Teil setzt sich der Verfasser zunächst mit dem Raum auseinander, mit der Lage der Städte, mit den Handelswegen, speziell mit Weser und Düna, sowie mit dem Handel um 1300. Dann folgt ein etwas irreführend mit "Umwelt" überschriebener Absatz, der alle Felder abdecken soll, "die auf die Ausprägung der Stadt als System einwirkten" (241), und die Rolle der Kirche sowie die Differenz zwischen "Altsiedelland" (Bremen) und "Kolonialland" (Riga) thematisiert. Was unter "System" verstanden wird, klärt wiederum der folgende Abschnitt zur Entwicklung der Ratsverfassung und zu den Stadtrechten (die - ausgehend vom in beiden Fällen einflussreichen Hamburgischen Stadtrecht - am Ende auch tabellarisch gegenübergestellt sind). Nach dem knappen Schluss bieten die Anhänge unter anderem ein Register der geografischen und Personennamen.
Auch wenn die Liste der Quellen 68 Titel umfasst (die der Literatur nennt 348 Titel, darunter die unwissenschaftliche Arbeit Zimmerlings über die Hanse, allerdings nur wenige zum Beispiel aus den baltischen Ländern und aus Polen), steht eindeutig die Verwertung der Literatur im Vordergrund, die vielfach nur, wenn auch in der Regel auf dem neuesten Stand, zusammenfassend diskutiert wird. Dabei erlaubt schon das weitgehend analoge Vorgehen für beide Städte tragfähige Vergleiche, und in den komparativen Abschnitten, etwa zur Ausbildung des Rats ("der vollmächtige Rat auf der einen steht einem beschränkten Rat auf der anderen Seite gegenüber" 94), zur räumlichen Typologie (Vorrang der "Isolations- beziehungsweise Flügellage" gegenüber der Flusslage als gemeinsamem Charakteristikum, 240) und zur Differenz zwischen Altsiedelland und Kolonialland (gemeinsame Entwicklungen resultieren aus einem gemeinsamen, größeren Umfeld, 254) kommt Zühlke zu interessanten Ergebnissen. Enttäuschend ist dann jedoch der zu knappe Schlussteil, der - trotz "bemerkenswerte(r) Ähnlichkeit zwischen Bremen und Riga" - noch einmal infrage stellt, "ob das Herausarbeiten der Gemeinsamkeiten überhaupt sinnvoll ist oder ob nicht vielmehr die Betonung auf den Unterschieden liegen sollte" und der sich auf "ein paar Gedanken" zur "Bedeutung der Chronologie für die Komparatistik" beschränkt (280). Sieht man einmal von den recht zahlreichen Fehlern vor allem in den Anmerkungen ab (besonders unglücklich aber im Text unter anderem "Probst" und "Domprobst", 103, und "marcae agenti", 132), vergibt gerade dieser Schlussteil die Möglichkeit, den viel versprechenden Ansatz angemessen zu nutzen. Ungeachtet dieser Kritik bietet dieses Werk jedoch viele Anregungen und einen sinnvollen Überblick über zentrale Aspekte der mittelalterlichen Entwicklung beider Städte.
Jürgen Sarnowsky