Rezension über:

Thomas P. Campbell / Elizabeth A.H. Cleland (eds.): Tapestry in the Baroque. New Aspects of Production and Patronage, Metropolitan Museum of Art Symposia, New Haven / London: Yale University Press 2010, 359 S., ISBN 978-0-300-15514-3, USD 40,00
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Rezension von:
Wolfgang Brassat
Kunstgeschichtliches Institut der Universität Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Brassat: Rezension von: Thomas P. Campbell / Elizabeth A.H. Cleland (eds.): Tapestry in the Baroque. New Aspects of Production and Patronage, Metropolitan Museum of Art Symposia, New Haven / London: Yale University Press 2010, in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 11 [15.11.2012], URL: https://www.sehepunkte.de
/2012/11/20070.html


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Thomas P. Campbell / Elizabeth A.H. Cleland (eds.): Tapestry in the Baroque

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Nachdem 2002 im Metropolitan Museum of Art in New York die große Ausstellung Tapestry in the Renaissance: Art and Magnificence zu sehen war, präsentierte dasselbe Haus 2007/2008 das ebenso ambitionierte Nachfolgeprojekt, die Ausstellung Tapestry in the Baroque: Threads of Splendor, die danach auch im Palacio Real in Madrid gezeigt wurde. Begleitend zu ihr veranstaltete das Museum ein Symposium, dessen Akten 2010 unter dem Titel Tapestry in the Baroque. New Aspects of Production and Patronage erschienen sind. In seiner Einleitung erläutert der Herausgeber Thomas P. Campbell das Konzept der von ihm initiierten Ausstellung, in der man abermals darauf verzichtete, ganze Bildteppichfolgen auszustellen, um anhand einer exquisiten Auswahl einzelner Stücke einen repräsentativen Überblick über die Geschichte der Tapisserie von ca. 1580-1720 und ihrer wichtigsten Produzenten in Brüssel, Delft, München, Paris, Mortlake, Florenz, Rom und Beauvais zu geben. Wie die thematisch weit gefasste Vorgabe "Aspects of Production and Patronage" erwarten ließ, beleuchten die weiteren 14 Beiträge der umfangreichen, mit 241 überwiegend farbigen Abbildungen aufwändig ausgestatteten Publikation zahlreiche Facetten der Geschichte der barocken Tapisserie, wobei ihre durchgehend hohe Qualität die Lektüre dieses Buches zu einem lohnenden Unterfangen macht.

Mit den von Henri Lerambert sowie Laurent Guyot entworfenen Coriolanus-Teppichen befasst sich Isabelle Denis. Sie interpretiert diesen im Auftrag Heinrichs IV. entstandenen Zyklus, von dem nicht nur in der Pariser Manufaktur im Faubourg Saint-Marcel, sondern später auch in Tours mehrere Editionen ausgeführt wurden, als Warnung an den französischen Adel, sich nach dem Ende des Bürgerkriegs nicht dem König zu widersetzen.

In seinem Beitrag "Tales from the Tapestry Collection of Elector Palatine Frederick and Elizabeth Stuart, the Winter King and Queen" behandelt Hanns Hubach die einst berühmten Bestände der Heidelberger Pfalzgrafen und Herzöge, die 1613, als Friedrich V. Elizabeth Stuart heiratete, auf über 500 Tapisserien angewachsen waren. Neben bedeutenden Zyklen aus diesem Bestand und dem der englischen Krone wurden bei der Hochzeitsfeier in London auch die berühmten, 1592-95 in Delft gewebten Stücke mit dem "Sieg über die spanische Armada" aus dem Besitz von Lord Howard of Effingham präsentiert - eine Brüskierung der Habsburger, die die Botschafter Spaniens und der südlichen Niederlande bewog, der Feier fern zu bleiben.

Anhand der Matrikeln Brüsseler Pfarrkirchen konnte Koenraad Brosens einen genauen Stammbaum der Familie Raes erstellen, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht weniger als 29 Tapisseriefolgen herstellte, darunter Editionen der von Rubens entworfenen Decius Mus-, Eucharistie- und Achill-Teppiche. Wie der Autor darlegt, wurde nach dem frühen Tod von Jan Raes d.J. im Jahr 1634 Daniel Eggermans d.Ä. Manager der Manufaktur, bis nach seinem Tod 1642 wieder Jan Raes d.Ä. die Führung des Unternehmens übernahm. Die von Rubens' Schwiegervater Nicolas Fourment in Auftrag gegebene Editio Princeps der Achill-Teppiche wurde in der Zeit der Interims-Leitung von Eggermans 1639-42 hergestellt, was darauf schließen lässt, dass Rubens' Skizzen und die Kartons 1638/39, also nach den Gemälden für die Torre de la Parada, entstanden sein müssen.

Ebenfalls mit Rubens-Textilien, nämlich mit zwei Antependien, die der Brüsseler Wirker Jan de Clerck für die Jesuiten in Rom und Genua ausgeführt hat, befasst sich Ingrid de Meûter in ihrem Beitrag "An Altar Frontal for the Jesuit Church in Rome after an Unknown Design by Rubens". Der ältere dieser beiden extrem aufwändigen, die "Beschneidung Christi" zeigenden Behänge mit Gold- und Silberfäden war für Il Gesù bestimmt.

Manufaktur des Jan de Clerck nach P.P. Rubens (?): Antependium mit der

Abb. 1: Manufaktur des Jan de Clerck nach P.P. Rubens (?): Antependium mit der "Beschneidung Christi", 1636, Tapisserie, 91 x 295 cm, Privatbesitz.

Er wurde 1636 geliefert, 1639 von Antonio Gerardi als von Rubens entworfenes Werk beschrieben und in den Inventaren der Kirche bis 1840 aufgeführt, dann gelangte er in Privatbesitz. Das zweite Antependium wurde 1644 für die Jesuitenkirche Sant'Ambrogio e Andrea in Genua ausgeführt, in deren Besitz es bis heute ist. Da seine Darstellung fast identisch ist mit der eines um 1640 entstandenen Gemäldes von Cornelis Schut in der Antwerpener Jesuitenkirche, ist anzunehmen, dass dieser der Urheber des Kartons war. Schut hat diesen offenbar auf der Grundlage des älteren Kartons des Il-Gesù-Antependiums angefertigt, dessen Darstellung er im Sinne eines gefälligen Klassizismus veränderte. Mit guten Gründen vertritt Ingrid de Meûter die These, dass der Entwurf für das erste Antependium von Peter Paul Rubens stammte. Neben stilistischen Kriterien spricht für seine Urheberschaft auch die ikonografische Innovation einer "Beschneidung Christi", die nicht im Tempel, sondern an der Geburtsstätte in Bethlehem inmitten eines Reigens von Engeln mit Passionswerkzeugen stattfindet.

Florence Patrizi behandelt die Bildteppichbestände der Colonna, über die das 188 Behänge aufführende Nachlassinventar des Lorenzo Onofrio Colonna von 1689 Auskunft gibt. Darunter waren viele heraldische Stücke, eine Pariser Artemisia-Folge mit einem zusätzlichen Stück, das eine römische Manufaktur um 1672 nach einem historisierenden Karton von Francesco Rossi ausgeführt hatte, und eine Le Brunsche Alexander-Folge einer unbekannten Brüsseler Manufaktur.

Die Barberinischen Apollo-Teppiche deutet James G. Harper als "Allegory of Rise, Fall, and Return". Die fünf Tapisserien mit kleinfigurigen Bilderzählungen, die 1659-65 in der Barberinischen Manufaktur in Rom nach den Kartons von Clemente Maioli gewebt wurden - heute sind sie auf Sammlungen in Lausanne, Rom, Paris und Minneapolis verstreut -, waren der erste Auftrag von Francesco Barberini nach seiner Rückkehr aus dem Exil.

Barberinische Manufaktur nach Clemente Maioli: Apoll und Daphne, 1659-60, Tapisserie, 420 x 470 cm, Lausanne, Fondation Toms Pauli.

Abb. 2: Barberinische Manufaktur nach Clemente Maioli: Apoll und Daphne, 1659-60, Tapisserie, 420 x 470 cm, Lausanne, Fondation Toms Pauli.

Sie zeigen die Motive: Apoll und Daphne, Latona verwandelt die Lykischen Bauern in Frösche, Apoll und Merkur tauschen Geschenke, die Schindung des Marsyas und Apoll und die Musen auf dem Parnass. Wie Harper überzeugend ausführt, repräsentieren sie in allegorischer Form den Machtverlust des Kardinalnepoten nach dem Tod von Papst Urban VIII., sein Exil, die Aussöhnung mit den Pamphili, die seine Rückkehr nach Rom ermöglichte, die Rückerstattung der Barberinischen Besitztümer und den Triumph Francesco Barberinis. Die Apoll-Ikonografie wurde vielfach von Kardinalnepoten, wie z.B. auch Scipione Borghese und Pietro Aldobrandini, bemüht, wobei der Sohn Jupiters und die Musen insbesondere bei den Barberini eine große Rolle spielten, deren Palast als "Parnass auf dem Quirinal" rezipiert wurde.

Die Familie Moncada und ihre Tapisserien sind das Thema des Beitrags von Guy Delmarcel, Margarita Garcia Calvo und Koenraad Brosens. Im Zentrum ihrer Ausführungen steht die 1699-1708 in Brüssel von Albert Auwercx gewebte "Geschichte des Conde Guillén Ramón de Moncada", ein von Wauters und zuletzt Göbel erwähnter, danach in Vergessenheit geratener und nun in Paris wiederentdeckter Zyklus.

Manufaktur des Albert Auwercx nach Willem van Herp und Jan Kessel: Königin Maria verlässt Catania, 1699-1708, Tapisserie, 407 x 665 cm, Paris, Chambre de Commerce et d'Industrie.

Abb. 3: Manufaktur des Albert Auwercx nach Willem van Herp und Jan Kessel: Königin Maria verlässt Catania, 1699-1708, Tapisserie, 407 x 665 cm, Paris, Chambre de Commerce et d'Industrie.

Schon Luis Guillén de Moncada, der Herzog von Montalto, ließ 1663/64 zwanzig Gemälde mit der Geschichte seiner Familie von Willem van Herp, Luigi Gentile, Adam Frans van der Meulen, Jan van Kessel und David Teniers II. ausführen. Doch erst sein Sohn, Don Fernando de Aragón, gab 1699 Lambert de Hondt den Auftrag, nach diesen Vorlagen die Kartons für 12 Tapisserien auszuführen, von denen letztlich nur sechs Stücke mit den Taten von Guillén Ramón III. de Moncada, Ereignissen des späten 14. Jahrhunderts, in der Auwercxschen Manufaktur gewebt wurden.

Der Frage: "Was it necessary to weave Poussin's paintings?" geht Pascal-François Bertrand nach. Schon Paul Fréart de Chantelou hatte sich dafür eingesetzt, in den Gobelins Tapisserien nach Gemälden Poussins auszuführen, was Colbert aber abgelehnt hatte. Erst nach dessen Tod wurden die Tapisserien der "Histoire de Moïse" hergestellt, wobei acht Gemälde Poussins aus dem Cabinet du Roi, vier aus Pariser Privatbesitz sowie zwei Bilder Le Bruns als Vorlagen dienten. Zweifellos wollte man mit dieser Folge den Rang Poussins, des "französischen Raffaels", bekräftigen, der sich auf kleine Formate spezialisiert und, anders als z.B. Raffael, Rubens und Le Brun, nie Tapisserien entworfen hatte. Detailliert analysiert Bertrand, wie die Kartonmaler seine Kompositionen auf die Breitformate riesiger Tapisserien mit lebensgroßen Figuren brachten, sie mit dekorativen Details bereicherten und bei der oft kritisierten "Auffindung des Moses" (1647, Louvre) die Farben änderten und die Figur des Flussgottes Nil eliminierten.

Charissa Bremer-David behandelt die "Tapestry Patronage of Madame de Montespan and Her Family". Die Maîtresse déclarée, die vier anerkannte Kinder königlichen Geblüts hatte, demonstrierte mit allegorischen, Ludwig XIV. verherrlichenden Wandbehängen, die in ihrem Auftrag in einem Pariser Frauenkonvent gestickt worden waren, und mit Beauvais-Teppichen mit den "Eroberungen Ludwigs XIV." ihre Nähe zum König. Selbiges taten auch ihre Söhne, der Duc du Maine und der Comte de Toulouse, die zahlreiche Tapisserien aus Beauvais und den Gobelins besaßen.

Weitere Beiträge behandeln das 1635 aufgenommene Nachlassinventar von Charles de Comans, dem Leiter der Manufaktur im Faubourg Saint-Marcel (Jean Vittet), die Stilgeschichte der holländischen Tapisserie des späten 16. und des 17. Jahrhunderts (Ebeltje Hartkamp-Jonxis), die Mailänder Tapisseriensammlungen des 17. Jahrhunderts, insbesondere die des Giovan Battista Durini, des Conte di Monza (Nello Forti Grazzini), die spanischen Tapisserien im Besitz des Hofes und der Kirche (Concha Herrero Carretero) und die Anlässe und Orte der Verwendung der Tapisserien Ludwigs XIV. (Florian Knothe).

Zumal mehrere der Autoren/innen im Anhang Inventare und weitere Dokumente publiziert haben, kann man davon ausgehen, dass die vorliegende Publikation zu einem wichtigen Referenzwerk für die Tapisserie-Forschung wird. Darüber hinaus sind ihr viele Leser zu wünschen.

Wolfgang Brassat