Elisabeth Hassmann: Von Katterburg zu Schönbrunn. Die Geschichte Schönbrunns bis Kaiser Leopold I., Wien: Böhlau 2004, 662 S., 24 Farb-, 156 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-77215-6, EUR 69,00
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Der insgesamt 662 Seiten umfassende Band entstand als Resultat eines Projektes, das der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), Wien, in den Jahren 1997-1999 finanzierte ("Vor- und Frühgeschichte von Schönbrunn. Das Anwesen Katterburg und seine Entwicklung zum kaiserlichen Jagdschloß Schönbrunn bis zur zweiten Türkenbelagerung"), sowie des sich daran anschließenden Folge-Projektes in den Jahren 2000/2001 ("Die Katterburg. Die Geschichte Schönbrunns bis 1683"). Als Projektleiter fungierte der Wiener Ordinarius für Kunstgeschichte, Artur Rosenauer. Elisabeth Hassmann, Projektmitarbeiterin und Autorin des Bandes, ist derzeit als Kustodin für die Sammlung "Wagenburg" im Schloss Schönbrunn verantwortlich.
Durch den Fund von Überresten eines Vorgängerbaues des heutigen Schlosses Schönbrunn wurde der Mangel an Kenntnissen über die Bau- und Funktionsgeschichte von Schönbrunn (bis 1642 Katterburg) evident. Es galt nun von historischer Seite, aufgrund von archivalischen Quellen die Geschichte Schönbrunns jener Zeit zu erforschen, bevor Johann Bernhard Fischer von Erlach Ende des 17. Jahrhunderts begann, jenes Schloss zu planen, das man heute als "Schönbrunn" vor Augen hat und das allein im vergangenen Jahr 2004 von 2,2 Millionen Gästen besucht wurde.
Der Band gliedert sich in zwei sehr ungleichgewichtige Abschnitte. Der erste deckt auf rund 500 Seiten den Zeitraum von den Anfängen im 12. Jahrhundert bis 1686 ab, womit wir bereits in der Regierungszeit des im Titel genannten Leopold I. wären; der zweite - der ebenfalls mit einem "Forschungsstand" eingeleitet wird - reicht auf rund 50 Seiten vorgeblich bis zum Tode Leopolds 1705, tatsächlich jedoch behandelt er noch kurz den Beginn des Ausbaus unter Maria Theresia 1743 und knüpft damit direkt an den heutigen Bau an. Der Band schließt mit einem fast 100-seitigen Anhang, in den auch die Register (Personen, Orte, Sachen) integriert sind.
Die "Forschungsübersicht" (17-29) lohnt die Lektüre, da einerseits aus ihr die bisherige Vernachlässigung des Themas und andererseits der breite Ansatz im Hinblick auf die zu lösende Aufgabe der Autorin deutlich wird. Klar scheidet Hassmann die Forschungsliteratur im engeren Sinne von den zahlreich vorhandenen zusammenfassenden Schriften, die für den Fortschritt der Forschung im Grunde keine Relevanz haben.
Es folgt ein Kapitel über die "Besitzgeschichte" (31-110), das in drei Teile untergliedert ist: Die Zeit als Ministerialgut (bis ca. 1171/76), die Zeit unter der Herrschaft des Stiftes Klosterneuburg (bis 1569) und schließlich unter den Habsburgern. Daran schließt sich ein Kapitel über die "Benennungen" des gegenständlichen Areals (111-130) an, wobei Hassmann hinsichtlich der Etymologie des Namens Katterburg der Deutung "Kat" = Bachschutt zuneigt, nicht zuletzt wegen der Nähe des Gebäudes zum Wienfluss. Von einer Burg im eigentlichen Sinne ist in den Quellen keine Rede, sodass eher von einem "Berg" respektive Hügel auszugehen sein wird. Die Bezeichnung Kattermühle bzw. einer Mühle genannt die Katerwurgh findet sich bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert, sie bestand bis 1639/40. Im Jahre 1642 scheint es zu einer "offiziellen" Umbenennung in Schönbrunn gekommen zu sein, ein Name, der seinerseits ohne Zweifel von einem schönen Brunnen als einer attraktiv gestalteten Brunnenanlage herrührt.
Das Kapitel über "Lage und Größe" von Katterburg / Schönbrunn (131-169) stellt die Wandlungen des Geländes dar von der Aufteilung der ursprünglichen Villikation Chatternburg im 13./14. Jahrhundert über die verschiedenen Erweiterungen bis in das 18. Jahrhundert hinein. Anschließend ist von der "Verwaltung und Pflege" die Rede (171-203), von der "Bewirtschaftung" (205-241) und von der "Gartenanlage" (243-291), wobei auffällt, dass Kaiser Maximilian II. bereits im Jahr der Erwerbung der Katterburg mit der Einfriedung des neuen Thürgarten zu Khatterburg beginnen ließ. Angesichts der umfangreichen Feierlichkeiten anlässlich des 250jährigen Bestehens des Tiergartens Schönbrunn im Jahre 2002 nimmt der Leser mit großem Interesse eine Tradition zur Kenntnis, die bereits nahezu zwei Jahrhunderte vor der eigentlichen Gründung des Tiergartens bestand. Einen sehr breiten Raum nimmt naturgemäß das Kapitel "Baulichkeiten" ein (293-451); ein Kapitel über die tatsächliche und "unmittelbare Nutzung seitens der Besitzer" (453-498) schließt den ersten Abschnitt.
Der zweite Abschnitt umfasst die zweite Hälfte der Regierungszeit Leopolds I. und jene Josephs I. Hier skizziert die Autorin - nach dem Forschungsstand - knapp die "Besitzgeschichte und Verwaltung" (505-511) sowie die Nutzung durch die Kaiser und den Bau von "Schönbrunn II" durch Johann Bernhard Fischer von Erlach (513-538), bevor sie mit einem Ausblick auf die Regierungszeit Maria Theresias an die Darstellung von Elfriede Iby und Alexander Koller (Schönbrunn, Wien 2000) anknüpft.
Die sachliche Darlegung Hassmanns verbirgt geschickt die großen Schwierigkeiten, welche die Autorin bei ihren umfänglichen Studien sowie bei der Lokalisierung und Identifizierung von Örtlichkeiten aus spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bild- und Textquellen zu überwinden hatte. Es liegt in der Natur der Sache, dass an einigen Stellen aufgrund nur punktueller Nennungen in den Quellen Fragen offen bleiben müssen. Die Autorin ist freilich in jenen Teilen ihres Werkes am souveränsten, in denen genuin kunsthistorische Belange im Fokus ihrer Arbeit stehen. Wenn auch die "historischen" Kapitel erkennen lassen, dass sie sich mit Aufgabe und Funktion eines Traditionsbuches, dem System der Grundherrschaften und diversen anderen Spezifika erst vertraut machen musste, so ist ihr jedoch zugleich zu bescheinigen, dass ihr auch dieses in beeindruckender Weise gelungen ist.
Immer wieder lässt Hassmann in ihrer Darstellung Korrekturen bisheriger Meinungen einfließen, was die Lektüre nicht unbedingt vereinfacht, aber in dem Band ein "Lese"buch zu sehen wäre sowieso missverstanden. Es handelt sich vielmehr um ein reich illustriertes Handbuch, das sich nicht mit der Präsentation der bisherigen Lehrmeinung begnügt, sondern Grundlage für künftige Arbeiten sein wird. Und jeder Rezipient mag sich glücklich schätzen, wenn er etwas entdeckt, das der Aufmerksamkeit der Autorin entgangen sein mag.
Das Werk markiert einen weiteren Baustein in einer Reihe von Arbeiten der vergangenen Jahre, mit dem die Wiener Kunstgeschichte abseits von rein fachimmanenten Ansätzen durch die Einbeziehung von "historischem" Quellenmaterial eminenten Kenntnisgewinn erzielt - stellvertretend dafür seien die Namen von Ingrid Haslinger, Lieselotte Hanzl-Wachter, Eva Ottillinger oder Friedrich Polleroß als Vertreter dieser jüngeren Generation genannt. Die breite Darlegung der Belegstellen, die in der Regestensammlung der Seiten 453-470 und 514-522 einen spröden Höhepunkt findet, mag als allzu große Quellenverliebtheit missverstanden werden, hat aber angesichts des grundlegenden Charakters der Arbeit seine volle Berechtigung. In diesem Sinne könnte man auch die "Lebensdaten zu den Habsburgern" seit Ferdinand I. (605-607) oder die Definitionen über die "Maße und Geldeinheiten" (609f.) kritisieren, die ebenso wie die gesamte Darstellung den Eindruck vermitteln, als hätte die Autorin all ihr gesammeltes Wissen in diesem Werk unterbringen wollen. Auf der anderen Seite nimmt man doch dankbar diese Angaben "mit", da man nicht nur kompakt über das eigentliche Thema informiert wird, sondern auch für alle Eventualitäten handbuchartig das Beiwerk mitgeliefert erhält.
In der Summe muss man von einem überzeugenden Standardwerk zur ältesten Geschichte Schönbrunns sprechen.