Peter Jones: Liberty and Locality in Revolutionary France. Six Villages Compared, 1760-1820 (= New Studies in European History), Cambridge: Cambridge University Press 2003, XIV + 306 S., ISBN 978-0-521-82177-3, GBP 45,00
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Kritiker mikrohistorischer Dorfgeschichten haben oft eingefordert, vergleichende Studien vorzulegen, die über die Plausibilitäten des Einzelfalls hinausgehend verallgemeinerbare, gar 'repräsentative' Aussagen über die Lebensverhältnisse der ländlichen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit zulassen. Zugleich ist bisher angemahnt, aber nur selten eingelöst worden, den Interaktionen zwischen den Ideen und Vorgängen 'großer Politik' und dem sozialen Umfeld oder der Wahrnehmung der 'kleinen Leute' nachzuspüren oder gar zu fragen, inwieweit die ländliche Gesellschaft der Vormoderne selbst zu den Akteuren politischer Veränderungen gehörte. Damit ist nicht die Umkehrung eines simplen Oben-Unten-Modells gemeint, sondern viel eher die Analyse "kommunikativer Milieus" (Günther Lottes), die die Grenzen zwischen vermeintlich wirkungsmächtigen Kräften und leidenden Massen verschwimmen lassen. Die Bedeutung makrohistorischer Epochenzäsuren für die Lebenswelt ländlicher Schichten zu analysieren, ist ebenfalls ein Thema, von dem nicht behauptet werden kann, es sei bislang völlig erschöpfend bearbeitet.
Das vorliegende Buch stellt sich diesen Aufgaben, schlägt dabei aber zugleich neue Wege ein. Hier werden die Wirkungen der revolutionären Umbrüche im Frankreich des ausgehenden Ancien Régime auf sechs französische Dörfer analysiert. Die Untersuchung deckt die Zeitspanne von 1760 bis 1820 ab. Das Buch bietet mithin eine vergleichende Mikrogeschichte der ländlichen Gesellschaft vor dem Hintergrund einer der wichtigsten politischen Zäsuren der Neuzeit. Der Verfasser, Frankreichspezialist an der Universität Birmingham (UK), setzt sich mit der These Alexis de Tocquevilles auseinander, nach der zum Ende des 18. Jahrhunderts die dörfliche Lokalverwaltung ihrer politischen Einflussmöglichkeiten zu Gunsten eines ausgeprägten Zentralismus weitgehend beraubt gewesen sei. Der Autor stellt allerdings zu Beginn fest, dass die dörfliche Welt am Vorabend der Revolution infrastrukturell besser erschlossen und verkehrstechnisch erreichbar war als jemals zuvor. Dies bedeutete natürlich auch, dass die Informationen über die politischen Geschehnisse in der Zentrale sich relativ rasch bis in den hintersten Winkel des Landes ausbreiteten.
Die Analyse der sechs Dörfer, die geografisch von der Bretagne bis in die Gascogne, von der Ile-de-France bis nach Lothringen verteilt sind und deren Unterschiede nicht nur in sozialer, sondern auch in sprachlicher oder konfessioneller Hinsicht hervortreten, fördert entsprechend heterogene, bisweilen überraschende Ergebnisse zu Tage. So ist mitunter weniger von einer Face-to-Face-Gesellschaft, sondern eher vom Gegenteil, einer "back to back-society" (40) auszugehen. Die Kluft zwischen dörflichen Fraktionen konnte, wie in Saint-Alban, unter Umständen relativ unverändert die Revolutionswirren überstehen (168 f.). In einem anderen Beispieldorf (Neuviller) war es allerdings die Revolution selbst, die für neue Gruppenkohärenz sorgte. Individuelle Lebensabschnitte ebenso wie Verwandtschaftsverhältnisse und dörfliche Sozialbeziehungen machen es schwierig, über den Vergleich von sechs Dörfern zu verallgemeinerbaren Aussagen zu gelangen. Gemeinsam ist der ländlichen Sphäre laut Jones der Bürokratisierungsprozess (160 und öfter), der bereits lange vor der Revolutionszeit einsetzte und die Grundlagen für eine neue Ordnung legte. "Having become part of the System, village elites learned how to play that System to their own advantage" (266).
Auch wenn die Revolution und der Zugriff der Verwaltung zu einem neuen dörflichen Selbstbewusstsein beitrugen, da die Dorfbewohner in administrativer Hinsicht mit den Städten auf die gleiche Ebene gestellt wurden, gestattete die "post-Revolution political culture of the village [...] no room for democracy" (271). Oftmals, so scheint es, erwiesen sich gerade diejenigen Strukturen als besonders dauerhaft, die sich nicht unmittelbar auf das Jahr 1789 und seine Folgen zurückführen lassen, während die Auswüchse der Zeit der "Terreur" sich zwar ins Gedächtnis der Bevölkerung eingruben, aber nicht immer zu handfesten Veränderungen führten. Nationalen beziehungsweise revolutionären Symbolen und Festen gegenüber verhielt man sich häufig eher zurückhaltend, oder man stellte sie in bekannte Kontexte: Die Freiheitsbäume trafen auf wohl wollende Akzeptanz, weil sich Baumsymbolik in den dörflichen Kontext besser einfügte als Kokarden, deren Farben schnell wechselten und deren Tragen damit für den Träger einer falschen Farbe unter Umständen zur ernst zu nehmenden Gefahr werden konnte (149).
Die Auswahl von sechs Gemeinden ist der Quellenlage, der geografischen Situation und der sozialen Schichtung geschuldet. Die konsequent durchgehaltene vergleichende Analyse fordert hin und wieder vom Leser, quasi von Dorf zu Dorf zu springen. Manchmal erhält man den Eindruck, dass die mikropolitisch-sozialen Unterschiede im Umgang mit den politischen Ereignissen zwischen den Dörfern gar größer waren als ihre Gemeinsamkeiten. Dies hing nicht nur mit den mentalen Strukturen in einzelnen Dörfern zusammen, sondern etwa auch mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Abhängigkeiten.
Als konkrete Veränderungen der untersuchten sechzig Jahre hält Jones die neuen oder zumindest effizienteren juristischen Möglichkeiten der Dorfbewohner in der institutionellen Gestalt der Friedensrichter fest (269). Dass die Bedeutung der Religion insgesamt abnahm, ist kaum überraschend, waren doch etwa in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts nicht nur die Sonntage abgeschafft, sondern zeitweise selbst Weihnachtsfeierlichkeiten verboten worden (219 f.). Auch in napoleonischer Zeit aber fand vor dem Hintergrund der engen Bindung von Kirche und Staat keine Rückkehr zu vorrevolutionären Zuständen statt.
Mit der Darstellungsweise und der etwas sporadischen Belegpraxis hängt zusammen, dass man einzelnen Aussagen des Autors mehr Glauben schenken muss, als sie immer anhand von Anmerkungen nachprüfen zu können. Zugleich steigert dies die Lesbarkeit der Studie, die, verglichen mit anderen "Dorfgeschichten", einen eher überschaubaren Umfang hat, deren beeindruckendes Verzeichnis archivalischer Quellen allerdings auch für sich spricht. Die vorliegende Untersuchung ist ein mutiges Unterfangen, hinter dem die Bewältigung einer riesigen Quellenmenge steht. Gleichzeitig ist die eingeschlagene synchrone Vergleichsperspektive auf mikrohistorischer Ebene so reizvoll, dass sie zur Nachahmung einlädt.
Alexander Schunka