Carl A. Hoffmann / Markus Johanns / Annette Kranz u.a. (Hgg.): Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Begleitband zur Ausstellung im Maximilianmuseum Augsburg, Regensburg: Schnell & Steiner 2005, 688 S., ISBN 978-3-7954-1749-9
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Zum 450-jährigen Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens hat sich eine große überregionale Ausstellung im Augsburger Maximilianmuseum zum Ziel gesetzt, die "Bedeutung des Geschichtsortes Augsburger Religionsfrieden und seiner Wirkungen auf die folgenden hundert Jahre ausgewogen zu beleuchten". [1] Um dabei einer zu "etatistischen Sichtweise der Konfessionalisierung" entgegenzuwirken, heben die Ausstellungsmacher ihre im Trend der jüngeren Forschung stehenden Bemühungen um eine Darstellung der Entwicklungen und Ereignisse aus der "bottom-up-Perspektive" hervor. [2] Diese soll neben den Reaktionen und Verhaltensweisen der Untertanen auf die zunehmende Konfessionalisierung und Territorialisierung (Widerstand, Aufstand, Auswanderung, Volksfrömmigkeit, Heiligenverehrung usw.) auch die Grenzen landesherrlicher Gewalt bei der Durchsetzung konfessioneller und politischer Normen berücksichtigen.
Dieses Versprechen wird allerdings nur sehr begrenzt eingelöst. Denn obwohl Rolf Kießling in seinem Beitrag über die Bikonfessionalität in Oberdeutschland (119-130) auf die sich im Rahmen der Konfessionalisierung herausbildenden, differenzierten Problemfelder in Reichsstädten und in den so genannten Territoria non clausa eingeht und auch im Katalogteil einige Exponate das 'Alltagsleben' dokumentieren - z. B. anhand von Verhörprotokollen (Kat. Nr. VI.7, 464 f.), obrigkeitlichen Mandaten (Kat. Nr. VI.8, 465 f.), Votivbildern (Kat. Nr. VI.26, 483-488) und exemplarischen Biografien von Zeitgenossen wie Philipp Apian (Kat. Nr. VI.24, 481 f.) -, bleibt die Perspektive von "unten nach oben" äußerst unscharf und liefert keineswegs ein mit der Perspektive von "oben nach unten" vergleichbares, umfassendes Gesamtbild des Alltagslebens im Konfessionellen Zeitalter.
Der Ausstellungskatalog besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil umfasst 26 Aufsätze, die von anerkannten Fachleuten aus den Bereichen Geschichte, Rechtsgeschichte, Theologie und Kunstgeschichte verfasst wurden. Ziel ist es, einen "Überblick über den gegenwärtigen Kenntnisstand der einzelnen Disziplinen in dieser Epoche" (Klappentext) zu geben. Die einzelnen Beiträge fokussieren dabei äußerst unterschiedliche Aspekte der Zeit zwischen 1555 und 1648, wobei nicht das eigentliche Zustandekommen des Augsburger Religionsfriedens im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr das Konfessionelle Zeitalter, das durch zahlreiche, durch den Augsburger Religionsfrieden hervorgerufene Konflikte sowie die enge Verknüpfung von Konfessionalisierung und Territorialisierung gekennzeichnet ist. Einzelne Aufsätze, so etwa der von Stefan W. Römmelt (258-270) über die Jubiläen des Augsburger Religionsfriedens von 1655 bis 1955 und von Claire Gantet (271-281) über das Augsburger Friedensfest, der bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts reicht, weisen über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus.
Der große Umfang des Aufsatzteils macht es unmöglich, auf alle Beiträge einzeln einzugehen, sodass ich mich im Folgenden vor allem auf die Ausführungen zur Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens, zu den von diesem ausgehenden Konfliktfeldern sowie den Begrifflichkeiten "Religionsfrieden" und "Parität" beschränken möchte.
Zunächst gibt Heinz Schilling einen allgemeinen Epochenüberblick über das "lange 16. Jahrhundert" (19) unter demografischen, wirtschaftlichen, kulturellen, staatlich-politischen sowie kirchlich-religiösen Aspekten. Dieser soll die Grundlage für eine historische Neubewertung des Augsburger Religionsfriedens bilden. Eine Neubewertung in dem Sinne, dass das Jahr 1555 nicht mehr als Zäsur oder Bruch, sondern vielmehr als die "deutsche Variante in einer Reihe von ähnlichen Lösungsversuchen anderenorts und eher als Zwischenstation auf einem längeren Weg" (19) gesehen werden soll.
Im Mittelpunkt der nachfolgenden Aufsätze stehen die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens, und zwar vor allem diejenigen, die ein besonderes Konfliktpotenzial in sich bargen und somit Raum für unterschiedliche Auslegungen und juristische Interpretationen zuließen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang u. a. das Ius reformandi, das Ius emigrandi, das Problem der landsässigen geistlichen Güter, die Einschränkung des Reformationsrechts der geistlichen Reichsfürsten durch den Geistlichen Vorbehalt sowie die geheime Nebenvereinbarung König Ferdinands I. mit den evangelischen Reichsständen, die so genannte Declaratio Ferdinandea (Dietmar Willoweit, 41-45).
Konflikte, die diesen Regelungen zugrunde lagen, entstanden sowohl auf Reichsebene (Axel Gotthard, 71-83) als auch auf territorialer Ebene (Carl A. Hoffmann, 89-103). Auf Letzterer waren dabei zwei "Fundamentalprozesse" eng miteinander verknüpft: die frühmoderne Staatsbildung und die Konfessionalisierung (Heinz Schilling, 25). Besonders schwierig gestaltete sich die Situation in den geistlichen Territorien, wobei sich die Entwicklung in Mittel- und Norddeutschland einerseits und im Süden und Westen des Reiches andererseits erheblich unterscheiden konnte (Franz Brendle / Anton Schindling, 104-118).
Bei all den daraus entstehenden konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen alter Kirche und Augsburger Konfession darf nicht übersehen werden, welche Leistung der Augsburger Religionsfrieden darstellte. Da beide Konfessionen für sich die absolute theologische Wahrheit beanspruchten und die Wiederherstellung der Religionseinheit somit nicht möglich war (Willoweit, 41; Immenkötter, 62), einigten sich König Ferdinand I. und die Reichsstände auf dem Augsburger Reichstag aus pragmatischen Gründen auf einen politischen Frieden (Gotthard, 84-88, insb. 86 f.). Gleichzeitig wurden unlösbare Gegensätze durch doppeldeutige Formulierungen neutralisiert (Dissimulieren), sodass man beiden Konfessionsparteien gerecht werden konnte. Erstmals wurde so das Nebeneinander zweier Konfessionen (Katholiken und Lutheraner) auf Dauer reichsrechtlich festgelegt. Dies wurde - trotz Fortbestehen des Absolutheitsanspruchs - erreicht, indem die theologische Wahrheitsfrage auf Reichsebene neutralisiert und auf die Ebene der Territorien verschoben wurde. Die konfessionelle Entscheidung - die Wahrheitsfrage - lag nun bei den Reichsfürsten ('cuius regio eius religio') (Dietmar Willoweit, 41).
Während die Landesherren auf territorialer Ebene bemüht waren, Einheit in Bekenntnis und Lehre zu verwirklichen (Hans Maier spricht in diesem Zusammenhang von "konfessionelle[r] 'Purität'; 291), herrschte auf Reichsebene der reichsrechtlich festgelegte Zustand der Bikonfessionalität - von Hans Maier als "'Parität' der Konfessionen" (291) bezeichnet. Die Verwendung dieses Begriffs ist jedoch äußerst problematisch, da er - wie Rolf Kießling (124) richtig konstatiert - nicht nur religiöse Gleichheit, sondern auch politische und numerische Gleichheit impliziert, die auf Reichsebene so nicht gegeben war.
Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Vertragswerk von 1555 um einen weltlich-politischen Frieden handelte, muss man Herbert Immenkötter zustimmen, der den Begriff 'Religionsfrieden' sehr kritisch sieht: "Das Vertragswerk ist trotzdem als Augsburger Religionsfrieden in die Geschichtsbücher eingegangen, obwohl es genau das gar nicht sein wollte. Einen Frieden der Religionen hat es nicht geschaffen" (Herbert Immenkötter, 62). Für Heinz Schilling greift die Bezeichnung 'Religionsfrieden' dagegen lediglich zu kurz, da neben der Religions- auch die Verfassungsfrage geregelt wurde; "d. h. es wurde reichs- und verfassungsrechtlich anerkannt, dass das Reich fortan als bikonfessioneller und multiterritorialer Verband organisiert war" (25 f.).
Uneinigkeit herrschte aber nicht nur zwischen den Religionsparteien, sondern auch innerhalb der Konfessionen. Dieses Aspekts der Konfessionalisierung nimmt sich Irene Dingel in ihrem Aufsatz über "Evangelische Lehr- und Bekenntnisbildung im Spiegel der innerprotestantischen Auseinandersetzungen" an (51-61). Ausgehend von der reichen Vielfalt unterschiedlicher Richtungen, die unter der Confessio Augustana, dem "Grundsatzbekenntnis des Protestantismus im Reich" (53), zusammenfanden, zeichnet sie den protestantischen Weg bis zur Einigung in der Konkordienformel nach. Die katholische Konfessionalisierung seit dem Augsburger Religionsfrieden, insbesondere das Konzil von Trient (1545-1563) und die Kirchenreform, behandelt Herbert Immenkötter (62-69).
Weitere Aufsätze befassen sich mit dem Themenkomplex Kunst, Kultur und Medien (Bernd Roeck, Ulrich Fürst, Christoph Emmendörffer, Jan Harasimowicz, Dieter Breuer, Silvia Serena Tschopp, Franz Körndle / Erich Tremmel), mit religiös-theologischen und säkular-politischen Interpretationen des Verhältnisses von Kirche und Politik (Wolfgang E. J. Weber), den konfessionellen Auswirkungen auf die Armenfürsorge (Helga Schnabel-Schüle) und das Bildungswesen (Heribert Smolinsky). Sechs der 26 Aufsätze sind zudem regionalgeschichtlich ausgerichtet. Im Mittelpunkt steht die 'Friedensstadt' Augsburg unter kunsthistorischen (Christoph Emmendörffer, 197-209; Björn R. Kommer, 222-236), mediengeschichtlichen (Silvia Serena Tschopp, 243-252) sowie kulturgeschichtlichen (Stefan W. Römmelt, 258-270; Claire Gantet, 271-281) Gesichtspunkten. Abgerundet wird das Bild des Konfessionellen Zeitalters durch einen Blick auf den Islam in Mitteleuropa - "Türkengefahr und Koexistenz" (István György Tóth) - und die Juden im Alten Reich (Eike Wolgast).
Der Katalogteil (295-650) gibt die neun Abteilungen der Ausstellung im Augsburger Maximilianmuseum wieder. Jede Abteilung wird durch einen kurzen Text eingeleitet, auf den die Exponate, teils mit Abbildungen, immer aber mit ausführlichen Beschreibungen folgen. Neben Reichs-, Territorial- und Regionalgeschichte sowie europäischer Geschichte (Niederlande, Frankreich) im Kontext von Konfessionalisierungs- und Dogmatisierungsprozessen stehen auch die Juden als einzige nichtchristliche Religion im Alten Reich im Mittelpunkt der Betrachtung. Abgeschlossen wird der Katalogteil durch einen Themenkreis zur Tradition des Augsburger Hohen Friedensfestes und zu den Jubiläen des Augsburger Religionsfriedens von 1655 bis 1955 (IX) sowie durch eine kurze Geschichte des Maximilianmuseums als Ort der Friedensausstellung (X).
Insgesamt überzeugt der Begleitband zur Ausstellung "Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden" durch seinen großen Facettenreichtum. Dieser ermöglicht einen umfassenden und vielschichtigen Einblick in das Konfessionelle Zeitalter, wozu nicht zuletzt auch die zahlreichen hochwertigen Abbildungen im Aufsatz- und Katalogteil beitragen. Zu bedauern ist jedoch das Fehlen einer umfassenden Würdigung der Auswirkungen des Augsburger Religionsfriedens auf das Reichskammergericht, seine Zusammensetzung und seine Rechtsprechung. [3]
Ein Anhang, bestehend aus einem Abkürzungsverzeichnis (652), einer Auflistung der sowohl im Aufsatz- als auch im Katalogteil verwendeten, abgekürzt zitierten Literatur (653-687) sowie einem Bildnachweis (687 f.), beschließt den Ausstellungskatalog. Zudem liegt eine CD-ROM mit Pressematerial zur Ausstellung bei.
Anmerkungen:
[1] Carl A. Hoffmann: "Als Frieden möglich war - 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden". Konzeption und Inhalte der Ausstellung in Augsburg, in: GWU 4 (2005), 241-249, hier 242.
[2] Ebenda, 244.
[3] Vgl. dazu Sigrid Jahns: Die Reichsjustiz als Spiegel der Reichs- und Religionsverfassung, in: 1648 - Krieg und Frieden in Europa. Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft (= Ausstellungskatalog Münster / Osnabrück, 24.10.1998 - 17.01.1999), 455-463, hier 456.
Christina Seidl