Jeremy Black: Kings, Nobles and Commoners. States and societies in early modern Europe, a revisionist history, London / New York: I.B.Tauris 2004, X +198 S., ISBN 978-1-86064-986-8, GBP 15,95
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Die vorliegende Synthese Jeremy Blacks zur Geschichte Europas in der Frühen Neuzeit ist - der Untertitel sagt es bereits - dem "Revisionismus" verpflichtet. Dieser Revisionismus betrifft nicht nur die lange Zeit in der britischen Kultur vorherrschende Whig interpretation of history, sondern ebenso die herkömmlichen kontinentalen Geschichtsbilder, die in den beiden letzten Jahrzehnten in die Kritik gerieten - das Stichwort der Absolutismusdebatte soll hier genügen. Diese herkömmlichen Positionen beruhen auf einem dem Fortschrittsglauben und Selbstverständnis des 19. Jahrhunderts verpflichteten Geschichtsmodell. Das Projekt der westlichen Moderne ging demnach vom protestantischen Nordwesteuropa aus; die Entstehung des Nationalstaats und moderner Staatlichkeit überhaupt, fortschreitende Säkularisierung und Individualisierung kennzeichneten nach diesem Modell die Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800. Die grundsätzlichen Mängel dieses Modells, von seinem teleologischen Charakter bis hin zu einer oft anachronistischen Terminologie, sind bekannt; Black räumt ihnen klugerweise nicht allzu viel Platz ein. Vielmehr versucht er, die Ergebnisse der neueren Forschung zu bündeln. Zwei Begriffspaare dienen dabei nicht nur fast durchgehend der Erschließung des Stoffes, sondern kennzeichnen auch den abwägenden und gleichsam dialektischen Charakter seiner Deutung:
1) Wandel und Beharren. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, erst recht nicht, wenn kaum einer sie fliegen sieht, so ließe sich Blacks Argument pointiert zusammenfassen. Er betont gegenüber den zweifelsfrei in der Frühen Neuzeit stattfindenden Veränderungen (zum Beispiel dem Wachstum der Bürokratie in den meisten europäischen Gemeinwesen) die Bedeutung der alltäglichen, traditionellen Formen von Politik und Gesellschaft.
2) Kompromiss / Zusammenarbeit und Zwang. Black ignoriert nicht die Bedeutung von obrigkeitlichem Zwang zur Durchsetzung auch innenpolitischer Ziele. Gleichwohl betont er, dass Kompromiss / Zusammenarbeit in den Beziehungen zwischen Herrschern und Eliten überwog.
Nach einer knappen Einleitung und einer etwas längeren Einführung ins Thema (1-18) behandelt Black zunächst in Kapitel 2 ausführlicher die Frage, inwiefern für die Frühe Neuzeit von einem Wachstum staatlicher Macht gesprochen werden kann: Vor allem das Wachstum an Staatlichkeit, die Konfessionalisierung und die Militärische Revolution werden untersucht (19-57). Black betont die fortdauernde Bedeutung traditioneller Herrschaftsbeziehungen und -instrumente (Klientelbildung, Ämterkauf, Steuerpacht): Ein Herrscher, der sich durchsetzen wollte, tat in der Regel gut daran, mit den lokalen Eliten zusammenzuarbeiten, das heißt Kompromisse zu schließen. Ob, wie Black meint, die Konfessionalisierung ("creation, revival or strengthening of ecclesiastical structures and systems", 38) der größte Erfolg frühneuzeitlicher Regierungen war, erscheint in dieser Verallgemeinerung zumindest diskutabel. Richtig ist aber sicherlich, dass in den Bereichen Militär (und damit auch Steuern) und Kirche die Hauptinteressen der Obrigkeiten lagen (121) - und damit ist schon viel über das Selbstverständnis und den Charakter frühneuzeitlicher Herrschaft gesagt.
Im dritten Kapitel (58-77) greift Black die Vorstellung auf, in der Frühen Neuzeit habe es bereits ein Staatensystem gegeben und aus diesem Wettstreit der Staaten seien die "modernsten", sprich: diejenigen, die dem Ideal des unitarischen Nationalstaats am ehesten entsprachen, als Sieger hervorgegangen. Er weist unter anderem auf die anhaltende Bedeutung des Faktors Dynastie hin, ebenso auf die europaweite Realität der Mehrfachherrschaft (composite monarchy), auf die Bedeutung des Zufalls und schließlich auf die Bedeutung von Volksbewegungen beim Kampf gegen Besatzer. Das leitet über zum vierten Kapitel "Social dynamics" (78-101), in dem die Staat-Elite-Beziehungen in die gesellschaftlichen Entwicklungen der Frühen Neuzeit eingebettet werden sollen. Hier schlägt Black einen Bogen von der Unterschätzung der wirtschaftlichen Bedeutung des Mittelmeerraums über die lokale Selbstverwaltung von Bauern und Stadtbürgern, bäuerliche Unruhen, Armut, Frauen, Hexenverfolgung, Endzeiterwartungen, Religiosität bis zur Agrarverfassung und -wirtschaft.
Das fünfte Kapitel unter der Überschrift "Chronological perspectives" (102-129) ist konzentriert auf die politische Geschichte Europas circa 1550-1700: Die konfessionell motivierten oder mitverursachten Konflikte werden behandelt, die Krisen um die Mitte des 17. Jahrhunderts angesprochen, die Herrschaft Ludwigs XIV. und Peters des Großen thematisiert. Kapitel 6 enthält dann die Fortsetzung mit dem Schwerpunkt auf dem 18. Jahrhundert (130-155): Black fragt nach dem Verhältnis von Wandel und Kontinuität in diesem Jahrhundert, in dem traditionell der Bruch und das Neue mit der Atlantischen Revolution betont werden. Er weist darauf hin, dass die Französische Revolution weder an sich noch in ihrer Radikalisierung unvermeidlich war. In Kapitel 7 schließlich kommt die "global dimension" zur Sprache (156-176). Welche Bedeutung hatte die europäische Expansion für die innereuropäischen Verhältnisse? Inwieweit kann die europäische Entwicklung sinnvoll mit der anderer Kulturen verglichen werden? Black ist sich der Forschungsdefizite bewusst, versucht besonders die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen China und Europa aufzuzeigen. Der globale Vergleich dominiert auch im Schlusskapitel (177-187): Black stellt unter anderem fest, dass im weltweiten Vergleich des 17.-19. Jahrhunderts diejenigen Gemeinwesen erfolgreicher waren, die in der Frühen Neuzeit eher auf Kooperation zwischen Herrschern und Eliten als auf herrscherlichen Zwang setzten.
Der Rezensent legt das Buch mit einem zwiespältigen Eindruck zur Seite. Dieser Zwiespalt leitet sich kaum von den Fragezeichen her, die er am Rand einiger Passagen notiert hat: Es versteht sich, dass der Verfasser einer Synthese zu einem derartig umfassenden Thema auch bei offensichtlich guter Kenntnis der (englischsprachigen) Literatur immer wieder an Grenzen stößt. Die Kritik gilt auch nicht der Generalrichtung der Deutung: Der abwägende und reflektierte Revisionismus Blacks, der sich der Begrenztheit seiner Interpretation bewusst ist, erscheint vielmehr dem Stoff durchaus angemessen.
Die Schwäche des Buches liegt vielmehr in der Komposition der meisten Kapitel: Die oben aufgezählten Themen des vierten Kapitels geben einen gewissen Eindruck davon, dass bisweilen eine bloße Aneinanderreihung statt eines logischen Aufbaus vorherrscht. Wichtiger noch: Weil Black vieles anspricht, kommt er oft über den Stand der Feststellung oder Behauptung kaum hinaus; es fehlt - obwohl knappe Beispiele durchaus eingestreut werden - an Veranschaulichung dessen, was thesenartig und anregend formuliert wird.
Der Fairness halber sei angemerkt: Auch der Rezensent weiß nicht, wie er die Zerreißprobe zwischen Veranschaulichung, didaktischer Reduktion und Strukturierung eines derartig umfassenden Themas auf weniger als 200 Seiten bestehen würde (die erstaunliche Tatsache, dass Black das Reformationszeitalter im engeren Sinne weglässt und erst um 1550 einsetzt, ist im Hinblick auf die verfügbaren Buchseiten sicherlich nicht nur negativ zu vermerken). Wenn allerdings auf dem Buchdeckel steht, dieses Werk werde "an essential tool" für "students of European history and the early modern age" sein, kann mit "students" jedenfalls nicht der deutsche (und wohl auch nicht der europäische) Durchschnittsstudent gemeint sein; denn der wird Blacks Buch recht bald frustriert aus der Hand legen: Er verfügt nicht über das angesichts der kompositorischen Schwächen des Buches zum Verständnis nötige Überblicks- wie Detailwissen. Sofern mit den "students" allgemeiner alle diejenigen gemeint sind, die sich schon etwas näher mit der Frühen Neuzeit befasst haben und sich unter Beziehungen zwischen Herrschern und Eliten konkret etwas vorstellen können, darf man dem Werbetext Glauben schenken: Die letztgenannte Gruppe wird gewiss "stimulating ideas" aus Blacks Werk ziehen, nicht nur für den innereuropäischen Vergleich, sondern auch für den mit außereuropäischen Kulturen.
Volker Seresse