Christoph Stiegemann (Hg.): Wunderwerk: Göttliche Ordnung und vermessene Welt. Der Goldschmied und Kupferstecher Antonius Eisenhoit und die Hofkunst um 1600. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn 2003, Mainz: Philipp von Zabern 2003, 394 S., 267 Farb-, 128 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-3260-6, EUR 45,00
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Mit der Ausstellung (14.9.2003-11.1.2004) und dem Katalog "Wunderwerk, Göttliche Ordnung und vermessene Welt. Der Goldschmied und Kupferstecher Antonius Eisenhoit und die Hofkunst um 1600" ist dem Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn ein bemerkenswertes Kunststück gelungen. Es hat aus einem in verschiedenen Sparten der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte sporadisch bekannten Namen eine Künstlerpersönlichkeit rekonstruiert, sie mit ihrem vielfältigen, in der Zusammenschau beeindruckend umfangreichen Werk vorgestellt und auf angemessenem kunsthistorischen Rang etabliert. Das Autorenteam um Christoph Stiegemann entwickelte außerdem rund um den Künstler ein facettenreiches Bild der Kunstproduktion um 1600.
Quasi entdeckt wurde die vielseitige Künstlerpersönlichkeit schon früher im Umfeld des Weserrenaissancemuseums in Lemgo. Am dortigen Institut für Architektur-, Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland hatte Otmar Plaßmann ein Werkverzeichnis erarbeitet, das in einer ausführlich kommentierten Version nun den Kern des Kataloges bildet.
Leider weiß man nichts über die Lehr-, Wander- und frühen Berufsjahre des 1555/56 im westfälischen Warburg geborenen Antonius Eisenhoit. Seine frühesten bekannt gewordenen Werke zeigen ihn bereits auf dem ersten Höhepunkt seiner Karriere, nämlich in Rom, wo er gegen 1580 als Kupferstecher ein Bildnis Papst Gregors XIII. und 133 Illustrationen zur Beschreibung der mineralogischen Sammlung des Vatikans durch Michele Mercati, der "Metallotheca Vaticana" schuf. Hans Holländer stellt dieses Werk in seinen Bezügen zu den naturwissenschaftlichen Klassifikationen von Conrad Gesner und Johannes Kentmann sowie vor dem Hintergrund der Systematiken der Kunst- und Wunderkammern vor. Eisenhoits detailreiche, sehr naturnahe Illustrationen werden ebenso gewürdigt wie seine Fähigkeit, komplexe Vorgänge in mehrfigurigen narrativen Szenen zusammenzufassen, wobei er die "De Re Metallica" von Georg Agricola als Ausgangspunkt seiner Bilderfindungen nutzt, ohne ihn zu kopieren.
Wie Eisenhoit seinen Weg nach Rom gefunden hat, oder wer ihm diesen Weg gewiesen hat, muss vorerst offen bleiben. Wie aber die Netzwerke der kirchlichen und weltlichen Auftraggeber seinen weiteren Lebensweg und den seiner Künstlerkollegen bestimmt haben, das wird als eigenes Thema in einem Aufsatz von Thomas daCosta Kaufmann materialreich aufgefächert. Kaspar Zollikofer widmet sich der angemessenen und behutsamen Kunstpolitik Papst Gregors XIII., und die Gepflogenheiten bei der Abwicklung von künstlerischen Großaufträgen beschreibt Martin Raspe in seinem Essay "Eisenhoit in Rom".
Wer sich über die süddeutsche Goldschmiedekunst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vor allem über ihre Strukturen und Bedingungen, informieren möchte, wird kaum einen kompakteren fundierten Aufsatz finden als den von Günter Irmscher hier vorgelegten. Obwohl die Zentren des Goldschmiedehandwerks gegen 1600 eindeutig Nürnberg und Augsburg waren, kehrt Eisenhoit 1582 von Rom in seine Heimatstadt Warburg zurück und lässt sich dort als Goldschmied, Graveur und Kupferstecher nieder. Die geringe Größe Warburgs war für ihn von Vorteil, denn hier waren die Zünfte nicht so weit differenziert, dass eifersüchtig gehütete Zunftschranken seine vielfältigen Aktivitäten gehemmt hätten.
So entstanden in Warburg neben Werken der Goldschmiedekunst Zeichnungen und Entwürfe, einige Portraits in Kupfer und eine Stichfolge mit Allegorien für einen Nürnberger Verleger. Szilvia Bodnár berichtet die Zuschreibungsgeschichte, stellt motivische Bezüge zu zeitgenössischen Blättern vor und analysiert den Stil Eisenhoits in seinen Bezügen zu Cornelis Cort, Bartholomäus Spranger, Hendrick Goltzius und Jan Speckaert.
Zwischen 1588 und 1601 entsteht für den Paderborner Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg eines der Hauptwerke Eisenhoits: eine achtzehnteilige, höchst prunkvolle, im retardierenden Stil gehaltene Altarausstattung. Deren repräsentative Funktionen im Zusammenhang mit der Wahl zum Bischof und der Hauspolitik des Gewählten erläutert Christoph Stiegemann in seinem quellenreichen Essay zur Kunstpolitik Dietrichs zu Fürstenberg. Die Rezeptionsgeschichte dieses Eisenhoit'schen Silberschatzes von 1601 bis heute berichtet Michael Jolk anhand des Familienarchivs. Besonders interessant sind dabei die erfolgreichen Bemühungen des Direktors des Berliner Kunstgewerbemuseums Julius Lessing um Ausleihe und galvanische Kopie einiger Stücke 1879.
Wohl wegen seiner in Rom bewiesenen besonderen Fähigkeit, naturwissenschaftlich exakte Illustrationen mit hohem künstlerischen Niveau zu verbinden, erhielt Eisenhoit von Jost Bürgi, dem Hofuhrmacher Landgraf Wilhelms IV. von Hessen-Kassel, mehrere Male den Auftrag, die von ihm entwickelten und gebauten astronomischen Geräte und uhrwerksgetriebenen Himmelsgloben zu gravieren. Den technik- und astronomiegeschichtlichen Rang dieser Instrumente und Himmelsgloben, aber auch ihre enorme symbolische Bedeutung für die Herrschaftsrepräsentation am Beginn eines naturwissenschaftlichen Zeitalters erläutert Ludolf von Mackensen.
Durch seine Arbeiten für den Kasseler Hof hatte Eisenhoit Anteil an einer der Schlüsselwissenschaften der Frühen Neuzeit, die sich der Landgraf von Hessen-Kassel mit vielen seiner Mitfürsten und vor allem mit dem Kaiser teilte. Sein Leben in der eher kleinen Stadt Warburg beschreibt Franz-Josef Dubbi und erläutert dabei die wirtschaftlichen, sozialen, religiösen und politischen Strukturen in der Stadt. Eisenhoits künstlerische Erfolge schlugen sich sehr bald auch in seiner gesellschaftlichen Stellung nieder. 1596 zahlte er bereits den Höchstsatz der Türkensteuer, von 1599 ab wurde er wiederholt in den alle drei Jahre wechselnden Rat der Stadt gewählt, wo er als Kämmerer erfolgreiche Jahresabschlüsse vorlegte. Dem Tagebuch des Kaspar von Fürstenberg, dem Bruder des oben erwähnten Paderborner Bischofs, ist zu entnehmen, dass Antonius Eisenhoit im Sommer 1603 krank wurde und noch vor dem November diesen Jahres verstarb.
Genau 400 Jahre später erschien dieser Katalog, dessen Verdienst es ist, das Expertenwissen mehrerer Disziplinen zu einem facettenreichen Gesamtbild des Künstlers und der Kunstproduktion seiner Zeit zusammengefügt zu haben. Zu dem runden, gelungenen Gesamteindruck gehören nicht nur die gut aufeinander abgestimmten Aufsätze, sondern auch die Katalogtexte der 110 fast durchweg sehr gut abgebildeten hochrangigen Exponate und Exponatgruppen. Mit anderen Worten: der Katalog ist in jeder Hinsicht empfehlenswert.
Igor Jenzen