Shelley Hales: The Roman House and Social Identity, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XIV + 294 S., ISBN 978-0-521-81433-1, GBP 55,00
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Die Zahl der Publikationen, die sich dem Zusammenhang zwischen römischer Hausarchitektur und den Besonderheiten der römischen Gesellschaft widmen, ist vor allem seit den Studien von Andrew Wallace-Hadrill stark angestiegen. [1] Der Großteil einschlägiger Arbeiten basiert dabei nach wie vor auf den literarischen Quellen des ersten vor- beziehungsweise nachchristlichen Jahrhunderts und den pompejanischen materiellen Zeugnissen. Diesem Umstand Abhilfe zu verschaffen und eine erste Synthese der Forschung zur römischen Hausarchitektur zu liefern ist das Hauptanliegen der Untersuchung von Hales.
Hierzu geht die Verfasserin in drei Hauptschritten vor. Zu Beginn werden die antiken literarischen Aussagen zur sozialen Bedeutung des römischen Hauses diskutiert (9-93). Im Anschluss liegt das Augenmerk auf den kampanischen Häusern (95-163). Der letzte Teil erweitert die Perspektive auf das Wohnen im gesamten Römischen Reich (165-243). Das Literaturverzeichnis sowie ein Index beschließen das Buch.
In ihrer Einleitung begründet Hales zunächst die ihrer Arbeit zu Grunde liegende Prämisse: Ungleich stärker als in modernen Gesellschaften habe die römische domus dazu gedient, die soziale Identität ihres Besitzers zu konstruieren und gegenüber der Umwelt zu dokumentieren. Verschiedene "domestic rituals" (Hales nennt neben salutatio und convivium Geburtsriten, Hochzeit und Tod) dienten zur Manifestation der Ausrichtung der betreffenden familia an den "traditions of Rome" (1-3). Ausgehend von dieser Feststellung formuliert Hales ihre zentrale These, wonach sich auch die Ausstattung der Räume und ihre Anordnung in der Gesamtarchitektur des Hauses als beständige Versicherung der Tatsache lesen ließen, dass es sich beim Besitzer des Hauses um einen "Römer" handele (3). Sodann führt Hales ihre beiden zentralen Begriffe, "impression" und "Romanitas" ein (5). "Impression" bedeutet für Hales im Unterschied zum gebräuchlicheren "representation", dass sich nicht etwa die "reality of Pompeian daily life" in den domus widerspiegele, sondern deren Ausstattung Bekräftigung der Zugehörigkeit zur römischen Welt sei: "the house gives the impression that this Pompeian is a true Roman" (ebenda). Entsprechend ist es ihr Anliegen, im Verlauf des Buches jeweils zu fragen, wie die betrachteten Häuser dazu beitragen, die "Romanitas" ihrer Besitzer zu artikulieren.
Im ersten Hauptteil geht es darum, das für Hales zentrale "Romanitas"-Konzept zu entwickeln. Wie Hales selbst sieht (13), ist dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden: eine Definition des Begriffs findet sich in der überlieferten Literatur nicht (das Wort selbst ist selten und meines Wissens erst bei Tertullian belegt; Tert. pall. 4), und so gelangt sie zu der Einschätzung, jeder Aspekt römischen Lebens habe rhetorisch zum Ausweis besonderer "Romanitas" werden können (17). Diese offene Bestimmung ermöglicht es Hales im Anschluss zwar, nahezu alle in römischen Häusern auffindbaren Elemente als Ausweis von "Romanitas" zu interpretieren, erweist sich aber eben dadurch als problematisch: Indem ihr quasi alles "römisch" ist, verliert der Begriff erheblich an Schärfe. So bleibt unklar, wie nach Hales' Konzept ein bestimmtes Haus in der Antike erkennbar die besondere "Romanitas" seines Besitzers unterstreichen konnte, wenn diese so bemerkenswert uneindeutig war. Für ihre eigene Analyse birgt das Konzept zugleich die Gefahr, dass ihren Deutungen eine gewisse Beliebigkeit anhaftet.
Im weiteren Verlauf diskutiert die Verfasserin die Bedeutung des Hauses für die Stellung eines Aristokraten (Zugänglichkeit, Interaktion von Hausherren und Besuchern). Besondere Aufmerksamkeit widmet sie der Affäre um Ciceros Haus und seiner Zerstörung durch Clodius sowie den ihr zufolge unscharfen Übergängen zwischen "civic" und "domestic space" in Rom generell, die ihre Entsprechung in den gleichermaßen fließenden Übergängen zwischen "public" / "private" fänden ("just as the distinction between public and private space was blurred, so was the threshold between house and city", 59). Die These von "unscharfen" Übergängen findet sich in der Arbeit bei einer ganzen Reihe von Dichotomien (vergleiche das Folgende). Das Aufgreifen dieser Dichotomien in der Hausarchitektur wird zu einem zentralen Merkmal von "Romanitas", deren konträre Elemente Hales freilich oft recht großzügig und willkürlich konstruiert und zueinander in Beziehung setzt.
Zum Abschluss des ersten Teils wird "kaiserliches Wohnen" thematisiert. Die neue Qualität der kaiserlichen Anlagen sieht Hales dabei nicht allein in ihrer schieren Größe. Vor allem hätten die Kaiser versucht, traditionelle Dichotomien (urbs-rus; domus-villa; Zentrum-Peripherie; Realität-Fiktion; privatus-publicus) durch Architektur und Ausstattung ihrer Bauten zu vereinen. Für Hales drückt sich hierin der kaiserliche Anspruch aus, über alle genannten Bereiche zu verfügen, was der eben kaiserlichen Ausprägung von "Romanitas" entspreche.
Die Diskussion der pompejanischen Häuser konzentriert sich auf das Herausarbeiten von Sichtachsen im Haus (97-134, der gelungenste Teil der Arbeit) und der Interpretation der Wandmalereien (135-163). Dabei stößt Hales auf eine Reihe interessanter Beobachtungen, etwa, dass pompejanische Häuser im Gegensatz zu den Aussagen der auf Rom bezogenen Schriftquellen erstaunlich wenig Einblick von außen bieten (106). Auch zeigt sie anschaulich, wie nicht nur die in der Forschung stets betonte Sichtachse von den fauces über atrium und tablinum den Blick der Besucher bannte, sondern wie auch innerhalb des Hauses Architektur und Dekorationselemente das Haus in unterschiedlich zugängliche Bereiche gliederten.
Die Analyse der Wandmalerei dient vor allem dem Nachweis, dass die Darstellung exotischer, fremder Szenerien, in denen sich das tägliche "normale" Leben der Bewohner abspielte, ein zentrales Charakteristikum römischer Häuser darstellte. Das ständige Nebeneinander von "public-private, "mortal-divine", "Roman-alien","town-country" mache das Haus zu einem Ort des Übergangs ("transitional space"). Zentral für die Frage nach der "Romanitas" ist dabei für Hales der Umstand, dass der pater familias sich selbst gegenüber den Besuchern als diesen fremden, gefährlichen Welten gewachsen präsentieren konnte. So habe er seine Fähigkeit, sich auch im städtischen Leben zu behaupten, unterstrichen (vergleiche pointiert 162 f.), und mit dieser "impression" drücke sich die "Romanitas" der Hausbesitzer aus. Für diese These - ebenso wie für die Interpretation der kaiserlichen Anlagen - spricht die Verfasserin freilich den einzelnen Elementen der Hausausstattung und insbesondere ihren Kombinationen einen Sinngehalt zu, dessen Begründung häufig nicht zu überzeugen vermag. Dass zum Beispiel ein Besucher der "Casa di Orfeo" eventuell den Hausherren für Orpheus halten konnte ("the true identity of the owner becomes conflated with that of the hero himself", 160), wird durch Spekulationen über die Imaginationskraft der Beteiligten nicht überzeugender.
Im dritten Hauptteil wendet sich Hales' Blick nach Verulamium, Glanum, Vasio und Volubilis im Westen, im Osten kommt nach einem kurzen Abstecher nach Petra und Antiochia ad Orontem hauptsächlich Ephesos zur Sprache. Gefragt wird wiederum nach den Spuren der "Romanitas" in den Häusern, für deren Nachweis die Provinzialen auf die vorgeprägten Topoi zurückzugreifen hatten (168-170). Interpretationsgrundlage für die Ausgestaltung der Häuser sind dabei häufig die an Pompeji gewonnenen Deutungen (besonders hinsichtlich der Integration der Außenwelt in das Haus), ein Vorgehen, das zumindest problematisch erscheint. Dies gilt insbesondere dann, wenn von ähnlichen Ausstattungsmerkmalen auch noch auf ähnliche Sozialbeziehungen (etwa Formen des Bindungswesens) der Bewohner und Besucher geschlossen wird (zum Beispiel 194 f.). Das Hauptmerkmal der betrachteten Beispiele ist denn für Hales auch wenig überraschend "transgression" als Bestandteil von "Romanitas" (245).
Anstatt relativ willkürlich ausgewählte Beispiele aus dem gesamten Imperium und über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren zu versammeln, hätte eine Beschränkung auf weniger Material dem Buch gerade hier gut getan. Insbesondere wäre eine gründlichere Auseinandersetzung mit Akkulturationskonzepten sehr wünschenswert gewesen, um einen Satz wie "the Romanisation of the house is a direct indicator of the Romanisation of its owners" (246) zu vermeiden.
Neben den genannten inhaltlichen Bedenken enttäuscht das Buch durch eine unangenehm hohe Zahl an editorischen Lapsus, eine Reihe von wenig qualitätvollen Abbildungen (vergleiche etwa Abb. 29, 32, 40, 46, 48, 50, 51) und einem zum Teil befremdlichen Umgang mit Quellenbegriffen. So stößt man etwa wiederholt auf Fehler wie "domus forisque" (55, 75) oder "civitas foederatae" (172), oblique Kasus lateinischer Begriffe tauchen unvermittelt im englischen Text auf ("Vitruvius is now free to discuss the homes of the nobilibus", 26). Ciceros Rede über die Opferschauer wird zu "de haruspicem responsis", ebenso sind die fremdsprachigen Literaturtitel der Bibliografie mit Fehlern durchsetzt. Dass ausgerechnet bei einer zentralen Passage die Formulierung "publica consilia et privata iudicia arbitriaque" (Vitr. 6,5,2) als "public consultations and public trials and disputes" wiedergegeben wird (ohne lateinischen Text!), nachdem wenige Zeilen zuvor bereits von "peristylia amplimissa" die Rede gewesen war, ist sicher nur ein Versehen, passt aber leider ins Bild (27 f.). [2]
Das Fazit fällt daher zwiespältig aus. Hales präsentiert ein breites Bild römischer "Hauskultur", das so bisher nicht zur Verfügung stand. Durch Zusammenführen von Spezialwissen aus Alter Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie gelingt es ihr, Leserinnen und Lesern aus den verschiedenen Disziplinen neue Einblicke zu bieten. Auch sind einzelne Beobachtungen durchaus anregend. Der Versuch, mittels des "Romanitas"-Konzeptes unser Verständnis der Rolle römischer Hausarchitektur für Identitätsbildungsprozesse zu vertiefen, gelingt freilich nicht. Ebenso wenig erschließt sich der analytische Nutzen des "impression"-Begriffs. Die Studie erweist sich als ein Kaleidoskop unterschiedlich überzeugender Einzelbetrachtungen, nicht aber als die angestrebte tragfähige Synthese.
Anmerkungen:
[1] Vgl. A. Wallace-Hadrill: The Social Structure of the Roman House, in: Papers of the British School al Rome 56 (1988), 43-97 und die darauf aufbauende Monografie Houses and Society in Pompeii and Herculaneum, Princeton 1994.
[2] Vgl. auch die Kritik in der Besprechung von T. O'Sullivan, in: Bryn Mawr Classical Review 2004.06.31; URL: http://ccat.sas.upenn.edu/bmcr/2004/2004-06-31.html
Fabian Goldbeck