Heide Wunder / Christina Vanja / Berthold Hinz (Hgg.): Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen und seine Residenz Kassel. Ergebnisse des interdisziplinären Symposiums der Universität Kassel zum 500. Geburtstag des Landgrafen Philipp von Hessen (17. bis 18. Juni 2004) (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; 24,8), Marburg: Elwert 2004, 316 S., ISBN 978-3-7708-1267-7, EUR 24,00
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Heide Wunder: Der andere Blick auf die Frühe Neuzeit. Forschungen 1974-1995. Hg. v. Renate Dürr / Ulrike Gleixner / Barbara Hoffmann / Helga Zöttlein, Königstein: Ulrike Helmer Verlag 1999
Arnd Friedrich / Fritz Heinrich / Christina Vanja (Hgg.): Das Hospital am Beginn der Neuzeit. Soziale Refom in Hessen im Spiegel europäischer Kulturgeschichte. Zum 500. Geburtstag Landgraf Philipps des Großmütigen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2004
Philipp der Großmütige ist der bedeutendste Herrscher der hessischen Landgrafen-Dynastie. Anlässlich seines 500. Geburtstages im Jahr 2004 fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, die sich mit dem für die Geschichte Hessens prägenden Fürsten auseinander setzten. Der hier vorliegende Tagungsband dokumentiert die Ergebnisse eines der Symposien im Rahmen dieses Jubiläums, der Tagung in Kassel unter der Leitung von Heide Wunder, Christina Vanja und Berthold Hinz. Im Zentrum der Tagung standen neue Forschungsergebnisse zur Person des Landgrafen sowie zu seiner Bedeutung für die Entwicklung der Residenzstadt Kassel. Das Symposium war interdisziplinär angelegt. Neben neuen Erträgen aus der Geschichtswissenschaft finden sich in dem Band auch Beiträge von Vertretern der Kunstgeschichte, der Theologie, der Rechtswissenschaften und der Medizin. Unterteilt ist der Band in die fünf Themenblöcke der Tagung, die um einen Aufsatz zur Rezeptionsgeschichte erweitert sind.
Bereits im ersten Themenschwerpunkt des Bandes, der Person und Persönlichkeit Philipps des Großmütigen gewidmet ist, wird deutlich, dass der interdisziplinäre Zugang der Tagung neue Perspektiven eröffnet. So nähert sich der Kunsthistoriker Berthold Hinz dem Landgrafen über die Ikonografie. Nach einer Analyse der überlieferten Bildnisse Philipps stellt er fest, dass sich in den Porträts über die Jahre hinweg deutliche Image-Wechsel zeigen. Ob diese Veränderungen allerdings bewusst vom Landgrafen gesteuert wurden, stellt Hinz infrage. Er weist vielmehr darauf hin, dass Philipp offensichtlich kein Interesse zeigte, sich der Kunst bzw. des Bildes als öffentlichkeitswirksamen Mittels zu bedienen. Den Grund dafür sieht Hinz vor allem in Philipps Frömmigkeitsverständnis, in dem das Wort verabsolutiert wurde. Gerhard Aumüller und Esther Krähwinkel werfen einen Blick auf den Landgrafen aus medizinhistorischer Sicht. Sie können dabei nachweisen, dass zwei zentrale Diagnosen aus Philipps Krankengeschichte - nämlich die der Syphilis und die der Triorchie - höchst wahrscheinlich unzutreffend sind. Inwieweit diese Fehldiagnosen die zeitgenössische wie die historische Beurteilung der Persönlichkeit Philipps beeinflusst haben, bedarf sicherlich noch eingehender Erörterung.
Dynastische Verbindungen Philipps des Großmütigen werden im nächsten Abschnitt des Bandes thematisiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Frauen im Umfeld des Landgrafen. Den Anfang bildet hier ein Beitrag von Pauline Puppel über Anna von Mecklenburg, die Mutter Philipps. Im Zentrum von Puppels Darstellung steht der Kampf um die vormundschaftliche Regentschaft der Landgräfin, der Philipps Jugendzeit prägte. Ausgehend von den Ergebnissen ihrer Dissertation [1] analysiert Puppel eingehend die Rechtsgrundlagen für die vormundschaftliche Regentschaft einer Frau, das Selbstverständnis Annas als Regentin und den Verlauf der Streitigkeiten. Puppel gelangt dabei zu der Einschätzung, dass es der Landgräfin vor allem aufgrund der Unterstützung ihrer Familie und durch deren Einfluss am kaiserlichen Hof gelang, die Regentschaft für ihren Sohn Philipp zu übernehmen.
Der Jurist Stephan Buchholz wendet sich dann der schon unter den Zeitgenossen sehr umstrittenen Doppelehe Philipps des Großmütigen zu. Er analysiert die Stellungnahmen der Reformatoren zur Bigamie des Landgrafen und konstatiert, dass Philipp durch sein Festhalten an einer Ehe mit Margarete von der Saale bewusst scharfe Auseinandersetzungen mit den Reformatoren und anderen Reichsständen riskierte. Im Anschluss daran beschäftigt sich Cordula Nolte mit Philipps erster Ehefrau Christine von Sachsen und deren Familienbeziehungen. Sie stellt fest, dass Christine in Fragen der Einführung der Reformation zu den Entscheidungen ihres Ehemannes Philipp stand und somit eine deutliche Verschlechterung ihres Verhältnisses zu ihrem Vater Herzog Georg von Sachsen in Kauf nahm. Die Ehe Philipps mit Margarete von der Saale sieht Nolte nicht als nachhaltige Belastung für Christines Ehe mit Philipp, da sich nach der Sicherung der Position Christines als Landgräfin keine weitere Trübung des Verhältnisses zwischen den Eheleuten feststellen lässt. Im Gegenteil, während der Gefangenschaft Philipps seit 1547 setzte Christine sich bis zu ihrem Tod vehement für seine Freilassung ein. Noltes Wertung der Zweitehe Philipps als Entlastung für seine Verbindung mit Christine von Sachsen (81) geht allerdings zu weit und ist aus den von ihr vorgelegten Quellen nicht ersichtlich. Abgerundet wird der zweite Themenschwerpunkt durch einen Einblick in die alltäglichen Vergnügungen und großen Feste am Hofe Landgraf Philipps von Margret Lemberg. Im Mittelpunkt ihrer Darstellung stehen die Hochzeitsfeierlichkeiten am hessischen Hof, vor allem die aufwändig gestaltete Heimführung der Landgräfin Christine nach Kassel.
Der Residenz Kassel und dem hessischen Territorium wenden sich die Arbeiten der dritten Sektion zu. Nach einer kunsthistorischen Beschreibung der Stadtbildgeschichte Kassels unter Philipp dem Großmütigen von Sascha Winter stellt Stefan Brakensiek im Rückgriff auf die bisherige Forschung die Verwaltungsstruktur Hessens zur Zeit des Landgrafen dar. Brakensiek unterzieht das politische System der Landgrafschaft dann - nach Elias'schem Vorbild - einer Figurationsanalyse und konstatiert, dass der Auf- und Ausbau eines ausdifferenzierten Verwaltungsapparates unter Philipp nicht zur Entmachtung des Adels führte, sondern adlige und bürgerliche Amtsträger sich vielmehr ergänzten. Erweitert werden diese die Organisation der Landgrafschaft betreffenden Ergebnisse durch den Beitrag von Friedrich Freiherr Waitz von Eschen über die Anfänge des gewerblichen Domänenstaates in Hessen im 16. Jahrhundert. Waitz von Eschen kann nachweisen, dass die Landgrafschaft durch den gewerblichen Domänenstaat eine Reihe neuer Institutionen erhielt, die Philipp nicht nur finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellten, sondern auch zu einem erheblichen Machtzuwachs für den Landgrafen führten. Der von Waitz von Eschen in diesem Zusammenhang verwendete Begriff des "Souveränitätsgewinns" (168) ist hier aber sicherlich unangebracht.
Im Mittelpunkt des vierten Teils stehen Aspekte der Einführung und Umsetzung der Reformation in Hessen. Anschließend an eine Darstellung des vorreformatorischen Kirchenwesens Kassels von Christian Philippsen untersucht Hans Schneider die Anfänge der Reformation in Kassel. Ganz im Sinne der frühen Reformation als "urban event" stellt Schneider fest, dass zahlreiche Zeugnisse für die bereits früh zunehmende Anzahl von Anhängern Luthers in Kassel sowohl am Hof als auch im Klerus nachzuweisen sind. Zu einem offenen Durchbruch der reformatorischen Bewegung kam es aber erst mit der Hinwendung des Landgrafen zur Reformation im Jahre 1524. Im Anschluss daran wirft Christina Vanja einen Blick auf das karitative Wirken Philipps durch die Neuorganisation des hessischen Armenwesens. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass die vier von Philipp eingerichteten Landeshospitäler nicht nur zur Rechtfertigung der Klosterenteignungen dienten, sondern auch die Grundlage für ein reformatorisches karitatives Engagement bieten sollten. Ideologisch griff Philipp dabei nicht nur auf das Wirken der Heiligen Elisabeth zurück, sondern orientierte sich vor allem auch an dem zeitgemäßeren städtischen Fürsorgemodell des späten Mittelalters.
Geschichtsschreibung und Memoria unter und um Philipp bilden den fünften Themenschwerpunkt des Bandes. So stellt Thomas Fuchs einen Paradigmenwechsel im hessischen Geschichtsverständnis seit der Einführung der Reformation durch Philipp fest. An die Stelle der Heiligen Elisabeth als zentraler Figur der dynastischen Imagination trat im Zuge der Reformation die Betonung der Abstammung der hessischen Landgrafen von den Brabanter Herzögen und von Karl dem Großen. Einen weiteren Zugang zum Selbstverständnis Philipps des Großmütigen bietet der von Harald Wolter-von dem Knesebeck vorgestellte Bildzyklus im landgräflichen Schloss Ziegenhain. In den Ziegenhainer Darstellungen ließ sich der Landgraf - unter Rückgriff auf antike Mythen - gemeinsam mit Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen vor allem als erfolgreicher Feldherr und engagierter Förderer der Reformation präsentieren. Mit dem 1567 bis 1572 von Elias Godefroy und seinem Schüler Adam Liquer errichteten Grabmal für Philipp und seine erste Ehefrau Christine in der Kassler Martinskirche wendet sich dann Marion Jäckel dem Gedenken an den Landgrafen zu. Sie stellt dabei die Bedeutung des Grabmals als Prototyp für die Gräber einer neuen Generation von protestantischen Landesfürsten heraus und betont die Bedeutung der gemeinsamen Bestattung Philipps und Christines als Bekräftigung des Legitimitätsanspruches des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen-Kassel.
Den Abschluss des Bandes bildet ein Aufsatz zur Rezeptionsgeschichte Philipps von Stefan Schweizer. Er stellt das 1899 fertig gestellte Kasseler Philippsdenkmal vor und verdeutlicht anhand dieses Monuments die Verwendung des Motivs des Landgrafen als Schutzherr der Reformation als Argument und Symbol im Kulturkampf.
Die vorgestellten Beiträge sind in Arbeitsweise und Anspruch sehr verschieden. Der Tagungsband bietet allerdings insgesamt eine facettenreiche Annäherung an die Person des Landgrafen, die durch den multiperspektivischen und interdisziplinären Ansatz deutlich an Konturen gewinnt. Die zusammengetragenen Ergebnisse erweitern nicht nur das Bild von Philipp, sondern führen auch zur Revision einiger älterer Forschungspositionen. Erwähnenswert ist auch die große Anzahl von Abbildungen, die das Beschriebene sinnvoll veranschaulichen. Da eine neuere Biografie Landgraf Philipps des Großmütigen immer noch zu den Desideraten der Forschung zählt, dokumentiert die hier vorliegende Arbeit zusammen mit dem Begleitband zur Marburger Ausstellung [2] und der ebenfalls 2004 erschienen umfangreichen Bibliografie [3] den aktuellen Stand der Forschung über diese zentrale Figur der hessischen Geschichte.
Anmerkungen:
[1] Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500-1700 (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 43), Frankfurt am Main 2003.
[2] Ursula Braasch-Schwersmann / Hans Schneider / Wilhelm Ernst Winterhager (Hg.): Landgraf Philipp der Großmütige 1504-1567. Hessen im Zentrum der Reform. Begleitband zu einer Ausstellung des Landes Hessen, Neustadt an der Aisch 2004.
[3] Holger Th. Gräf / Anke Stößer (Hg.): Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen (1504-1567). Eine Bibliographie zu Person und Territorium im Reformationszeitalter (= Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte; Bd. 20), Marburg 2004.
Sandra Templin