Peter Michael Swan: The Augustan Succession. An Historical Commentary on Cassius Dio's Roman History Books 55-56 (9 B.C. - A.D. 14) (= American Classical Studies; Vol. 47), Oxford: Oxford University Press 2004, xx + 428 S., 6 Karten, ISBN 978-0-19-516774-0, GBP 65,00
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Nach etwas schleppendem Beginn ist die höchst verdienstvolle Reihe von Kommentaren zu Cassius Dio unter der Ägide der 'American Philological Association' in Schwung gekommen; mit dem hier anzuzeigenden liegen nunmehr drei Bände vor, einen weiteren zu den Büchern 53 und 54 bereitet ebenfalls Swan vor. Nimmt man zwei weitere Arbeiten von etwas schmalerem Zuschnitt hinzu, so beginnt sich eine seit langem klaffende Lücke zu schließen und erhält die tägliche Arbeit mit der für die frühe und hohe Kaiserzeit neben Tacitus umfassendsten historiografischen Quelle endlich das notwendige Instrument. [1]
Peter Michael Swan hat zusammen mit J. W. Humphrey das Unternehmen initiiert und ist durch zahlreiche Vorstudien bestens ausgewiesen. Seine Kommentierung (Band 7.2) der einzigen ausführlicheren historiografischen Darstellung der augusteischen Epoche, das kann gleich festgestellt werden, schöpft aus intimer Kenntnis und stellt diese dem Benutzer sachlich-unpolemisch zur Verfügung. Da offenbar noch nicht abzusehen ist, wann Band eins in der Kommentarreihe erscheinen wird, hat jeder Band eine allgemeine Einleitung, die ihn für sich benutzbar macht. Swan bietet in seiner 'Introduction' (3-38) eine konzentrierte und ab jetzt grundlegende Erörterung der wesentlichen Fragen zu Cassius Dio und seinem Werk. Mehr als der rom- und aristokratiefixierte Tacitus stellte Dio die Existenz des Weltreiches als Rahmen und Aufgabe guter Regierung in Rechnung, indem er den gesamten Prozess der Geschichte auf ein innerweltliches Telos ausgerichtet sah: "a state of well being" (10). Und so sehr schlechte, traditionsvergessene Regierungen in einem an sich prästabilen Kosmos die Dinge ins Gleiten bringen konnten - von Mark Aurels Goldenem Zeitalter bis in eine Gegenwart "aus Rost und Eisen" (Dio 71,36,4) -, so sehr traute er der menschlichen Intelligenz auch die Kraft zur Besserung zu, wenn sie sich nur wieder auf die Modelle der Vergangenheit besinnen könnte. Swan stellt heraus, dass Augustus von Dio in diesem Sinne als Vorbild geradezu neu erfunden wurde (15); dies wohl auch deshalb, weil Tatsachen und historiografische Konstruktion die Epoche des Übergangs von der Republik zur Monarchie als paradigmatische Entscheidungssituation und Erneuerungschance konturierten. Kein Wunder also, dass Dio, der die römische Welt in der Severerzeit an einem ähnlich bedeutsamen Scheideweg stehen sah, den 100 Jahren von Sulla bis Augustus' Tod mehr als ein Drittel des Gesamtwerkes widmete, während die Darstellung der folgenden Kaiser wieder knapper ausfiel.
Weitere Erörterungen gelten den für historiografische Werke kanonischen Fragen: der annalistischen Struktur (die unterbegründet erscheint, wenn nur praktische Vorteile oder literarische Gründe angeführt werden), den Quellen [2], der Arbeitsweise und dem Einsatz von Reden. Hinsichtlich der Abfassungszeit tritt Swan mit guten Gründen für den frühen Ansatz ein (Vorbereitung bald nach 197, zehn Jahre später Beginn der Niederschrift, die noch einmal zwölf Jahre in Anspruch nimmt), ohne dass damit freilich die unter anderem von T.D. Barnes verfochtene Spätdatierung (211 und 220) ausgeschlossen werden kann. Von geringerer Bedeutung für das Verständnis einzelner Stellen dürfte Swans Annahme einer 76 Bücher umfassenden 'editio princeps' sein, die später durch die 80-Bücher-Version ersetzt worden sei. Diese ist bekanntlich teilweise im originalen Wortlaut, teils in byzantinischen Exzerpten verschiedener Güte auf uns gekommen.
Der lemmatische Kommentar (39-359) ist durch orientierende Einführungen (jeweils mit Parallelstellen und Literatur) zu jedem thematischen Abschnitt gegliedert; daneben steht die Einteilung nach Jahren mit einem Hinweis zur annalistischen Binnenstruktur des jeweiligen Jahresberichts. Da dem Kommentar keine Übersetzung vorangestellt ist, sind die Lemmata im griechischen Original ausgeworfen, jedoch auch übersetzt, ebenso wie alle anderen Zitate aus antiken Autoren. Das ermöglicht es auch Benutzern ohne Kenntnis der Alten Sprache, mit dem Kommentar zu arbeiten, erleichtert zugleich aber dem Forscher, der Boissevains nach wie vor gültige Edition zugrunde legt, die Orientierung. Speziellere Erörterungen, Exkurse, Verweise und Forschungsdiskussionen sind meist in Fußnoten verwiesen, was den fortlaufenden Kommentar übersichtlich hält - zur Nachahmung empfohlen! Die anderswo um sich greifende Unsitte, nur Forschungsliteratur in der eigenen Sprache wahrzunehmen und zu zitieren, hat dieses Buch zum Glück noch nicht erreicht.
An den Kommentar schließen sich 15 Appendices von unterschiedlicher Relevanz (361-385), die Bibliografie (387-400) sowie fünf Indices an. Eine der vorn im Buch versammelten Karten zeigt die Provinzen des Reiches zu Dios Lebzeiten, eine Gesamtkarte mit dem Stand in augusteischer Zeit fehlt. Aber diese kleine Merkwürdigkeit hat nur geringes Gewicht, verglichen mit dem reichen Nutzen, den das ausgereifte und vorzüglich hergestellte Werk stiftet. Der Rezensent hat es zur Ausarbeitung einer Vorlesung zu Augustus benutzt und nie enttäuscht aus der Hand gelegt. Bleibt zu hoffen, dass der Verfasser, der im achten Lebensjahrzehnt steht, dem Gesamtunternehmen noch lange die nötigen Impulse zu geben vermag.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Meyer Reinhold: From Republic to Principate. An Historical Commentary on Cassius Dio's Roman History Books 49-52 (36-29 B.C.), Atlanta 1988; C. L. Murison: Rebellion and Reconstruction: Galba to Domitian. An Historical Commentary on Cassius Dio's Roman History Books 64-67 (A.D. 68-96), Atlanta 1999. In anderen Reihen: Cassius Dio, The Augustan Settlement (Roman History 53-55,9), ed. with transl. and commentary by J. W. Rich, Warminster 1990; J. C. Edmondson: Dio: The Julio-Claudians. Selections from Books 58-63 of the Roman History of Cassius Dio, London 1992.
[2] Leider fehlt in diesem Abschnitt ein Hinweis auf Dios Klage über den Mangel an verlässlichen Quellen nach Aufrichtung der Monarchie (53,19,1-5); diese grundsätzliche Reserve wirft auf die Praxis des Historiografen, die ihm vorliegenden Quellen zumal im Bereich der Außenpolitik nur verkürzt wiederzugeben (55,28,2-3), ein anderes Licht als Swans allzu pragmatische Erklärung (25 f.).
Uwe Walter