Rezension über:

Annette Kranz: Christoph Amberger - Bildnismaler zu Augsburg. Städtische Eliten im Spiegel ihrer Porträts, Regensburg: Schnell & Steiner 2004, 536 S., 26 Farb-, 104 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-1628-7, EUR 84,00
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Rezension von:
Philipp Zitzlsperger
Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Philipp Zitzlsperger: Rezension von: Annette Kranz: Christoph Amberger - Bildnismaler zu Augsburg. Städtische Eliten im Spiegel ihrer Porträts, Regensburg: Schnell & Steiner 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/5974.html


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Annette Kranz: Christoph Amberger - Bildnismaler zu Augsburg

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Sehr zögernd nur hat sich die Porträtforschung in den letzten Jahrzehnten von Jacob Burckhardts idealistischer Porträtauffassung gelöst, dass sich das Wesen der Person der Renaissance nur in der Physiognomie des Dargestellten fassen lasse und sich das Individuum nur in der Unterscheidbarkeit der Gesichtszüge zeige. [1] "Bildnis und Individuum" war lange Zeit das Schlagwort, das die Porträtforschung prägte. Dabei dominierte das Axiom, das Bildnis als Spiegelbild der dargestellten Person zu verstehen. Und die Interpreten des Spiegelbildes gaben sich nicht selten zufrieden mit der Identifikation des Dargestellten und der Gewissheit, dass sein Aussehen dem Bildnis annähernd geglichen haben muss. Weitere Deutungen gingen zumeist von biografischen Quellen des Abgebildeten aus, durch die das Bildnis zu sprechen schien. Selbst blieb es lange Zeit stumm. Gottfried Boehm verstand das Porträt der Renaissance noch 1985 in seinem Buch "Bildnis und Individuum" als nahezu unzugängliches "Geheimnis". [2]

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Kunstgeschichte als genuin interdisziplinäres Fach hat sich mittlerweile des Porträts als sozialhistorischem Phänomen angenommen, das zu deuten ohne die Nachbarwissenschaften der Geschichte, Soziologie und zahlreicher historischer Hilfswissenschaften nicht mehr auskommt, um die "Geheimnisse" zu lüften. Nicht immer werden dabei alle methodischen Instrumentarien ausgeschöpft. Dies kann man allerdings von Annette Kranz' Monografie über den Augsburger Porträtmaler Christoph Amberger nicht behaupten. Die 2004 publizierte Dissertation dürfte als eine der methodisch vielseitigsten Arbeiten zum Porträtœuvre eines Malers in die Wissenschaftsgeschichte eingehen.

Die drei Kernkapitel des Buches stellen zuerst die Amberger-Porträts unter stilkritischen Gesichtspunkten vor (53-115), integrieren dann das sozio-historische Profil der Amberger-Klientel in die Interpretation der Bildnisse (116-168), um schließlich in einem umfangreichen und detailliert recherchierten Katalog die einzelnen Abbilder, ihre Kopien, aber auch fragliche Werke und Neuzuschreibungen kenntnisreich zu diskutieren (231-424). Darüber hinaus enthält das Buch eine Amberger-Biografie, einen Quellen- und Dokumenten-Anhang, eine Bibliografie (484-523) nebst einem ausführlichen Register.

Mit profunder Kennerschaft eröffnet Kranz die Bildnis-Diskussion, indem sie den bisherigen Forschungsstand zur Stil- und Formprovenienz der Amberger-Porträts gegen den Strich bürstet. "Sowenig Ambergers künstlerische Ursprünge in der Forschung thematisiert wurden, sowenig sind ernsthafte Bestrebungen erkennbar, den Maler in die zeitgenössischen Augsburger Gegebenheiten einzuordnen." (62). Während also die Forschung bisher stereotyp auf Ambergers italianisierenden Stil verwies, vermögen die einfühlsamen Beschreibungen und Stilanalysen von Kranz überzeugend darzustellen, dass sich Amberger in seinen ersten Augsburger Jahren seit 1530 nicht von italienischen, sondern vielmehr von süddeutschen Vorbildern leiten ließ. Darüber hinaus entwickelte er in den 1540er-Jahren eine sehr individuelle Handschrift, die zwar zunehmend an Italien orientiert war, wie es nun der Auftraggebergeschmack zu fordern schien, der aber vor allem in den Porträts von 1551/52 "unbeeindruckt" von Tizian und Lambert Sustris blieb (110-113).

Die selbstbewusste Resistenz Ambergers gegenüber den dominierenden Einflüssen seiner zeitgenössischen Kollegen deutet bereits an, dass er in Augsburg als Porträtmaler einen konkurrenzlosen Sonderstatus beanspruchen konnte. Damit leitet Kranz zum zweiten Schwerpunkt ihrer Arbeit über: dem sozialhistorischen. Dabei geht es der Autorin nicht um das Referieren biografischer Details, die - wie bereits angedeutet - häufig in der Porträtliteratur neben dem Bildnis aufgeführt, jedoch selten für die Bildanalyse gewinnbringend ausgewertet werden. Vielmehr besticht Kranz' methodische Vielfalt durch die reflektierte Anwendung der Prosopografie, der Kostümkunde und vor allem der quantitativen Auswertung der gewonnen Daten in Relation zu den Bildnissen und ihrer Typologie.

Insbesondere die Statistik bereichert die Porträtanalyse, denn die ikonologische Analysebasis der Bildnisse wird dadurch beträchtlich erweitert. Erst die Gesamtschau verortet jedes einzelne Porträt sowohl in seiner Funktion als auch in seiner inhaltlichen Bedeutung. Kranz geht dabei zu recht davon aus, dass die 49 erhaltenen Bildnisse zwar nur einen Bruchteil des Amberger-Œuvres, jedoch wegen der zufälligen Überlieferungssituation einen repräsentativen Querschnitt wiedergeben (123). Die folgenden Ausführungen zum gesellschaftlichen Verteilungsgrad der Auftraggeberschaft, die Kranz geschickt in Bezug setzt zur Datierung der Porträts, entwerfen ein aufschlussreiches Bild nicht nur der Auftraggeberintention, sondern auch der dynamischen Vorgänge in den süddeutschen Reichsstädten. Unter der wachsenden sozialen Mobilität der Zeit gerieten die traditionellen städtischen Eliten unter existenziellen Druck. Insbesondere in Gewerbestädten wie Augsburg und Nürnberg forderten die durch Handel erstarkten Handwerker und Kaufleute eine wachsende Beteiligung an der städtischen Selbstverwaltung. So erklärt sich, warum allein 26 der Amberger-Porträts Vertreter der Kaufmannszunft und weitere zehn 'neue' Patrizier darstellen, die mit der so genannten Augsburger "Geschlechtervermehrung" 1538 ins Patriziat aufgenommen wurden. Überraschend ist dabei, dass kein einziger Vertreter des 'alten' Patriziats durch ein Amberger-Porträt überliefert ist (124). Es bleibt unentschieden, ob die Fehlstelle als ein Indikator für die Heftigkeit der sozialen Umbrüche oder doch als Verlust gewertet werden muss.

Aus der Methodenvielfalt der Arbeit ist schließlich auch hervorzuheben, dass sie im Zuge der statistischen Auswertungen der Porträts zudem die Kostümkunde mit einbezieht. Das ist nicht selbstverständlich, denn das Bewusstsein von der Kleidung als Mittel der gesellschaftlichen Distinktion hat sich in der Porträtforschung erst vor kurzem durchgesetzt. Kranz konnte sich daher auf einen rezenten Aufsatz von Neithard Bulst, Thomas Lüttenberg und Andreas Priever stützen [3], der sich dezidiert mit der Schaubenmode der Amberger-Bildnisse in der Zeit nach der Reichspolizeiordnung von 1530 beschäftigt. Auch Kranz stellt das dargestellte Kostüm in Relation zur Prosopografie der Porträtierten, um sich dem Verhältnis von Wunsch und Wirklichkeit im Bildnis anzunähern. Dabei hat sie zum Teil ebenso Korrekturen des bisherigen Forschungsstandes anzubieten, wie sie die kostümkundlichen Betrachtungen auf alle 49 Porträts ausweitet, und damit zum Beispiel auch das Frauenporträt integriert (140-148). Allein, die wichtigste kostümkundliche Quelle, das berühmte "Trachtenbuch" des Augsburger Buchhalters Matthäus Schwarz (1497-1574), wird dabei von Kranz zu wenig mit einbezogen.

Es ist außerdem zu bedauern, dass die hochinteressanten Erkenntnisse aus der gesamtheitlichen Betrachtung der Amberger-Porträts kaum oder gar nicht in den Katalogteil mit einfließen. Dieser ist eher traditionell geraten. Die Recherchen sind sehr solide und die kennerschaftlichen Urteile grundsätzlich überzeugend. Aber es bleibt unverständlich, warum zum Beispiel ein Drittel der Ausführungen zum Bildnis Kaiser Karls V. einer allgemeinen Biografie gewidmet ist, die man auch in einschlägigen Lexika nachlesen kann. Bereichernder wäre gewesen, sich ausführlicher über den Darstellungsmodus im Verhältnis zu andern Karlsporträts Gedanken zu machen und die viel versprechenden Ansätze der vorausgehenden Kapitel neben den Datierungs- und Zuschreibungsfragen zur Geltung kommen zu lassen. Zum Bildnis von Wilhelm Merz - um ein zweites Beispiel anzuführen - verliert Kranz im Katalogteil leider kein Wort über seinen dargestellten Rückenmarder, obwohl sie zuvor (140) zurecht in einer Fußnote darauf hingewiesen hat, dass das Deutungsschema von Bulst/ Lüttenberg/ Priever hier nicht greift und weiter differenziert werden müsste.

Dennoch: Das Buch ist ein großer Gewinn ebenso für die Porträtforschung im Allgemeinen, wie für die Ambergerforschung im Besonderen. Die großformatigen, meist farbigen Abbildungen sind ebenso hervorragend, wie der unprätentiöse Text, der in klaren Formulierungen einen zielsicheren Argumentationsfluss enthält.


Anmerkungen:

[1] Jacob Burckhardt: Das Porträt. In: Jacob Burckhardt-Gesamtausgabe, Bd. 12: Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien. Stuttgart 1930, 143-291.

[2] Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. München 1985, 14.

[3] Neithard Bulst/ Thomas Lüttenberg/ Andreas Priever/: Abbild oder Wunschbild? Bildnisse Christoph Ambergers im Spannungsfeld von Rechtsnorm und gesellschaftlichem Anspruch. In: Saeculum, 53, 2002, 21-73.

Philipp Zitzlsperger