Rezension über:

Eberhard W. Sauer (ed.): Archaeology and Ancient History. Breaking down the boundaries, London / New York: Routledge 2004, XI + 206 S., ISBN 978-0-415-30201-2, GBP 19,99
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Rezension von:
Vibeke Charlotte Kottsieper
Archäologisches Institut, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Vibeke Charlotte Kottsieper: Rezension von: Eberhard W. Sauer (ed.): Archaeology and Ancient History. Breaking down the boundaries, London / New York: Routledge 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/05/6888.html


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Eberhard W. Sauer (ed.): Archaeology and Ancient History

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"Archaeology and ancient history: breaking down the boundaries" - hinter dem anspruchsvollen Titel verbirgt sich die Publikation der Beiträge einer Sektion der Theoretical Archaeology Group Conference vom Dezember 2001 in Dublin. Thema dieser Sektion war, die unbestreitbar existierenden Schranken zwischen verschiedenen altertumswissenschaftlichen Disziplinen kritisch zu beleuchten, sie infrage zu stellen und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung aufzuzeigen. Ein besonderer Schwerpunkt der Diskussion lag dabei auf der modernen Trennung des Studiums der materiellen und der literarischen Quellen in die Fächer Archäologie und Alte Geschichte. Dabei sollte vor allem folgenden Fragen nachgegangen werden: ob diese beiden Fächer isoliert voneinander sinnvoll betrieben werden können; ob dann konsequenterweise alle Quellen ausschließlich der einen oder der anderen Disziplin zugehörig sind; ob beide Disziplinen gleichwertig sind, oder die eine eher als Hilfswissenschaft für die andere fungiert; ob, und wenn ja: in welcher Form ihre engere Verknüpfung miteinander möglich und sinnvoll sein könnte.

Die Autoren der einzelnen Beiträge sind Historiker und Archäologen unterschiedlicher Nationalität, die derzeit alle an Universitäten in Großbritannien tätig sind. Aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte und der daraus resultierenden Zugehörigkeit zu verschiedenen Fakultäten kann jeder von ihnen das Thema von einem anderen Blickwinkel beleuchten und aus Erfahrung von den Gefahren berichten, die gerade für den eigenen Schwerpunkt in der ausschließlichen Konzentration der Forschung auf entweder literarische oder materielle Quellen liegen.

Das Buch gliedert sich in vier Teile: Einer grundlegenden Einführung des Herausgebers folgen die übrigen Beiträge in drei Blöcken. Da sich keine eindeutigen 'Lager' von möglichen Ansätzen zu einer Verbesserung der jetzigen Situation bilden ließen, erfolgte die Gruppierung entsprechend der jeweils hauptsächlich behandelten Kultur (Sauer, 6): Griechenland, Rom, Nachbarkulturen ('Amazonen', Skythen, Kelten). Der Erörterung des eigentlichen Themas der Sektion wird unterschiedlich viel Raum innerhalb der Beiträge zugemessen. Manche Autoren machen die Suche nach Möglichkeiten zur Überwindung des unbefriedigenden Status quo zum Leitmotiv ihrer Ausführungen, bei anderen erscheint sie eher als ein Nebenaspekt. Jedem Beitrag ist eine ein- bis zweiseitige Bibliografie beigegeben, deren Fokus allerdings in der Regel überdeutlich auf der englischsprachigen Literatur liegt. Ein Index mit den wichtigsten Stichworten beschließt das Buch.

Alle Autoren stimmen darin überein, dass es mangelnde Kooperation mit oder zumindest mangelnde Wahrnehmung der jeweiligen Nachbardisziplinen zu beanstanden gibt. Hinzu kommt die Klage, dass Forscher mit einem Spezialgebiet an der Schnittstelle zweier Disziplinen oftmals von beiden Seiten nicht richtig ernst genommen und beachtet würden (Henig, 134 ff.). In den Beiträgen, die sich nicht so sehr auf die theoretische Erörterung der Fragestellung konzentrieren, wird an konkreten Beispielen vor Augen geführt, zu welchen Fehldeutungen Eindimensionalität in der Forschung führen kann (zum Beispiel Hoffmann, 151 ff.; Murphy, 169 ff.; Karl, 185 ff.). Der Beitrag von Morgan (85 ff.) befasst sich zusätzlich mit dem Problem des politisch ideologischen Missbrauchs von Forschungsergebnissen. Sie warnt davor, dass ein geteiltes Fach anfälliger für "individuals with strong beliefs about the past" sei (vgl. Sauer, 10).

Die Vorstellungen, wie diesen Mangelerscheinungen im Einzelnen beizukommen sein könnte, unterscheiden sich stark voneinander. Das Spektrum reicht von der geforderten Abschaffung der Einzeldisziplinen zu Gunsten eines einzigen Faches (Sauer, 40 ff.) bis hin zu der These, dass allein durch den Erhalt der Trennung ein kritisches Gegeneinanderabwägen von Einzelergebnissen möglich sei (Rankov, 52; Dialismas, 70). Zwischen diesen beiden Extrempositionen steht der mehrfach geäußerte Wunsch nach der Überwindung des "subject pride" (Sauer, 7), um zu mehr Toleranz und neugieriger Offenheit der Nachbarfächer untereinander zu finden. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass ein solcher Dialog eher auf der Ebene der Synthese als bei der primären Studie von Texten oder neuem archäologischem Material sinnvoll ist (Dialismas, 70 f.; Laurence, 110). Foxhall (82) warnt in diesem Zusammenhang allerdings davor, die eigene Kompetenz im Umgang mit ungewohntem Quellenmaterial zu überschätzen. Mehrere Autoren betonen, dass die besonders für griechisch-römische Archäologen geforderte Beachtung literarischer Quellen auch für die prähistorische Archäologie fruchtbar sein kann (Dialismas, 68 ff.; Karl, 191 ff.). Alle sind sich darin einig, dass die Entwicklung neuer Fragestellungen, die sich zur Integration unterschiedlicher Quellengattungen eignen, ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung wäre (z. B. Foxhall, 83; Laurence, 106 f.).

Eine einheitliche Beurteilung der Publikation ist nicht ohne Weiteres zu erreichen, da sich Ausrichtung und Ergebnisse der einzelnen Beiträge stark voneinander unterscheiden. Das Oberthema stellt in seiner explizit anspruchsvollen Formulierung - nämlich die Fächergrenzen niederzureißen - tatsächlich etwas Besonderes dar. Es steht aber insofern nicht isoliert, als in den letzen Jahren das Streben nach Interdisziplinarität in der Forschung sowohl ideell als auch faktisch zugenommen hat, wie zahlreiche Forschungsprojekte, Graduiertenkollegs und Tagungen zeigen. Leider fehlt im vorliegenden Sammelband eine genaue Definition des verwendeten Begriffs der Interdisziplinarität. In einem Fall ist damit das vergleichende Zusammenführen von Ergebnissen einzelner Forscher gemeint (zum Beispiel Rankov, 52 f.), in einem anderen bereits das Verwenden von Schriftquellen durch einen Archäologen (Hoffmann, 151 ff.).

Zu fragen wäre nach der gewünschten Wirkung des Buches. Da es sich nicht um die Erarbeitung einer neuen Ausbildungsrichtlinie handelt oder das Festlegen von Standards für die Beiträge zu einem speziellen Forschungsprojekt oder einer konkreten Publikation, wird die unmittelbare Resonanz vermutlich gering sein. Ein "single-disciplinary purist" (Sauer, 12) wird nur schwerlich überhaupt zur Lektüre des vorliegenden Bändchens finden. Unter diesen Umständen ist fraglich, ob das Ziel der Publikation "to challenge those who disagree or who have not previously seen the fragmentation of the study of the human past as a major issue to come up with counterarguments or change their minds" (Sauer, 16) erreicht werden kann. Das zeigt sich bereits in dem bedauerlichen Umstand, dass an der Sektion nur solche Wissenschaftler teilgenommen haben, die in der einen oder anderen Weise für eine Fächerübergreifende Forschung plädieren. Eine markante Gegenposition hätte - wie der Herausgeber selber konstatiert (Sauer, 5) - anregend gewirkt und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diesem Thema deutlicher gemacht.

Vibeke Charlotte Kottsieper