Dieter Bauer / Klaus Herbers / Nikolas Jaspert (Hgg.): Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigungen - Vorstellungen und Vergegenwärtigungen (= Campus Historische Studien; Bd. 29), Frankfurt/M.: Campus 2002, 492 S., 44 Abb., ISBN 978-3-593-36851-1, EUR 56,00
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Jerusalem spielte im Bewusstsein der mittelalterlichen Menschen eine zentrale Rolle, insbesondere als Ort des Leidens und der Wiederkehr Christi, aber auch - zumindest während zweier Jahrhunderte - als tatsächliches oder ideelles Zentrum der christlichen Kreuzfahrerherrschaft im Heiligen Land. 1999 bot die Erinnerung an die Eroberung Jerusalems durch den Ersten Kreuzzug neun Jahrhunderte zuvor vielerorts den Anlass, sich mit den Kreuzzügen, dem Heiligen Land und eben auch Jerusalem auseinander zu setzen. Der vorliegende Band vereint die Ergebnisse zweier zu diesem Themenkomplex organisierter Veranstaltungen, einer Ringvorlesung an der Universität Erlangen-Nürnberg unter dem Titel "1099-1999: Jerusalem im lateinischen Westen: Vorstellungen und Vergegenwärtigungen" sowie einer Tagung in Weingarten zum Thema "Jerusalem im lateinischen Osten: Konflikte und Konfliktregelung". Die Gliederung des Bandes spiegelt diese Zweiteilung wider, nur die kurze Einleitung sowie der abschließende Beitrag von Klaus Herbers schlagen eine Brücke.
Den Anfang des ersten Teils bildet ein Aufsatz von Christoph T. Maier (Konfliktbewältigung und Kommunikation: Neues zum Kreuzzugsaufruf Urbans II.; 13-30), der die Berichte über die Predigt Urbans II. im Hinblick auf die "Performanz" des Papstes analysiert. Durch seine Gesten und Tränen evozierte Urban Trauer, um dann Handeln zu fordern. Im Ergebnis verstanden sich die Teilnehmer des Kreuzzugs, wie selbst die Pogrome zeigen, als Streiter Gottes und den Kreuzzug als Kriegszug Christi.
Kaspar Elm (Die Eroberung Jerusalems im Jahre 1099. Ihre Darstellung, Beurteilung und Deutung in den Quellen zur Geschichte des Ersten Kreuzzugs; 31-54) wendet sich dem häufig als Beleg für den gewalttätigen und expansiven Charakter der Kreuzzüge angeführten Blutbad bei der Eroberung Jerusalems zu, verweist auf zeitgenössische Parallelen bei der Eroberung von Städten, die sich einer freiwilligen Übergabe widersetzt hatten, und stellt die in den Quellen genannten Zahlen infrage. Es ging den mittelalterlichen Chronisten in erster Linie darum, den Erfolg der Kreuzfahrer in Jerusalem als eindrucksvollen Sieg zu schildern. Dafür bedienten sie sich biblischer Topoi, etwa des apokalyptischen Bilds vom Blut bis zu den Zügeln der Pferde, oder griffen auf Elemente der Darstellung bei Flavius Josephus zurück.
Marie-Luise Favreau-Lilie ('Multikulturelle Gesellschaft' oder 'Persecuting Society'? 'Franken' und 'Einheimische' im Königreich Jerusalem; 55-93) untersucht unter anderem das durch Spannungen und Landflucht geprägte Verhältnis zwischen Grundherren und Bauern, die rechtliche Situation in den Städten, die Stellung der muslimischen Sklaven, schließlich den Einfluss der christlichen Mission, und verneint ihre Ausgangsfrage doppelt: Die Kreuzfahrerstaaten waren aufgrund verschiedener Abgrenzungen keine multikulturelle Gesellschaft, sie bildeten aber angesichts der rechtlichen Regulierungen ebenso wenig eine 'persecuting society'.
Rudolf Hiestand ('Pacem in omnibus servare'. Konflikte und Konfliktlösungen in der lateinischen Kirche der Kreuzfahrerstaaten; 95-118) setzt sich mit Zehntstreitigkeiten, hierarchischen Konflikten sowie Auseinandersetzungen zwischen den Ritterorden und dem lokalen Klerus auseinander und zeichnet die verschiedenen Lösungswege und -hindernisse nach. Dabei hebt er die innere, durch Existenzkämpfe geprägte Unruhe hervor, die auch durch päpstliche Eingriffe nicht eingedämmt werden konnte.
Johannes Pahlitzsch und Dorothea Weltecke (Konflikte zwischen den nicht-lateinischen Kirchen im Königreich Jerusalem; 119-145) widmen sich den Konflikten zwischen den zahlreichen Konfessionen der orientalischen Christen, Griechisch-Orthodoxen, Maroniten, Georgiern und Melkiten sowie Syrern, Armeniern, Kopten und Nestorianern. Hauptkontrahenten waren Griechisch-Orthodoxe und nicht-chalkedonische Syrer sowie Armenier, doch führte die durchgängige ethnische und kulturelle Heterogenität letztlich zu einer Brüchigkeit aller Konfessionen.
Jonathan Phillips (Konfliktlösungen im lateinischen Orient. Politik, Patriarchen und Heiratsabkommen [1099-1187]; 147-163) beleuchtet diplomatische Konfliktlösungen und Regelung von Thronfolgeproblemen durch dynastische Ehen im Königreich Jerusalem sowie im Fürstentum Antiochia und verweist insbesondere auf die Einbindung des Patriarchen.
Jochen Burgtorf (Die Ritterorden als Instanzen zur Friedenssicherung?; 165-200) hebt nur auf den ersten Blick überraschend die vielfach friedenssichernde Rolle der Ritterorden sowohl im Inneren der Kreuzfahrerstaaten als auch nach außen hervor, durch die Anlage oder Behauptung von Festungen sowie durch die Vermittlung oder Garantie von Waffenstillständen oder Friedensschlüssen.
Der zweite Teil beginnt mit dem Beitrag von Hartmut Bobzin (Jerusalem aus muslimischer Perspektive während der Kreuzfahrerzeit; 203-217). Dieser wendet sich den Bezeichnungen Jerusalems, der Erwähnung der Stadt und des Heiligen Landes im Koran sowie der Rolle Jerusalems und des Felsendoms als Wallfahrtsziel zu und folgert, dass Jerusalem für die islamische Welt erst im Verlauf der Kreuzzüge heiligen Charakter gewann.
Nikolas Jaspert (Vergegenwärtigungen Jerusalems in Architektur und Reliquienkult; 219-270) beschäftigt sich mit der Vorbildhaftigkeit Jerusalems und der Grabeskirche. Er hebt die besondere Rolle der Kanoniker vom Heiligen Grab für die Rundkirchen sowie für die Verbreitung in Jerusalem gefertigter Kreuzreliquiare vor allem in Spanien hervor, auch wenn die Kanoniker oft erst nachträglich in von Laien errichtete Kirchenbauten geholt wurden.
Ingrid Baumgärtner (Die Wahrnehmung Jerusalems auf mittelalterlichen Weltkarten; 271-334) geht anhand vieler Kartenbeispiele der Verortung und Darstellung der Stadt auf Weltkarten nach. Eine Ausrichtung der Karten auf Jerusalem trat danach erst mit der Oxford-Karte aus dem 12. Jahrhundert, als direkte Auswirkung der Kreuzzüge, auf. Mit dem Verlust Jerusalems rückte die Stadt schließlich auch mehrfach geografisch ins Zentrum.
Peter Christian Jacobsen (Die Eroberung von Jerusalem in der mittellateinischen Dichtung; 335-365) sieht einen Wandel zum Ausgang des 12. Jahrhunderts, als die Rückeroberung der Stadt ins Zentrum der untersuchten Texte trat. Peter Orth (Papst Urbans II. Kreuzzugsrede in Clermont bei lateinischen Schriftstellern des 15. und 16. Jahrhunderts; 367-405) hebt dagegen die prägende Rolle der Darstellung in den 'Dekaden' Flavio Biondos hervor. Hartmut Kugler (Nicht nach Jerusalem. Das Heilige Land als Leerstelle in der mittelhochdeutschen Epik der Kreuzfahrerzeit; 407-422) sieht die fehlende Erwähnung Jerusalems weniger in Desinteresse oder in antirömischer Tendenz der Autoren als vielmehr in der epischen Besetzung des Themas durch die Bibeldichtung begründet.
Den Abschluss des interessanten, durch ein Register der Orts- und Personennamen erschlossenen Bandes bildet, wie angesprochen, das Resümee von Klaus Herbers (Die Eroberung Jerusalems 1099: Ergebnisse und Perspektiven; 423-66). Dieser deutet die Erträge unter dem Aspekt des - auch im Erlanger Graduiertenkolleg untersuchten - Kulturtransfers und formuliert abschließend mit einiger Zurückhaltung die These, dass auch Gewalt und Kriege zu neuen kulturellen Prägungen, und damit zu kulturellem Austausch, beitragen können. Die Beiträge des gelungenen Sammelbandes werden sicher der Forschung vielfältige Anstöße vermitteln.
Jürgen Sarnowsky