Daniel Ogden: Aristomenes of Messene. Legends of Sparta's Nemesis, Swansea: The Classical Press of Wales 2004, XXIV + 244 S., ISBN 978-0-9543845-4-8, GBP 45,00
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Der Reiseschriftsteller Pausanias (2. Jahrhundert n. Chr.) überliefert eine ausführliche, beinahe schon romanhafte Darstellung der Heldentaten und des Schicksals des Freiheitshelden Aristomenes, der im 2. Messenischen Krieg heroisch den Widerstand der Messenier gegen die Spartaner angeführt haben soll. Trotz der detailreichen Schilderungen des Pausanias bleibt Aristomenes jedoch eine schattenhafte Figur, ja nicht einmal seine Historizität ist zweifelsfrei geklärt. Aus diesem Grund wurde er in der wissenschaftlichen Diskussion um die Messenischen Kriege bisher auch eher ausgeklammert und fand stattdessen seinen Platz in breiter angelegten Darstellungen griechischer Heldengeschichten - wie etwa in August Wilhelm Grubes einstmals ausgesprochen populären 'Charakterbildern' (die Ogden für seine Monografie allerdings nicht herangezogen hat). [1] Ogden weist denn auch in seiner Einleitung explizit auf das mangelnde Interesse der Forschung an Aristomenes hin (XIV) und möchte mit seinem Buch diese Lücke schließen. Acht Hauptkapitel und drei Appendizes sollen diesem Vorhaben dienen.
Das erste Kapitel (1-18) gibt in einem Wechsel zwischen zusammenfassenden Paraphrasen und langen Zitaten lediglich den Inhalt der Aristomenes-Geschichte bei Pausanias wieder. Das zweite Kapitel (19-32) forscht nach einer "popular tradition" als möglicher Grundlage der Erzählungen des Pausanias und oszilliert dabei zwischen einem methodisch gut begründeten Skeptizismus (20 f.) und der abschließenden Akzeptanz entsprechender Thesen (32). Ogden verweist vor allem auf Dubletten und wiederkehrende Motive in der Aristomenes-Geschichte, die er als frei 'floatende', beliebig kombinierbare Episoden einer älteren Tradition interpretiert (28). Die Frage, warum viele dieser Elemente einen deutlich 'herodoteischen Charakter' aufweisen, warum sie von Pausanias in einer durchaus herodoteischen Darstellungsweise behandelt werden und aus welchem Grund Plutarch sogar behaupten konnte, Herodot habe das Aristomenes-Thema selbst behandelt, muss er jedoch letztlich offen lassen (28-32). Kursierte in der Antike ein gegenüber unserem überlieferten Text erweiterter Herodot? Oder existierte ein Ps.-Herodot?
Im Zentrum des folgenden Kapitels (33-57) steht zunächst die Diskussion um eine mögliche kultische Verehrung des Aristomenes (das angebliche Aristomenes-Heroon in Messene ist, wie Ogden selbst zugesteht, nicht eindeutig in diese Richtung interpretierbar [2]); zum anderen versucht der Autor die Vielschichtigkeit des Helden aufzuzeigen, indem er darlegt, dass Züge ganz unterschiedlicher Figuren bzw. Typen in ihm zusammengeflossen seien (allerdings in sehr unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichem Gewicht): Achilleus (37-39), Alexander (39 f.), Odysseus (44-46), daneben aber auch der unheroische 'Tollpatsch' (46-48), der Liebhaber (48-50) und der aesopische Anti-Held (50-54).
Die besondere Rolle des Schildes des Aristomenes steht im Mittelpunkt des vierten Kapitels (59-74). Ogden rekonstruiert aus den verschiedenen Schild-Episoden bei Pausanias ein zugrunde liegendes Muster, das den Verlust des Schildes, seine Rückgewinnung und die Schildweihe umfasst habe (60), und arbeitet plausibel heraus, dass Aristomenes' Schild offenbar eine magische, beschützende Funktion besaß - und zwar nicht nur für den Helden selbst, sondern für alle Messenier (60, 62). Gelungen ist dabei die Einbeziehung der Adler-Symbolik: Ogden zufolge ist etwa der Adler, der Aristomenes beim Sturz in den Kaiadas vor dem Tod bewahrt (Pausanias 4,18,5), eine Erscheinungsform dieses magischen Schildes, auf dem im Übrigen - wie Pausanias selbst gesehen haben will (4,16,7) - ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln angebracht gewesen sein soll. Das Schild-Motiv stellt darüber hinaus ein wesentliches Element dar, durch das Aristomenes mit der Unterwelt verbunden werden konnte, wie Ogden im folgenden Kapitel herausarbeitet (75-88). Überdies wurde der geweihte Schild zum Symbol für die Wiedergewinnung Messeniens (6. Kapitel: 89-103): Epameinondas soll ihn 371 vor der Schlacht bei Leuktra den Spartanern präsentiert und u. a. dadurch den Sieg erfochten haben (Pausanias 4,32,6). Ogden sieht in der Schildweihe des Aristomenes eine Parallele zur Rückgabe von König Arthus' Schwert Excalibur an die Herrscherin des Sees, um dort bis zur Wiedererrichtung von Camelot zu verbleiben (92).
Im folgenden Kapitel kann Ogden schlüssig zeigen, dass die von Pausanias mit dem 1. Messenischen Krieg assoziierte Figur des Aristodemos derartig enge Parallelen zur Aristomenes-Gestalt aufweist, dass man beide als "doublets of each other" auffassen müsse (108, 110). Rätselhaft bleibt freilich das angeblich behaarte Herz des Aristomenes, das Ogden zu Spekulationen über Berserkertum und werwolfartige Züge seines Helden veranlasst (120 f.).
Im abschließenden Kapitel versucht der Autor Argumente dafür zu gewinnen, dass die Aristomenes-Geschichte schon vor der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. in wesentlichen Zügen existiert haben muss, und verweist dazu auf Orte und Regionen, in denen sich bereits in früherer Zeit entsprechende Traditionen hätten ausbilden können (Messenien selbst, Boiotien, Arkadien, Argolis, Rhegion, Messene, Rhodos, Sparta). Methodisch ist dieses Vorgehen freilich nicht ganz unproblematisch, da Ogden dazu neigt, den einzelnen Regionen spezifische Elemente der bei Pausanias überlieferten Gesamtgeschichte zuzuordnen und diese dann als Produkt eines gleichsam panhellenischen Bausatzes zu deuten (151). Demgegenüber sind die von Ogden angeführten Parallelen zwischen der Aristomenes-Tradition und der Selbstdarstellung der thebanischen Helden Epameinondas und Pelopidas eindrucksvoll: Hier lässt sich anschaulich die parallele Entstehung und Ausformung aktueller Heldenbilder und vermeintlich älterer Traditionen beobachten (141 f.).
In den drei Appendizes wird zunächst das nicht erhaltene Werk des Rhianos von Bene als mögliche Quelle für Pausanias behandelt (155-175); es folgen der Versuch einer Rekonstruktion der Aristomenes-Tradition vom 7. Jahrhundert v. Chr. bis in das 6. Jahrhundert n. Chr. - die für die Frühzeit natürlich hypothetisch bleiben muss, aber immerhin einen guten Überblick über das Material bietet (177-199) - sowie einige Anmerkungen zum Nachleben der Aristomenes-Figur, die nunmehr klassisch rezeptionsgeschichtlich angelegt sind (201-215).
Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Gesamteindruck. Ogden bekennt sich dezidiert zu einer symbolischen Ausdeutung der Aristomenes-Geschichte bei Pausanias - die übrige Überlieferung spielt demgegenüber nur eine marginale Rolle (21) -, ohne sich aber vollständig der methodischen Probleme bewusst zu sein, die ein derartiger Zugriff mit sich bringt. Anstatt zu diesem Zweck eine stärkere theoretische Absicherung unter Rückgriff auf entsprechende Literatur zu suchen, verfährt der Autor vielfach allzu assoziativ bei der Wahl seiner 'Parallelen' und in der Analyse. So wird etwa die Kaiadas-Episode mit Aesop in Verbindung gebracht ("[...] that seems to draw us particularly close to the world of Aesop", 51) und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass die schillernde Aristomenes-Gestalt "may have been, in part, an Aesopic figure" (53). Letzteres weckt beim Autor dann wiederum Assoziationen an die Tyrtaios-Gestalt als minderbemittelter, lahmer Athener, wie sie Pausanias zeichnet (4,15,6), und damit fügt sich auch 'Tyrtaios' in Ogdens 'aesopisches' Schema (53 f.). Auch die Erörterung der 'sprechenden Namen' unter Aristomenes' Familienmitgliedern (54-57) führt letztlich nicht weiter, weil die Frage nach der Bedeutung und der Aussagekraft solcher Namen nicht in der nötigen Konsequenz behandelt wird. Vielfach wird die Darstellung zudem durch gelehrte Digressionen unterbrochen, die ohne Ergebnis bleiben, wie etwa die Diskussion der vermeintlichen hekatomphoniai des Aristomenes (40-44), die mit dem wenig überraschenden Ergebnis schließt: "The hekatomphonia scrifice was ultimately as fictional as Aristomenes himself" (44). Ebenso unbefriedigend bleibt das Zwischenfazit am Ende des sechsten Kapitels: "The figure of Aristomenes we have so far reconstructed is an admirable, polysemic and multi-talented-one" (103).
Nicht nur an dieser Stelle fragt sich der Leser, ob das Thema - zumindest unter dem beschriebenen Zugriff - tatsächlich eine monografische Behandlung erfordert hätte, die durch vielfache Pausanias-Zitate, Paraphrasen und Redundanzen mitunter ermüdend wirkt. Zwei oder drei pointierte Aufsätze hätten die Kernthesen des Autors möglicherweise klarer vermitteln können. Das Potenzial, das übergreifende Vergleiche der Aristomenes-Tradition mit anderen Heldengeschichten, wie dem Rolandslied, der Arthus-Sage, den Episoden um Robin Hood oder Sindbad, bieten, wird lediglich angedeutet, aber bei weitem nicht ausgeschöpft (15, 16, 92, 211-215). Sicherlich aber gebührt dem Autor das Verdienst, den Blick der Forschung wieder einmal auf die interessante und in der Tat lange vernachlässigte Aristomenes-Gestalt gelenkt zu haben.
Anmerkungen:
[1] A. W. Grube: Charakterbilder aus der Geschichte und Sage, für einen propädeutischen Geschichtsunterricht. Erster Teil: Die vorchristliche Zeit, 28. Auflage, Leipzig 1890. Grube, der streng zwischen der "griechischen Heldensage" und der "Geschichte der Griechen" unterscheidet, subsumiert Aristomenes unter die letztere Kategorie.
[2] Vgl. D. Boehringer: Heroenkulte in Griechenland von der geometrischen bis zur klassischen Zeit. Attika, Argolis, Messenien, Berlin 2001, 278, 282, 352.
Mischa Meier