Tonio Hölscher: The Language of Images in Roman Art. Translated by Anthony Snodgrass and Annemarie Künzl-Snodgrass. With a foreword by Jaś Elsner, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XXXV + 151 S., ISBN 978-0-521-66569-8, EUR 15,99
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"The Language of Images in Roman Art" ist die englische Übersetzung von Hölschers vor nunmehr siebzehn Jahren erschienener Abhandlung "Römische Bildsprache als semantisches System". [1] Dieser, aus einem Vortrag an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hervorgegangene, vom Autor selbst lediglich als "grobe Skizze" bezeichnete (10 der deutschen Ausgabe) Beitrag hat seinerzeit dem Verständnis von und dem Umgang mit der römischen Bildkunst neue Wege aufgezeigt. Die Initiative zu der nun erschienenen Übersetzung entstand aus der Erkenntnis der auseinander driftenden Forschungstendenzen der verschiedenen Sprachräume und der daraus resultierenden mangelnden Verbreitung neuer Forschungs- und Verständnisansätze (XIII).
Dem eigentlichen Text vorangestellt sind ein kurzes Vorwort des Autors (XI), ein zweites Vorwort zur Englischen Ausgabe (XIII f.) sowie ein Geleitwort von Jaś Elsner (XV-XXXI). Elsner bemüht sich umsichtig, einem überwiegend in der angelsächsischen Wissenschaftstradition geschulten Publikum die Kontroversen der deutschsprachigen, besonders auf Fragen nach "the ways form determines, defines, enables meaning" (XVII) ausgerichteten Forschung deutlich zu machen. Ohne deren Kenntnis kann - wie Elsner richtig bemerkt - die wegweisende Bedeutung von Hölschers Neuansatz kaum angemessen eingeschätzt werden. Er lobt den Erfolg Hölschers "in uniting the great formalist strength of the German tradition [...] with a more recent interest in content and within the umbrella-theory of art as a linguistic system. In this union of old and modern approaches, he has created something genuinely new - both on the level of understanding Roman art and also as a theoretical postulate for the ways images more generally work as semantic vehicles for communication" (XV). Dabei stellt Elsner zurecht als besonders positiv heraus, dass "[i]t is not theory applied to works of art, to see how far one can get, but rather a theoretical model derived from them" (XVI).
Der Haupttext gliedert sich in zwölf Kapitel. In der "Introduction" (1-4) führt Hölscher in die Probleme der Forschung zur römischen Kunst ein und betont deren Bedeutung auch im sozialgeschichtlichen Zusammenhang: "The exploration of stylistic forms offers a way of measuring cultural identity" (1). Anschließend entwickelt er seine Fragestellung, "how a society may coin a means of visual communication, how this language then reacts on the society as it uses and develops it, what the overall visual system is able to achieve as a result, which structures of meaning are implied in its syntax and repertoire of motifs" (2), und eine erste Skizze seines theoretischen Neuansatzes, der römische Kunst gleich einer Sprache als ein System aus semantischen Versatzstücken zu verstehen versucht (2 ff.).
Kapitel 2 (5-9), beschäftigt sich mit den griechischen Wurzeln der römischen Kunst und der viel diskutierten Frage nach der Natur des römischen "Klassizismus". Hölscher verwirft die traditionelle Forderung nach einer beständig sich fortentwickelnden, schöpferischen Kunst und betont die Funktion von Kunstwerken als "forms of communication - that is, as factor in the collective life of a society" (7).
Das folgende Kapitel 3 (10-22), enthält die eigentliche Darlegung der These, dass zu jeder Zeit aus (fast) allen Epochen der griechischen Kunst rezipiert wird, nicht selten sogar am selben Monument (15 f.), und dass die Verwendung unterschiedlicher typologischer Traditionen allein vom Darstellungsinhalt abhängig ist (20).
Kapitel 4 (23-37), 5 (38-46) und 6 (47-57) zeigen die Aufnahme von Stilmerkmalen unterschiedlicher Epochen zur Darstellung zweier verschiedener Themen in der römischen Kunst: zum einen die Übernahme hellenistischer Elemente in Schlachtendarstellungen (33 ff.), zum anderen die Rezeption hochklassischer Formen in Darstellungen des römischen Staatszeremoniells.
In den beiden Kapiteln 7 (58-85) und 8 (86-102) demonstriert Hölscher das Funktionieren und die Struktur des "semantic system" anhand zweier konkreter Beispiele. Es wird deutlich, dass die Verwendung einer bestimmten Form nicht "an arbitrary relativism that prevails, nor a pure preference of taste, but a selection, which is geared towards best expressing the message", ist (86). Das führt dazu, dass Elemente verschiedener griechischer Stilepochen innerhalb desselben Kontextes Verwendung finden können. Und zwar sowohl als Teile eines größeren Programms als auch an ein und demselben Monument, wie Hölscher im Hinblick auf die Ausstattung der Pisonenvilla und die Friese der Ara Pacis feststellt. Die Form wird dabei zum Synonym für einen bestimmten abstrakten ideologischen Wert ("value", 92), der gemäß dem Prinzip des "exemplum" als Träger einer Botschaft verwendet wird. "The language of imagery [...] was a rich system of visual communication which provided either fixed formulae, or easily applied patterns of formulation, for every possible theme or subject" (92).
Die zu Grunde liegende Idee, unterschiedliche Assoziationen durch Formen verschiedener Stilepochen zu evozieren, entstand bereits - wie in Kapitel 9 (103-112) gezeigt wird - im 2. Jahrhundert v. Chr. Hölscher nennt hier die Kultbildgruppe aus Lykosura als ein prominentes Beispiel.
Neben den durch das semantische System der Bildsprache sich verfestigenden typologischen Formen ist jedoch auch die Komponente des Zeitstils zu berücksichtigen, die den immer ähnlichen oder gar gleichen Bildern durch die sich wandelnde handwerkliche Ausarbeitung ihr jeweils spezifisches Gepräge gibt (Kapitel 10, 113-118).
Kapitel 11 (119-112) zeigt vergleichbare Tendenzen in der hellenistisch-römischen Literatur und Kunsttheorie auf.
Das abschließende 12. Kapitel (125-127) schließlich weist auf die integrierende Funktion dieses Systems im Rahmen der römischen Reichskultur hin. Die Feststellung, dass "an enormous number of Roman works in the Greek tradition are of very ordinary quality", führt zu der Erkenntnis, dass deren "aim was certainly not to be seen as reflecting the greatness of Greece, but rather as representing themes of imagery which were important to the population as a whole" (125). Dieses Kommunikationsmedium einer allseits verständlichen Bildsprache aus Formen und Normen war im Imperium Romanum mit seiner heterogenen Bevölkerung von großem Nutzen.
Zwischen Vorworten, Geleitwort und Text finden sich ein Glossar der lateinischen und griechischen Fachausdrücke und ein Überblick über die Perioden der griechischen Kunstgeschichte sowie die Lebens- oder Schaffensdaten der im Text genannten griechischen Künstler. Hierbei wäre allerdings eine größere Zurückhaltung im Umgang mit absoluten Daten wünschenswert gewesen.
Im Anschluss an den Text finden sich eine Auflösung der Abkürzungen und der mit Kurztitel zitierten Literatur (128-140) sowie eine Zusammenstellung neuerer Literatur zum "Further Reading" von Jaś Elsner (141-147). Ein Index (148-151) beschließt den Band.
Die Übersetzung ist kenntnisreich und elegant und trifft den Ton der Vorlage sehr gut. Man fragt sich allerdings, ob es notwenig war, alle griechischen und lateinischen Begriffe sowohl an Ort und Stelle im Text als auch im Glossar zu erklären. Da sich das Buch doch wohl eher an ein Fachpublikum richtet, scheint diese doppelte Hilfestellung etwas übertrieben.
Hölschers Deutungsmuster der römischen Kunst als ein der Sprachstruktur verwandtes semantisches System von Elementen, die entsprechend dem gewünschten Effekt ein- und aneinandergesetzt werden, hat für das Verständnis der römischen Kunst wesentlich Neues erbracht. Aus diesem Grunde ist die Absicht, dieses Konzept auch nicht Deutsch sprechenden Archäologen näher zu bringen, sicherlich zu begrüßen. Bedauerlich mag man allerdings finden, dass der Autor auf die Überarbeitung des Textes vollständig verzichtet und lediglich ein neues Vorwort beigefügt hat. In der unveränderten Einleitung schreibt er "This essay is, in fact, a very preliminary and open-ended sketch. My aspiration is that it will be assessed, clarified and (let us hope) enriched by discussion and criticism" (3). Eine Überarbeitung wenigstens dieses Kapitels mit einem Kommentar des Autors, wie er die Weiterentwicklung der Forschung seit dem Erscheinen der "Bildsprache" einschätzt, wäre begrüßenswert gewesen. [2]
Anmerkungen:
[1] Tonio Hölscher: Römische Bildsprache als semantisches System (= Abhandelung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse; 1987, 2), Heidelberg 1987. Vgl. dazu die Rezensionen von: B. Fehr, in: Gnomon 62 (1990), 722-729, bes. 725 ff.; F. Felten, in: Grazer Beiträge. Zeitschrift für die Altertumswissenschaften 17 (1990), 258-261 und R. Ling, in: Classical Review 40 (1990), 187.
[2] Einen kurzen Überblick über einige Tendenzen der Forschung seit dem Erscheinen der "Bildsprache" gibt Elsner in seinem Geleitwort (XVII mit Anm. 7). Auffällig ist, dass sämtliche von ihm zitierten Autoren - auch sein eigenes Buch über "Art and the Roman Viewer" von 1995 - Hölschers Thesen nicht zur Kenntnis genommen haben. Ebenso D. E. E. Kleiner: Roman Sculpture, New Haven / London 1992 und B. Andreae, der in seiner überarbeiteten Version der "Römischen Kunst" von 1999 die "Bildsprache zwar in die Bibliografie aufgenommen hat, wo sie aber im einführenden Text keine Rolle spielt. Anders z. B. D. Grassinger: Römische Marmorkratere, Mainz 1991 - die allerdings eine Schülerin von Hölscher ist - und jetzt Ellen Perry: The Aesthetics of Emulation in the Visual Arts of Ancient Rome, Cambridge 2005, bes. 43 ff.
Vibeke Charlotte Kottsieper