Valeska von Rosen / Klaus Krüger / Rudolf Preimesberger (Hgg.): Der stumme Diskurs der Bilder. Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, 336 S., 90 Abb., ISBN 978-3-422-06413-3, EUR 39,90
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Im Bereich der Forschungen zur Frühen Neuzeit genießt in jüngerer Zeit ein Thema große Aufmerksamkeit: die Selbstreflexion des Kunstwerks. Maßgeblich angeregt wurde dieses Interesse durch Hans Belting und Victor I. Stoichita, die in "Bild und Kult" (München 1990) und "L'instauration du Tableau" (Paris 1993; "Vom Ursprung der Metamalerei", München 1998) den einsetzenden Prozess der Ausdifferenzierung der Kunst, der Emanzipation von ihren sakralen Funktionen behandelt haben. Den Forderungen der Dekonstruktion und der "visual studies", die Beschränkung auf den Kanon der Kunstgeschichte aufzugeben, wurde damit insofern Genüge getan, als auf diesem Wege nicht-ästhetische Funktionen von Artefakten und die Umwelt des Systems Kunst ins Blickfeld gerieten. Zugleich aber zeigten diese Studien zur Genese des modernen Kunstbegriffs, dass die in der Tradition der europäischen Avantgarden für die Kunst konstitutiv gewordene Selbstreflexivität keine Errungenschaft der Moderne und die Geschichte der Kunst nicht bloß ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts ist.
Zu dem genannten Themenkomplex ist 2003 der von Valeska von Rosen, Klaus Krüger und Rudolf Preimesberger herausgegebene Band "Der stumme Diskurs der Bilder" mit den Beiträgen einer Tagung erschienen, die 2000 an der FU Berlin stattfand. Ihr Ziel war es, "Möglichkeiten und Grenzen einer Bestimmung der Theoriehaltigkeit des Kunstwerks [...] zur Sprache zu bringen" (7). In ihren "Einleitenden Überlegungen" führt Valeska von Rosen dazu aus, mit Blick auf die "spezifische Diskursivität von Bildern" gelte es, Kunsttheorie und künstlerische Praxis nicht als distinkte, sondern als dialogisch aufeinander bezogene Bereiche zu betrachten (12). Die insgesamt 13 Beiträge leisten dies auf unterschiedliche Weise. Sie konzentrieren sich auf einzelne oder Gruppen von Werken, auf epistemologische Epochenmerkmale und Bruchstellen und zeichnen längere Entwicklungslinien nach.
Klaus Krüger behandelt in seinen Beitrag "Das Sprechen und das Schweigen der Bilder" zunächst mittelalterliche Gemälde, die wunderbarer Weise gesprochen haben sollen. Wurde im Trecento eine solche 'Sprachmacht' des Bildes durch gemalte Schrift, unter anderen Schriftbänder mit biblisch verbürgten Aussprüchen des Bildpersonals, angestrebt, so bediente man sich fortan zu diesem Zweck bildrhetorischer Mittel, sprechender Gesten, Blicke und Affektdarstellungen. Das dabei entwickelte Bewusstsein für das genuine Vermögen der lautlos beredsamen Malerei belegt Krüger eindrucksvoll an Darstellungen schweigender Heiliger, nämlich Antonello da Messinas "Verkündigungsjungfrau" und einem "Ecce homo" Riberas, die das Mysterium der Inkarnation und das Verständnis Gottes als eines verbum silens vor Augen führen.
Petrarcas Besteigung des Mount Ventoux, den Gründungsakt der ästhetischen Erfahrung der Welt als Landschaft, setzt Karlheinz Stierle in Bezug zu den ein Jahrhundert später von Jan van Eyck geschaffenen Weltlandschaften, insbesondere der im Hintergrund der "Madonna des Kanzlers Rodin". In ihnen sieht Stierle bildliche Äquivalente der durch den "linguistic turn des Nominalismus" (123) ermöglichten Entdeckung Petrarcas "einer offenen Welt der unabsehbaren Vielfalt des von keiner Seinshierarchie mehr gebändigten Einzelnen" (119). Seinen Brückenschlag zwischen dem 'Vater des Humanismus' und dem 'nordischen Maler des Spätmittelalters' untermauert der Autor, indem er an Vorläufern der Landschaften van Eycks belegt, dass über den Papsthof in Avignon ein möglicher Rezeptionsweg von Petrarca zu diesem führte.
Ulrich Pfisterer stellt dar, dass Filarete in der Bronzetür des Hauptportals von St. Peter unterschiedliche Darstellungsmodi angewandt hat. Wie zeitgenössische Historiografen differenzierte er dabei zwischen den Ereignissen mythischer Vorzeit (poesia), vergangener (historia) und zeitgenössischer Geschichte (commentarius). Die zunehmende Bedeutung der bildlichen Überlieferung geschichtlicher Ereignisse belegt Pfisterer mit Zitaten von Manuel Chrysoloras, Cyriacus d'Ancona und anderen, die solchen Zeugnissen der Vergangenheit mehr Glaubwürdigkeit zusprachen als den literarischen.
In ihrem Beitrag "Petrarkistische Theorie oder künstlerische Praxis?" behandelt Marianne Koos lyrische Männerporträts Tizians und seiner Zeitgenossen. Sie zeigt, dass solche Bildnisse "introvertierte[r], von inneren Reflexionen absorbierte[r] Subjekt[e]" (56) zwar durch poetische Konzepte des Petrarkismus angeregt wurden, zugleich aber ein entwickeltes Bewusstsein der genuinen Möglichkeiten der Malerei bekunden, wie es Leonardo in seinen Ausführungen zum Paragone der Künste artikuliert hat. (Man wundert sich, dass die Autorin nicht sein einschlägiges Wort von der Dichtung als einer "blinden Malerei" zitiert hat, der Matthias Corvinus ein Bildnis seiner Geliebten vorgezogen habe.) Dem Kalkül einer solchen Malerei, die mit den nicht lesbaren Gedanken der Porträtierten selbstbewusst Grenzen der Beobachtung thematisierte, geht Hannah Baader an dem änigmatischen "Porträt des Mathematikers Luca Pacioli" von Jacopo de' Barbari nach. Die Utensilien, Buch, Tafel, Schreibzeug und geometrische Körper, weisen auf die Tätigkeit und Lehrsätze des Wissenschaftlers hin, den eine "Bildstrategie des Geheimnisvollen" (196) gleichwohl als Hüter eines Arkanwissens erscheinen lässt.
Gerhart Schröder behandelt die "pittura licenziosa e ridicula" (Vasari), die in der Renaissance wieder belebte Groteskenmalerei. Als uneindeutiges, rätselhaftes und unsinniges Fantasieprodukt, das den Prozess der Gestaltbildung als Spiel von Einfall und Zufall anschaulich macht, stellt sie eine Umkehrung von Albertis Definition des Bildes mit seiner lesbaren historia dar. Darauf hinweisend, dass Montaigne seine "Essais" mit Grotesken verglichen hat, will Schröder diese gleichwohl nicht als randständiges Phänomen begreifen, sondern als Folgeerscheinung eines Erosionsprozesses und epistemologischer Voraussetzungen, unter denen die Literatur und Malerei des 16. Jahrhunderts Formen der Diskursivität ausbildete, "die ständig der Materialität der Zeichen, mit denen sie operieren, und der medialen Voraussetzung des Diskurses inneblieben." (214)
"Der Tastsinn im Paragone der Künste" ist Thema des Beitrags von Hans Körner, der zeigt, wie Maler und Bildhauer in ihren Werken zu dieser Debatte Stellung bezogen und damit auch zu ihrem steigenden Reflexionsniveau beigetragen haben. Im Zentrum seiner Ausführungen steht der "Bacchus", mit dem Jacopo Sansovino Michelangelos "Trunkenen Bacchus" zu übertreffen suchte, unter anderem durch die technische Meisterleistung des hochgestreckten Armes, wie er ihn ähnlich zuvor am "Laokoon" rekonstruiert hatte.
Rudolf Preimesberger erörtert in seinem Beitrag über Caravaggios "Amor vincitore" die allusive Struktur dieses Werks, das er als eine gemalte Imprese des Auftraggebers deutet. Die Haltung Amors führt er auf Michelangelos Figur des Bartholomäus im "Jüngsten Gericht" zurück - ihre "irritierend unangemessene" Übertragung auf ein ganz anderes Sujet sei eine "selbstgestellte Schwierigkeit" (difficoltà) (257). Unverständlich ist, dass der Autor die ähnliche Beinhaltung des Ganymed in Michelangelos Zeichnung für Tommaso de' Cavalieri, die polemisch zu zitieren, wie unlängst noch einmal Jutta Held betont hat, inhaltlich nahe liegend war, nicht erwähnt.
Mit Caravaggio befassen sich auch die Beiträge von Nicola Suthor, die die "Verschränkung von Körper und Bild" (261) in seiner und weiteren Darstellungen des "Ungläubigen Thomas" sowie Pontormos "Noli me tangere" untersucht, und Nevenka Kroschewski, die die Caravaggio-Rezeption des Seicento dekonstruiert und die Lehrmeinung, dass der Maler nicht gezeichnet habe, zu widerlegen sucht.
Unter dem Titel "Goya als Prinzenmacher" behandeln Victor I. Stoichita und Anna Maria Coderich "Die Familie des Infanten Don Luis", in der der Maler in Anlehnung an die "Meninas" sich selbst darstellte und die Inszenierung des Gruppenporträts transparent machte. Wurde dieses Frühwerk oft als missglückte Arbeit bewertet, so können die Autoren verdeutlichen, dass es sich bei ihm um einen programmatischen Entwurf einer neuen, auf Lavaters Physiognomielehre fußenden Porträtmalerei handelt. Mit Vergnügen liest man, wie Goya mit der Arbeit des Frisörs der Maria Theresa de Vallabriga zugleich einen blinden Fleck Lavaters angesprochen und mit dem Motiv des Kartenziehens auf die ungeklärte Frage der Thronnachfolge angespielt hat.
Weitere Beiträge von Wolf-Dietrisch Löhr über Claude Mellans Frontispiz der "Amours" Ronsards und von Valeska von Rosen über die Dialogform von Kunsttraktaten des Cinquecento runden das Spektrum des Bandes ab. Keine Frage, die Qualität seiner Beiträge lohnt die Lektüre. Zugleich zeigt dieses Buch aber auch, dass die Erforschung selbstreflexiver Kunst, zumal in der von Valeska von Rosen mit großem Sendungsbewusstsein propagierten diskursarchäologischen Ausrichtung, zu einem zwar anspruchsvollen, jedoch rein geistesgeschichtlichen Unternehmen zu verarmen droht. Signifikant ist in dieser Hinsicht, dass die Rezipienten, die nicht erst seit Castigliones Zeiten im Dialog mit der beredten Kunst ihre gesellige ars conversationis demonstrierten, in keinem der Beiträge eine nennenswerte Rolle spielen. Diese behandeln die Kunst der Künstler, Dichter und Humanisten, nicht die der Gesellschaft. Wer sich für die Ausdifferenzierung der Kunst interessiert, wird jedoch nicht nur auf die Episteme und den "Dialog der Bilder" zu achten haben, sondern mit Blick auf die durch ihn angeregte Kommunikation über das Kunstwerk und die Künste den Kreis schließen müssen.
Wolfgang Brassat