Rezension über:

Reinhold Zwick / Thomas Lentes (Hgg.): Die Passion Christi. Der Film von Mel Gibson und seine theologischen und kunstgeschichtlichen Kontexte, Münster: Aschendorff 2004, 224 S., ISBN 978-3-402-06555-6, EUR 12,80
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Rezension von:
Mischa Meier
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Mischa Meier: Rezension von: Reinhold Zwick / Thomas Lentes (Hgg.): Die Passion Christi. Der Film von Mel Gibson und seine theologischen und kunstgeschichtlichen Kontexte, Münster: Aschendorff 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/7786.html


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Reinhold Zwick / Thomas Lentes (Hgg.): Die Passion Christi

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Als Mel Gibsons Film "The Passion of the Christ" ("Die Passion Christi") im Jahr 2004 in den Kinos anlief, löste er eine weltweit erregt geführte Kontroverse aus. Es waren dabei vor allem drei Bereiche, auf die sich die Diskussionen konzentrierten: die exzessiven Gewaltdarstellungen, die Frage nach einem dem Film inhärenten Antisemitismus beziehungsweise Antijudaismus sowie die theologischen Implikationen, insbesondere die reduktionistische Fokussierung der Filmhandlung auf Opfer und Sühne. Um diese Fragenkomplexe gruppieren sich auch die im vorliegenden Sammelband vereinigten Beiträge einer Tagung, die 2004 - wenige Wochen nach dem deutschen Kinostart des Films - in Münster stattfand und unter der Leitung der dort angesiedelten Forschergruppe 'Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum' insbesondere Theologen, Kunsthistoriker und Mediävisten zusammengeführt hat, um über den umstrittenen Film zu diskutieren.

Im einleitenden Referat vergleicht Otto Huber Mel Gibsons Film mit den modernen und historischen Oberammergauer Passionsspielen, an deren Gestaltung er selbst in den Jahren 1990 und 2000 als zweiter Spielleiter maßgeblich beteiligt war. Seiner Ansicht nach leidet der Film gegenüber den jüngsten Inszenierungen der Passion an einer erheblichen Reduktion der Komplexität theologischer Inhalte, insbesondere durch die Konzentration auf das Leiden und Opfer Jesu unter Ausblendung nahezu der gesamten Vorgeschichte, ferner durch die Präsentation Jesu als nahezu vollkommen passiv, die fehlende Einbettung des dargestellten Ereigniskomplexes in heilsgeschichtliche Zusammenhänge und den Verzicht auf die Hervorhebung der österlichen Botschaft. All diese Aspekte verwiesen eher auf das Erscheinungsbild mittelalterlicher Passionsspiele, während deren jüngste Neubearbeitungen wesentlich stärker auf Ausgewogenheit und Spiegelung der Komplexität des theologischen Rahmens achteten. Insofern hätten sich die traditionsreichen Oberammergauer Passionsspiele letztlich als flexibler erwiesen als der Film, der "manches, nicht immer das Erfreuliche, von einem mittelalterlichen Passionsspiel [hat]. Demgegenüber scheint Oberammergau, mit und trotz seines Gepäcks aus der Vergangenheit, angekommen zu sein in der Gegenwart" (41). Hubers Überlegungen sind indes nur partiell tragfähig, da sie ohne eine Reflexion der methodischen Probleme erfolgen, die sich bei einem Vergleich derart unterschiedlicher Gattungen wie Film und Passionsspiel ergeben. Mit größerem Gewinn liest man daher die Ausführungen von Thomas Lentes, der zwar auch den Film mit dem spätmittelalterlichen Passionsspiel in Beziehung setzt, dabei aber vor allem nach Traditionssträngen fragt, ohne direkte Vergleiche zu ziehen. Auch Lentes entdeckt eine Reihe von Bezugspunkten, die aber auf ganz anderen Ebenen liegen als die von Huber herausgearbeiteten Parallelen; Lentes verweist insbesondere auf die Ausschmückung des in den Evangelien berichteten Geschehens "im Sinne eines 'pro me' für das betrachtende Subjekt" (48) und die exzessive, blutrünstige Darstellung des Leides zur Steigerung des Affekts der compassio (52; indes diene die Gewalt im Film auch der Vermittlung von Authentizität). Allerdings trete - hier erscheint mir Lentes' Argumentation etwas widersprüchlich - in Mel Gibsons Film die in spätmittelalterlichen Passionsbetrachtungen immer wieder auffällige Betonung des Subjektiven zurück zu Gunsten "eines Konzepts von Objektivität des Leidensgeschehens" (54). Der Autor sieht darin eine gezielte Strategie des Filmemachers und gibt damit eine Erklärungsmöglichkeit an die Hand, den immer wieder bei "The Passion of the Christ" beobachteten Effekt zu erklären, dass es Zuschauern nicht gelang, eine emotionale Bindung zur Jesusfigur aufzubauen.

Andreas Gormans' Untersuchung des Films aus kunsthistorischer Perspektive kommt im Folgenden zu dem Ergebnis, dass es sich dabei keineswegs um eine "Umsetzung spätmittelalterlicher Passionsdarstellungen mit zeitgenössischen cineastischen Mitteln [handelt], sondern vielmehr [um] eine postmoderne Collage aus Versatzstücken eines traditionellen Bildrepertoires", mithin eine "Kompilation drastisch gesteigerter Bildzitate" (89). Der Autor bemängelt dabei einmal mehr die Ausblendung der Tatsache, dass die Passion nur einen Ausschnitt aus dem Leben Jesu darstelle (70 f.), sowie die ausufernden Gewaltszenen, die zwar im Sinne von Authentizitätssignalen verstanden werden könnten, zur Verdeutlichung der "immense[n] Größe des Opfers Christi" aber keinesfalls erforderlich gewesen wären (77) und trotz ihrer visuellen Strahlkraft die Subtilität spätmittelalterlicher Bilddarstellungen bei weitem nicht erreichten (75).

Die "obsessive [...] Gewaltdarstellung" (106) bildet auch den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen von Reinhard Hoeps, der wiederum ihre Funktion als Vermittler von Authentizität hervorhebt (100) und sie anschließend in aktuelle Tendenzen in der Kunst einordnet, in der sich ebenfalls "ein neues Interesse an Darstellungen der Verwundung und des Todes beobachten" lasse (103).

Der zentralen Inspirationsquelle für Mel Gibsons Film geht Reinhold Zwick nach. Es handelt sich dabei um die von Clemens Brentano aufgezeichneten und literarisch überformten Visionsberichte der Anna Katharina Emmerick (das "Bittere Leiden"), die 1833 erstmals erschienen - und in der Tat weist der Film auffällige Parallelen zu diesem Text auf, vor allem in den Szenen, die keinen biblischen Hintergrund besitzen, zudem teilweise in der "Mikrostruktur der Inszenierung von Handlungen" (120), in der Figurenzeichnung, den Dialogen und den Handlungsmotivationen. Die Fülle der Entsprechungen führt Zwick sogar zu der These, dass Mel Gibsons "Passion" "auf weite Strecken weniger eine Verfilmung der Evangelien als eine Verfilmung des 'Bitteren Leidens'" sei (121). Das "Bittere Leiden" sei im Übrigen bereits voller Gewalt, allerdings werde diese nicht derart "effekthascherisch ausgemalt" wie im Film (124). Hervorzuheben sind Zwicks ausgewogene Ausführungen zum Vorwurf des Antijudaismus, der gegen den Film erhoben wurde und den der Autor als berechtigt ansieht, allerdings nicht im Sinne einer gezielt antisemitischen Tendenz, sondern eines eher fahrlässigen Antijudaismus, der jedoch das gefährliche Potenzial einer antisemitischen Instrumentalisierung berge (129 ff.).

Dem Problem des Antijudaismus widmet sich auch der exzellente Beitrag von Martin Ebner, der den Kontext antijüdischer Passagen in den Evangelien rekonstruiert mit dem Ergebnis: "In unseren Texten, insbesondere im Matthäus- und Johannesevangelium, spiegelt sich ein innerjüdischer Gruppenstreit, spiegelt sich die Zeit des schmerzhaften Trennungsprozesses zwischen kleinen christlichen Gruppen und den jüdischen Muttersynagogen, unter deren 'Schutz und Schirm' sie bisher gelebt haben. Um eigene Identität zu gewinnen, setzen sich christliche Gruppen von der Muttersynagoge ab" (152 f.). Das Problem des Filmes liege freilich darin, dass er die Evangelien als historische Tatsachenschilderungen auffasse und damit "die gängigen Ansatzpunkte für einen potentiellen Antijudaismus - bewusst oder unreflektiert? oder in den besten Absichten" - weitervermittle (157).

Überlegungen zur Frage des Leidensgedächtnisses in der Liturgie bietet der Beitrag von Martin Stuflesser, der allerdings nur am Ende näher auf Mel Gibsons Film eingeht.

Der unbequemen Frage, was das Christentum eigentlich zu tun hat mit dem "Schlachtfest, das da auf der Leinwand zu sehen war" (186), nähert sich Thomas Schärtl, der in der Darstellung der systematischen Zerschindung der leiblichen Physis Jesu einen verkappten Monophysitismus erkennen zu können glaubt, insofern "das Maximum an Gewalt [...] die Über- und Außermenschlichkeit von Mel Gibsons Christusfigur" spiegele (190). Auch Schärtl geht damit wieder vom wohl eigentlichen Grundproblem des Films, der "exzessiven [...] Brutalität" (192), aus, sieht darin allerdings die Folge einer Nichtbeachtung der theologischen Debatten der letzten Jahrzehnte, die das Opfer stärker mit dem Erlösungsgedanken konfrontieren: "Erlösung ist kein Befrieden eines zürnenden Gottes, sondern Aushalten und Überwinden des menschlichen Zorns, der sich als Sünde entladen hat und entlädt. Die 'ewige' Wahrheit des Christentums hat nichts mit einem gewaltsam durchsetzbaren Bericht über metaphysische Bauprinzipien zu tun, sondern mit der ewigen Geduld des versöhnenden Gottes" (199). Insbesondere das Zueinander der zwei Naturen Christi müsse dabei richtig bedacht werden, und gerade dies sei Gibson vollkommen missglückt. Seine Jesusfigur "ist über weite Strecken in einer Opfer- und Sühnelogik gefangen gehalten" (200), das genuin christliche Erlösungsverständnis schimmere im Film lediglich in den Figuren des Simon von Cyrene sowie vor allem der Maria durch. Die Ausführungen Schärtls decken sich teilweise mit denen von Jürgen Werbick, der ebenfalls die versöhnungsbereite Liebe Gottes hervorhebt und das von Gibson so stark herausgearbeitete Opferthema in diesen Kontext verweist (213). Hingegen sei Gibsons Hauptgedanke, dass Wunden und Qualen Sündenstrafen tilgen könnten, biblisch allenfalls ein Nebenmotiv - das allerdings "christentumsgeschichtlich immer wieder ins Frömmigkeitszentrum" trete (214).

Der Sammelband vertieft in zumeist gelungener Weise die Diskussionen, die geführt wurden, als der Film in den Kinos lief. Die Beiträge kreisen, wie bereits angedeutet, sämtlich um die drei Hauptprobleme der Gewalt, des Antijudaismus und der fragwürdigen und reduktionistischen Theologie von "The Passion of the Christ". Ein runderes Bild hätte sich freilich ergeben, wenn der Film darüber hinaus auch gattungsspezifisch untersucht (Antikenfilm? Historienfilm? 'Jesusfilm'?) und wenn noch mehr nach seiner Zeitgebundenheit gefragt worden wäre. Zwar verweisen einige der Autoren mehrfach darauf, dass gerade die Gewaltdarstellungen auch als zeitbedingt gesehen werden müssten, aber damit bieten sie ja zunächst einmal nur einen Kontext und noch keine Erklärung. Insofern dürfte die Debatte um "The Passion of the Christ" noch nicht beendet sein. Mit dem vorliegenden Sammelband hat sie jedenfalls schon einmal erhebliche Fortschritte erzielt und Vertiefungen erfahren.

Mischa Meier