Bernhard Chiari / Matthias Rogg / Wolfgang Schmidt (Hgg.): Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts (= Beiträge zur Militärgeschichte; Bd. 59), München: Oldenbourg 2003, X + 654 S., ISBN 978-3-486-56716-8, EUR 49,80
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Es gibt viele Filme, aber nur wenige Themen. Eines davon ist der Krieg. Aber nicht allein das verbindet und verzahnt Krieg, Militär und Film. Sie haben auch eine gemeinsame Entstehungsgeschichte. Die moderne Filmtechnik entwickelte sich am Ende des 19. Jahrhunderts, und in eben dieser Zeit begann auch der Krieg in Fabrikhallen, auf Truppenübungsplätzen oder in den Büros der Generalstäbler ganz langsam ein neues Gesicht anzunehmen und damit auch ganz neue Dimensionen. Vorerst blieb das noch ein Entwurf. Aber die Verwirklichung dieses Entwurfs, die auf ihn so prompt folgte wie der Donner auf den Blitz, wurde zum Anfang und Ausgangspunkt von vielem, auch von einem dialektischen Prozess, ja fast schon einer Symbiose zwischen Krieg und Film. Dabei beschränkten sich Dokumentar- und Spielfilm nicht nur darauf, den Krieg und seine Geschichte zu begleiten und ihn, mehr oder weniger gekonnt, abzubilden. Der Film hat den Krieg auch aktiv unterstützt, etwa als Propagandawaffe: zur Erklärung und Heroisierung der eigenen Sache oder zur Verteufelung des Gegners. Und nicht nur das: Die Filmindustrie hat auch versucht, Kriege zu verarbeiten, zu "bewältigen" oder auf neue Waffengänge einzustimmen. Das begann schon sehr früh, erinnert sei nur an die Fridericus- und Preußen-Filme der Zwischenkriegszeit.
Ein großes Feld also, aber doch ein unbestelltes. Eine Bestandsaufnahme erscheint daher längst überfällig. Bernhard Chiari, Matthias Rogg und Wolfgang Schmidt haben das im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam getan; der vorliegende Sammelband dokumentiert eine innovative, notwendige und mutige Konferenz. Denn "Filmgeschichte" - so die These in der grundlegenden Analyse von Günter Riederer - "fristet innerhalb der Geschichtswissenschaft noch immer ein Nischendasein", wohlgemerkt in der Geschichts-, nicht so sehr aber in der Medienwissenschaft. Die Herausgeber wählen daher fünf Ansätze, um breite Schneisen in einen Dschungel aus Halbwissen, vordergründigen Eindrücken und schlichtweg Unentdecktem zu schlagen. Die theoretischen Grundlagen werden im ersten Teil angerissen, der die (etwas vage) Überschrift trägt: Kriegsfilm und interdisziplinäres Umfeld. Die übrigen vier Zugänge gruppieren sich hingegen um bestimmte Themen: USA - Sowjetunion, Gewalt, Krieg und Nation im Film; Erster Weltkrieg und Weimarer Republik; Die Luftwaffe im NS-Propagandafilm; Krieg und Militär im deutschen Nachkriegsfilm.
Ein solches "Drehbuch" erscheint eigenwillig und auf den ersten Blick nicht ganz überzeugend, weil es dem deutschen Film eine Bedeutung einräumt, die er nie hatte und bis heute nicht hat. Anders erscheint diese Gliederung allerdings unter der Perspektive der allgemeinen Historie: Angesichts der zentralen Bedeutung des Deutschen Reichs beim Projekt Zweiter Weltkrieg ist die Frage nicht ganz irrelevant, wie denn dieses Projekt durch die deutsche Filmindustrie vorbereitet, begleitet und schließlich "bewältigt" wurde. Denn - um nochmals auf Riederers Analyse zurückzukommen - "die Geschichte des 20. Jahrhunderts [lässt sich] ohne eine Analyse seiner Filme nicht schreiben". "Die Filme und ihre Bilder konstituieren einen Wahrnehmungs- und Deutungsrahmen, innerhalb dessen Menschen Geschichte wahrnehmen und sozialen Sinn konstruieren. Ihre Analyse ermöglicht damit auch Aussagen über gesellschaftlich gültige Normen, Haltungen und Wertungen der Zeit, in welcher sie gedreht und aufgeführt werden."
Es ist weder möglich noch sinnvoll, sich hier mit den insgesamt 26 Beiträgen dieses Bandes im Einzelnen zu beschäftigen oder diese auch nur kursorisch aufzuzählen. Verwiesen sei daher, pars pro toto auf die umfassende und fundamentale Übersicht von Gerhard Paul über "Krieg und Film im 20. Jahrhundert". Dieser zentrale Beitrag eröffnet viele Perspektiven und enthält eine ganze Reihe wichtiger Überlegungen wie etwa die, dass nach jahrzehntelangem Frieden die Bilder des Krieges immer weniger auf eigenem Erleben beruhen, "sondern auf medial vermittelte Bilder aktueller und vergangener Kriege zurückgehen". Unter dem Aspekt ihrer Produktion und Rezeption besitzen Spiel-, aber auch Dokumentarfilme daher immer auch eine Quellenfunktion, sie sind eine der aussagekräftigsten Indikatoren "für Wahrnehmungsmuster und Bewußtseinslagen nach den beiden Weltkriegen". Andere Thesen Pauls reizen indessen zum Widerspruch: So bleibt etwa seine Behauptung unerfindlich, warum Krieg nichts anderes sein soll als pure Unordnung und Chaos. Das mag für das individuelle Erleben zutreffen. Doch blendet eine solche Sicht die politisch-strategische sowie die gesellschaftliche Funktion von Kriegen systematisch aus, in denen sich nun einmal vieles definitiv entscheidet - Großes und weniger Großes. Genau auf die Darstellung dieser "rationalen" Ebene "des" Krieges, seiner strategischen, operativen und oft auch taktischen Dimension, verzichten aber die meisten Spielfilme. (Eine Ausnahme bildet hier etwa The Red Line [USA, 1998].) Daher lässt sich auch der anderen großen These Pauls nur schwer folgen, dass sich der Krieg jeder cineastischen Repräsentation entziehe - oder umgekehrt: "Der Film [...] formte das katastrophisch-chaotische Ereignis des Krieges zu einem zivilisatorischen Akt um und verpaßte ihm eine visuelle, narrative und moralische Ordnung, die der Krieg per se nicht besitzt. Auf diese Weise trägt der Kriegsfilm zur immer neuen Illusion der Planbarkeit von Kriegen bei."
Ist das richtig? Oder trifft es nicht eher zu, dass der moderne Kriegsfilm beziehungsweise Antikriegsfilm (eine Unterscheidung, die Paul zu Recht nicht gelten lässt) sich nicht darin erschöpft, in allen nur denkbaren Varianten die rationale Intention jeder militärischen Auseinandersetzung aufzulösen oder zumindest doch in Frage zu stellen? An Stelle von Schlachten, Einheiten, Operationen oder Kriegshelden steht der einzelne Soldat im Mittelpunkt, Anti-Helden durch und durch, deren Schicksale ein ums andere Mal die Grausamkeiten und die Sinnlosigkeit des Krieges illustrieren sollen. Nirgends wurde das mit einer solchen Vehemenz und Gründlichkeit getan wie in jener Serie von Vietnam-Filmen, mit denen die US-Filmindustrie das Debakel in Südostasien auf ihre Weise zu verarbeiten suchte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (wie The Green Berets [USA, 1963] oder Rambo [USA, 1985]) haben Filme wie The Deer Hunter (USA, 1978), Coming Home (USA, 1978), Platoon (USA, 1986) oder Full Metal Jacket (USA, 1987) unser Bild "des" Krieges maßgeblich geprägt. Die fast schon genetisch verankerte Ablehnung alles Militärischen, wie sie zumindest die westlichen "Zivilgesellschaften" kennzeichnet, wurzelt in genau solchen Erfahrungen, darin ist Paul wiederum zuzustimmen.
Auch deshalb sitzt das Trauma Vietnamkrieg in den USA immer noch sehr tief. Zum Auslöser dieses Traumas wurden oft Bilder: Fotografien, Dokumentationen und nicht zuletzt Spielfilme. Dass die USA - so die These Pauls - mithilfe eines ganze Genres von Spielfilmen des "Vietnam-Films" die "Definitionsmacht" über einen Krieg zurückgewonnen haben, den sie militärisch eigentlich verloren haben, scheint daher nicht wirklich stimmig.
Überhaupt gibt es offenbar nur sehr wenige Kriegsfilme, die Pauls Ansprüchen genügen. Seine These, dass der Krieg "das Unmodellierbare schlechthin" sei, das sich "im fiktionalen wie im non-fiktionalen Film bislang immer wieder der cineastischen Repräsentation" entzieht, verweist auf die grundlegendere Frage nach dem Kriegsbild des Verfassers: Welche Quellen haben seine Vorstellungen geprägt? Wo ist überhaupt sein archimedischer Punkt bei der Beschreibung des Krieges? Und ist die wissenschaftlich-historiografische Rekonstruktion des Kriegsgeschehens derjenigen eines Spielfilms eigentlich überlegen?
Natürlich ändert eine solche Überlegung nichts an Pauls Feststellung, "daß die in den Filmen im allgemeinen und in den Kriegsfilmen im besonderen vollzogene Rekonstruktion der Wirklichkeit nicht mit ihrem getreuen Abbild zu verwechseln ist". Doch gilt dieses Diktum nicht ebenso für die Historiografie, selbst wenn sie gewöhnlich ohne die narrativen Strukturen des Films arbeitet?
Es scheint, als ob diese Fragen mit den inhaltlich und methodisch sehr unterschiedlichen Beiträgen dieses Buchs erst eröffnet würden. Das kann Wert und Bedeutung dieses Sammelbands nicht mindern - im Gegenteil. Dieses innovative Projekt bietet eine erste Bestandaufnahme, wenn auch mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der deutschen Filmgeschichte. Doch nicht nur das: Die umfangreichen und detaillierten Bibliografien und Filmografien am Ende jedes Beitrags und nicht zuletzt die vorzügliche Ausstattung mit Dutzenden von Fotos aus bekannten und weniger bekannten Filmen machen aus diesem Buch sehr viel mehr als nur die übliche Zusammenfassung einer Konferenz. Vielmehr ist dieser Band auch ein vorzügliches Nachschlagewerk zu einem zentralen Thema der Militär- wie Filmgeschichte. Dass das eine unauflösbar mit dem anderen verzahnt ist, bleibt als nachhaltiger Eindruck dieses ungewöhnlich gelungenen Sammelbands.
Christian Hartmann