Christian Hecht: Die Glorie. Begriff, Thema, Bildelement in der europäischen Sakralkunst vom Mittelalter bis zum Ausgang des Barock, Regensburg: Schnell & Steiner 2003, 492 S., 75 Farb-, 100 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-1540-2, EUR 86,00
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Das ambitionierte Unternehmen des Buches liegt im Versuch, Bildelemente, die von der Antike über mittelalterliche Darstellungsformen bis hin zu spätbarocken Bilderfindungen übernatürliche Lichterscheinungen zur Darstellung bringen, entwicklungsgeschichtlich zu fassen und dem Begriff der Glorie zu subsumieren. Methodisch traditionell und im Ergebnis fruchtbar präsentiert Christian Hecht seine Habilitation, die unverkennbar aus der Ideenwelt seines Mentors Karl Möseneder entwickelt ist.
Die Erwartung des neugierigen Lesers, eine theoretische, quellenorientierte und vor allem wenig objektbezogene Auseinandersetzung vorzufinden, wie sie die "Katholische Bildertheologie im Zeitalter von Gegenreformation und Barock" (Berlin 1997) erwarten ließe, der Hecht in der Barockforschung doch einige Bekanntheit verdankt, wird unerfüllt bleiben. Die Bücher sind grundverschieden angelegt, stehen aber dennoch in einem tieferen, wenngleich nicht sofort erkennbaren Zusammenhang: Das ältere ist von der Erkenntnis getragen, dass die entscheidenden Voraussetzungen für die barocken Bildkünste nicht so sehr in der "Gegenreformation" und deren theologischen Diskursen liegen, sondern bereits im reformatorischen wie vorreformatorischen Zeitalter wurzeln. Das Buch über die Glorie exemplifiziert diesen übergreifenden Zusammenhang mit völlig anderen, im engeren Sinn "kunsthistorischen" Mitteln an der Glorie, die als Inhalt und Gestaltungsmittel gleichermaßen im Zentrum frühneuzeitlicher sakraler Bildnerei steht.
Nimbus, Aureole, Gloriole, Mandorla und Strahlenkranz werden als Vorformen anschaulich vor Augen geführt; konstitutive Bedeutung für die Glorie hat auch ganz wesentlich Gold, "denn das glänzende Metall stellt Licht und strahlenden Glanz nicht einfach nur da, sondern bringt beides ganz real ins Bild" (68). Gold, das seit der Antike eng mit dem Göttlichen in Verbindung steht, bildet die materielle Voraussetzung für die Entwicklung der Glorie. Der Goldgrund bildet in der gotischen Buch- und Tafelmalerei keinen räumlichen Hintergrund aus, er dient der Um- und Einfassung der gemalten Bildteile. Das real im Bild anwesende Gold muss, so die Quintessenz der Zusammenschau der einschlägigen Literatur durch Hecht, meist als "Verweis auf Himmlisches" (71) verstanden werden. Diese sakralisierende Funktion von Gold und Goldgrund lässt sich mit Albrecht Altendorfer bis ins frühe 16. Jahrhundert verfolgen.
Der Umstand, dass Gold nicht als Farbe, sondern als Material aufgetragen wurde, trägt auch, so Hecht, den Grund für das allmähliche Verschwinden des Goldgrundes in der Malerei des 16. Jahrhunderts in sich, steht er doch der Entwicklung des einheitlichen, zentralperspektivisch gestalteten Bildraums diametral entgegen. Die entscheidende bildkünstlerische (und nicht inhaltliche!) Voraussetzung für das neuzeitliche Glorienbild war - so paradox es klingt - der Verzicht auf das Gold. Von dieser These ausgehend spannt Hecht einen vieles beanspruchenden Entwicklungsbogen von Giotto, dem Vorläufer, über Rogier van der Weyden bis hin zu Cosmas Damian Asam und Franz Joseph Spiegler. Mit einer unglaublichen Vielzahl an Bildverweisen, von denen wohl nur der kleinere Teil (und der beträgt immerhin 175 Stück) abgebildet ist, werden kontinuierlich die Stationen des Übergangs vom Goldgrund hin zur vollkommenen Lichterscheinung, zum "Lichtgrund", markiert.
Die entscheidenden Schritte zur monumentalen Ausformung der Glorie im Altarblatt werden in Florenz, Rom und Venedig durch Raffael, Tizian und L. Lotto gesetzt. Der venezianische colorito zeichnet verantwortlich, dass die Bildform der Glorie gerade in Venedig zu einer "beherrschenden Form der Malerei" (184) werden konnte. Das Malen von Lichterscheinungen war wesentlich ein koloristisches Problem, das Tizian in seiner Assunta und der für die Kirche S. Salvatore angefertigte Verkündigung zukunftsweisend gelöst hat: Die Lichtglorie, als Verschmelzung von Licht, Wolken und Engel, ist ein eigener Bildgegenstand geworden, der die Komposition deutlich mitbestimmt. Das enorme Potenzial, das an diesen Tafelbildern deutlich sichtbar wird, sollte aber in der Deckenmalerei, nicht zu Unrecht als Leitmedium der barocken Bildkünste gesehen, zur Entfaltung kommen.
Für die Deckenmalerei vollzieht im 16. Jahrhundert allen voran Correggio in Parma die entscheidenden Schritte zur Monumentalisierung der Glorie. Die von Hecht unternommene Tour de force durch die wichtigsten Entwicklungsstationen der italienischen Decken- und Kuppelmalerei des 16. Jahrhunderts (Dom in Siena [Taddeo und Federico Zuccari], Dom in Florenz [G. Vasari und F. Zuccari], S. Spirito in Rom [J. Zucchi], S. Marco in Mailand [G. P. Lomazzo, B. Roverio und andere]) mündet in die entscheidenden Lösungsschritte von G. Lanfranco (Kuppelfresken von S. Andrea della Valle in Rom, Capella di S. Gennaro in Neapel) und schließlich A. Pozzos Gewölbedekoration von S. Ignazio in Rom. Dieser Lauf macht über weite Strecken vergessen, dass das gestellte Thema streng genommen einen einzigen Aspekt des Phänomens der Deckenmalerei darstellen sollte, und nicht deren allgemeine Entwicklungsgeschichte. Doch ist eben diese Geschichte derart verschränkt mit der Entdeckung der Glorienmalerei, dass die Analyse des einen ohne die Darstellung des anderen nicht möglich ist; das bringt Hecht selbst nachhaltig auf den Punkt: "[...], die künstlerischen Mittel, die mit der Bildform der Glorie zur Verfügung standen, beeinflußten [aber] die Deckenmalerei in essentieller Weise, das heißt, diese Kunstform konstituierte sich dadurch völlig neu" (238).
Wichtige Grundsatzfragen, wie jene nach der Frage des Realitätsgrades der abgebildeten himmlischen Wirklichkeit oder nach der Einbindung des Bildes in den architektonischen Gesamtvolumen eines Raumes werden angesprochen und im Regelfall kurz und pragmatisch beantwortet. Eine bei solchen Problemstellungen zu erwartende intensive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen vor allem von Bernd Wolfgang Lindemanns "Bilder vom Himmel" (Worms 1994), aber auch von Felix Burda-Stengels "Andrea Pozzo und die Videokunst" (Berlin 2001) ist unverständlicherweise völlig ausgeblieben. Die wenigen Verweise auf die beiden in den Anmerkungen haben wenig mehr als Legitimationscharakter. Als Mangel wird diese Unterlassung vor allem dort empfunden, wo Hecht apodiktisch feststellt, dass das Phänomen des "Illusionismus" einer historisch-kritischen Prüfung nicht standhielte, wäre doch das eigentliche Anliegen der Künstler lediglich gewesen, die technischen Effekte zu beherrschen und die Bewunderung des Betrachters hervorzurufen. Solche Vereinfachungen finden sich mehrfach, wie etwa auf 236 ff., wo Bedeutung und Funktion der Quadraturmalerei auf Kunstfertigkeit, die verblüffen soll, reduziert werden. Kunst verkommt in Hechts Überlegungen bisweilen - überraschend genug - zu sehr zu einer Abbreviatur von Kunstfertigkeit. Die Deckenmalerei, die Hecht pejorativ als eine Kunst interpretiert, die von einer bella meraviglia, e sopresa und von einem gustoso inganno (240) getragen werde, hatte aber - scheinbar zum Trotz - dennoch eine gewaltige Aufgabe zu meistern: "Es waren also künstlerische Gründe und nicht theologisch-theoretische, auch nicht 'rhetorische', die bewirken, daß vor allem in Italien, Süddeutschland und Österreich die Deckenmalerei zu einer künstlerischen Leitform des Barock werden konnte" (243).
Das reichlich angewandte Stilmittel der Simplifizierung bedeutet bei Hecht Zuspitzung und Polarisierung. Diese sind grundsätzlich gut gemeinte Werkzeuge zum Aufbrechen festgefahrener Vorstellungen und Erklärungsmodelle, im konkreten Fall allerdings scheinen sie zu weit getrieben, weil diese Simplifizierung Gefahr läuft, für zu bare Münze genommen zu werden.
In Summe gesehen betreibt Hecht Entwicklungsgeschichte im besten Sinn - eine Methode mit dem Vorteil, lukrativ im Ergebnis zu sein, aber auch mit dem Nachteil, nur zu berücksichtigen, was die klare Linie stützt. Er schreibt fundierte Bildgeschichte und Analysen der jeweiligen Spezifika, die den Unterschied zu anderen Lösungen ausmachen. Mögliche andere aktuelle Instrumente der Bildbefragung (etwa aus der Theologiegeschichte oder der Rhetorikforschung kommend) werden ohne Angabe von Gründen ausgeschlossen.
Wie man das Buch von Christian Hecht auch dreht und wendet und nach Stärken und Schwächen absucht: Es ist ein phasenweise sehr anregendes Buch, wenngleich ohne fulminante Höhepunkte, und es ist ein wichtiges Buch. Es bedient sich einer unaufgeregten, sachlichen und bisweilen sehr pragmatischen Sprache. Es verzichtet auf komplizierte Theorien und bleibt der Anschaulichkeit und der Verständlichkeit verpflichtet. Es führt die Behandlung eines bis dato viel zu wenig wahrgenommenen Zentralaspektes des frühneuzeitlich-sakralen Bildes, der Darstellung des Glorie, über in eine Neubewertung dieses Bildes und seiner Bedeutungsfelder.
Herbert Karner