Rezension über:

Robin Osborne (ed.): Studies in Ancient Greek and Roman Society (= Past and Present Publications), Cambridge: Cambridge University Press 2004, XII + 386 S., ISBN 978-0-521-83769-9, GBP 50,00
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Rezension von:
Bernhard Smarczyk
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Smarczyk: Rezension von: Robin Osborne (ed.): Studies in Ancient Greek and Roman Society, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/6936.html


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Robin Osborne (ed.): Studies in Ancient Greek and Roman Society

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Robin Osborne hat im vorliegenden Sammelband dreizehn Aufsätze angelsächsischer Autoren zu verschiedenartigen Themen der antiken Geschichte vereinigt, die zwischen 1982 und 2001 in Past and Present publiziert worden sind. Sie werden hier teils revidiert und / oder mit einem Nachwort versehen, teils unverändert - samt einigen Abbildungen und Tippfehlern - abgedruckt.

Vorbild ist ein von Moses Finley betreutes Sammelwerk unter dem Titel Studies in Ancient Society (1974). Osborne betont einleitend (1-11) die Fortsetzung der von Finley begründeten 'Tradition', indem er als gemeinsamen Nenner der aufgenommenen Beiträge die Untersuchung von sozialen Strukturen bestimmt, welche sich einer fixen Institutionalisierung entziehen; sie orientieren sich an einer besonders von Michel Foucault geprägten Fragestellung und Forschungsrichtung. Es geht um "the power located in social practices that might be independent of and cut across institutions, the power constituted by knowledge and by classification" (2).

Den Auftakt bildet W.R.Connor's "Early Greek land warfare as symbolic expression". Er analysiert darin die soziale Verankerung der auf Hopliten und Phalanx abgestellten Kriegführung des 6. und frühen 5. Jahrhunderts und ihre agonistischen, rituellen, religiösen und ideologischen Züge. Die rituelle Einbettung vieler Aspekte der Kriegführung - Connor greift hier W. Burkerts aufschlussreichen Vergleich zwischen Kriegführung und Opferzeremonien auf - erweist sich als Teil eines symbolischen Systems, mit dem die Griechen sich ihr Bild vom Krieg schlechthin zurecht legten. Diese Riten und die Kodifikation spezifischer Verhaltensweisen vor, während und nach dem Kampf waren bestimmt von sozialen Beziehungen in und zwischen den Poleis sowie vor allem durch die Werte der "hoplite classes" und geeignet, ihre gesellschaftliche Position zu stützen.

Robin Osborne widmet sich dem Thema "Law, the democratic citizen and the representation of women in classical Athens", bei dem es zum einen um die soziale Einbindung und Instrumentalisierung von Rechtsprechung und Gesetzgebung innerhalb der Bürgerschaft Athens geht und zum anderen um Wege der Verbalisierung und Visualisierung gesellschaftlicher Gegebenheiten am Beispiel der Rolle der Frau. Der Aufsatz ist speziell fokussiert auf den Zusammenhang zwischen dem Bürgerrechtsgesetz von 451/450 und den Darstellungen beziehungsweise Themen attischer Grabreliefs und weißgrundiger Lekythoi: Die wachsende Zahl von Frauendarstellungen ab der Mitte des 5. Jahrhunderts artikulierte die Herkunft der Mütter aus einer Athener Familie, signalisierte darin die Konformität mit den neuen gesetzlichen Regelungen (Vater und Mutter mussten aus Bürgerfamilien kommen) und spiegelten eine Aufwertung der Bedeutung der Bürger-Frauen.

An Foucaults Forschungen über die Sexualität in der Antike knüpfen die Beiträge von David Cohen ("Law, society and homosexuality in classical Athens") und von James Davidson ("Dover, Foucault and Greek homosexuality: penetration and the truth of sex") an. Cohen nutzt komparatives Material und anthropologische Befunde für die Erforschung sexueller Beziehungen in der athenischen Gesellschaft und bettet die Homoerotik ein in ein Spannungsfeld von kulturellen Widersprüchen und Ambivalenzen. Sie bestimmten die soziale Praxis und das Wertesystem und führten zu unterschiedlichen Haltungen und Beurteilungen, welche in der attischen Gesetzgebung und Literatur greifbar werden. Davidson erörtert die Entwicklung der modernen Erforschung griechischer Homosexualität, welche seit den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts der Tendenz zur "sexualisation of Greek love" (81) unterliegt, und setzt sich mit den Grundlagen von Foucaults Interpretationen und ihrem Verhältnis zu divergierenden Ansätzen anderer Forscher auseinander.

Fergus Millar ("The Mediterranean and the Roman revolution: politics, war and the economy") analysiert, wie die römische Herrschaft über den Mittelmeerraum unter den Auswirkungen der Bürgerkriege während der ausgehenden Republik die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten beeinflusste. Er hebt im Kontext eines Anpassungsprozesses an die römische Dominanz einerseits den hohen Differenzierungsgrad der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in verschiedenen Regionen und Provinzen hervor sowie andererseits die Wechselseitigkeit des ökonomischen Austauschs zwischen Rom und den Reichsteilen. Ihr Verhältnis war keineswegs von einem einseitigen Strom von Geld, Versorgungsgütern und Sklaven in die 'Reichszentrale' gekennzeichnet. In ein übergreifendes Modell, so Millar's Einschätzung, lassen sich die Einzelbefunde jedoch (noch) nicht einbinden.

John Norths "Democratic politics in Republican Rome" ist ein Beitrag zu der von Fergus Millar angestoßenen Debatte über demokratische Elemente in der römischen Republik und die Rolle des Volkes beziehungsweise der Volksversammlungen bei politischen Entscheidungsprozessen. Nach seiner Auffassung gaben Situationen verschärften Wettbewerbs oder Konflikts innerhalb der durch die römischen Gesellschaftsstrukturen besonders fest etablierten politischen Elite grundsätzlich, wenn auch nur gelegentlich, einen Raum für den Einfluss des Votums des römischen Volkes im Sinne einer "arbitrative power".

"The Golden Age and sin in Augustan ideology" von Andrew Wallace-Hadrill betrachtet ideologische Konstruktionen der augusteischen Zeit, welche die neue Herrschaftsform des ersten Princeps stützten. Die soziale Funktion des Mythos vom "Goldenen Zeitalter" und die Vorstellung von der Wiederkehr des glücklichen Lebens der Epoche Saturns, die von den bedeutendsten Dichtern der Zeit aufgegriffen und umgedeutet wurden, bestand darin, die Notwendigkeit zu unterstreichen, sich dem Princeps unterzuordnen: Er verkörperte die Abwendung von der Sünde, die im Brudermord des Bürgerkrieges und der wachsenden Amoralität bestand, und übernahm im Stile des Saturn die Rolle des gerechten Gesetzgebers und Garanten der mos; er, so lautete die Botschaft, ist notwendig für die Erhaltung der römischen Gesellschaft.

Nicholas Purcell ("Literate games: Roman urban society and the game of alea") erschließt mit einer fruchtbaren Untersuchung von Würfelspielen ein zuvor unter sozialhistorischem Gesichtspunkt weitgehend ignoriertes Quellenmaterial (Literatur und Spieltafeln). Er analysiert den moralischen Diskurs innerhalb der römischen Elite über das Spielen und besonders über Würfelspiele und deren "social setting" innerhalb der römischen Kultur. Die ausgesprochen negativen moralischen Bewertungen des Würfelns - obgleich es als eine typisch römische Beschäftigung galt - beruhten auf der damit verbundenen Trivialität und Frivolität, einer mehr oder minder deutlich aufbrechenden Tendenz zur Gewaltsamkeit und der sozialen Verortung in unteren Schichten der urbanen Bevölkerung, aber vor allem darauf, dass es sich der vorgegebenen gesellschaftlichen Differenzierung nach den Kriterien von Reichtum und Status entzog.

"Novel evidence for Roman slavery" von Keith Hopkins befasst sich mit der Vita des Fabeldichters Aesop, deren heute bekannte Versionen wohl im 1 Jahrhundert nach Christus abgefasst worden sind. Er versucht dieses ausgesprochen populäre Werk fiktionaler biografischer Literatur im Hinblick auf seine Aussagemöglichkeiten über die römische Sklaverei in seinen historischen und ideologischen Kontext einzuordnen. Es spiegelt Moralvorstellungen und Attitüden, die charakteristisch waren sowohl für den soziokulturellen Erfahrungshorizont der Sklaven als auch für die Ängste ihrer Herren und für die Spannungen zwischen beiden Gruppen.

Ebenfalls der vernachlässigten kulturhistorischen Betrachtung eines literarischen Werkes widmet sich S.R.F. Price ("The future of dreams: from Freud to Artemidoros"). Die Untersuchung der Träume durch Artemidor von Daldis bediente sich ähnlicher analytischer Mittel wie die empirische Medizin: Artemidor klassifizierte die Träume, bestimmte Prinzipien der Traumdeutung und betonte - als notwendige Basis für Vergleiche - die Erfahrung, gewonnen aus der Erklärung zahlreicher Träume und ihrer Hintergründe. Auf dieses solide Fundament gestellt, sollte die Traumdeutung Anerkennung als eine Beschäftigung gewinnen, die kulturelle Akzeptanz verdiente (252). Ihre Popularität basierte auf ihrer potenziellen Aussagekraft für zukünftige Ereignisse und spiegelt ein beachtliches Maß an individueller und gesellschaftlicher Verunsicherung. Price kritisiert zu Recht Versuche, Artemidors Traumerklärungen unter dem Blickwinkel moderner Begriffe und psychoanalytischer Interpretationsmuster zu verstehen.

Jaś Elsner ("Pausanias: a Greek pilgrim in the Roman world") versucht zu klären, was die "systematic enumeration of Greece" (262) in Pausanias' Periégesis tês Helládos über die griechische Identität des 2. Jahrhunderts nach Christus aussagt. Hierbei untersucht er besonders deren religiöse Aspekte und speziell die Bedeutung des vorchristlichen Pilgerwesens. Die Spannung zwischen dem griechischen Selbstbild, das sich aus dem traditionellen Freiheitsanspruch und den mythhistorischen Leistungen von Hellas speiste, und den harten Fakten der römischen Herrschaft konnte von Pausanias nur aufgelöst werden durch die Betonung der "sacred identity of Greece" (275). Er fand sie in der glorifizierten Vergangenheit, in den Mythen, den Tempeln und heiligen Bildern, Opfern und Ritualen, an all den Stätten, wo das Heilige nachlebte.

Brent D. Shaw ("The passion of Perpetua") untersucht eine Schrift, die von der nordafrikanischen Christin Perpetua verfasst wurde. Sie ist eine Besonderheit schon aufgrund der weiblichen Autorin, die hier ohne literarischen Anspruch die Erfahrungen einer Frau bis kurz vor ihrem Tod in der Arena (wohl 203 nach Christus) wiedergibt. Freilich wurde ihr Bericht von einem männlichen Herausgeber überarbeitet und ihre Tat später von (Kirchen-)Männern in veränderter Weise dargestellt, da ihr Schicksal unter anderem aufgrund ihres lebendigen Berichts, des hohen sozialen Status der Familie und der Selbstständigkeit der Märtyrerin, unter anderem gegenüber ihrem Vater, besonderes Interesse, aber auch 'Umdeutungsbedarf' für ihre Worte und Geschichte weckte. Die Darstellung von Perpetuas Martyrium führt daher mitten hinein in die Geschichte der frühen Kirche und zugleich in die Thematik männlicher Umdeutung weiblicher Betrachtungsweisen antiker Lebenswirklichkeit.

Shaw's zweiter Aufsatz ("Bandits in the Roman empire") zählt zu der wachsenden Zahl von "bandit studies", die nicht zuletzt durch seine Überlegungen stimuliert wurden. Es geht darin um das Räuberwesen und Banditen, also um Randgruppen der Gesellschaft, die ihre Ziele mit einem hohen Maß an Gewaltsamkeit verfolgten und sich dem Zugriff des römischen Gesetzes entzogen. Shaw gelangt zu dem Ergebnis, dass die Antriebe, sich als Räuber zu betätigen, auf der spezifischen Struktur der sozialen und politischen Formationen basierten. Sich den latrones anzuschließen war eine Form sozialen Verhaltens, ermöglicht durch eine unvollständige Entwicklung der staatlichen Strukturen; sie ließ freie Zonen offen, welche sich dem Zugriff herrschaftlicher Mittel und dem der römischen Gesellschaft entzogen.

Ein Namens- und Stichwortregister rundet die Studies ab, ein Quellenverzeichnis fehlt hingegen. Mag das Buch aufgrund des breiten Themenspektrums und des Preises (50 £;) seinen Platz eher auf der Anschaffungsliste einer Bibliothek als eines einzelnen Forschers oder Studenten finden, so verdienen die aufgenommenen Beiträge gleichwohl durchgehend deren Interesse aufgrund ihres ausgeprägten Bemühens um neue Fragestellungen und methodisch reflektierte Ansätze.

Bernhard Smarczyk