Ralf Stremmel / Jürgen Weise (Hgg.): Bergisch-Märkische Unternehmer der Frühindustrialisierung (= Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien; Bd. 18), Münster: Aschendorff 2004, VI + 682 S., ISBN 978-3-402-06754-3, EUR 49,80
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Dieses Werk setzt die Präsentation von Unternehmergruppen fort - wie in derselben Reihe bereits für die Textilindustriellen des Westmünsterlandes geschehen (Band 16, 1996, hg. von Hans-Jürgen Teuteberg), nachdem die ersten Bände der "Wirtschaftsbiographien" Einzelstudien ohne inhaltliche Verklammerung enthielten. 20 Autoren stellen 23 Unternehmerbiografien vor, auf die hier nicht im Detail, sondern von einer übergreifenden, systematischen Warte eingegangen wird. Die exemplarischen Studien verteilen sich auf das 18. und 19. Jahrhundert (Geburtsjahrgänge der Unternehmer zwischen 1748 und 1820, Sterbedaten zwischen 1818 und 1896). Zutreffend identifiziert Stremmel als Mitherausgeber innerhalb dieses längeren Zeitraums drei Generationen: Die erste, vor 1774 geboren, wuchs im Ancien Régime heran; die zweite wurde in der Phase politischer Wirren und kriegerischer Auseinandersetzungen sozialisiert (Geburtsjahrgänge zwischen 1774 und 1797); die Adoleszenz der nach 1798 geborenen dritten Gruppe lag in der politisch und wirtschaftlich stabileren Restaurationszeit. Alle Biografien lassen sich somit dem frühen industriellen Zeitalter zurechnen, das zwischen 1750 und 1850 anzusiedeln ist. Lokale Schwerpunkte liegen auf den Städten des Herzogtums Berg, namentlich Solingen (fünf Biografien) sowie Elberfeld und Barmen (vier), und auf der Grafschaft Mark mit jeweils drei Studien zu Hagen, Lüdenscheid und Iserlohn.
Die inhaltliche Verklammerung der Beiträge gewährleistete ein Fragekatalog an die Autoren, der allerdings die Differenzierung nach Unternehmergenerationen nicht enthielt. Im Bereich Wirken und Bedeutung berücksichtigte er nicht nur die soziale und geografische Herkunft und berufliche Erfahrungen, sondern auch die Tätigkeit in Politik und Gesellschaft, z. B. in politischen und kommerziellen Verbänden sowie in lokalen Honoratiorenämtern, d. h. den "Lebensstil" der Wirtschaftsbürger. Ein weiterer größerer Komplex behandelte die "Tätigkeit im Unternehmen". Auch hier standen mehr Persönlichkeitsmerkmale als Fragen nach der unternehmerischen Funktion im Vordergrund. Auf dem Feld der Unternehmenspolitik wurden die Betriebsführung, z. B. sozialpolitische Aktivitäten und das Verhältnis zur Arbeiterschaft, die Unternehmensfinanzierung, die Kundenorientierung, die Innovationsneigung oder die "Arbeitsgewohnheiten des Unternehmers" erfragt. Es zeigt sich, dass bereits die Anlage dieses Fragekatalogs eine Tendenz zum Narrativen birgt und zum Nacherzählen von Teilen der Unternehmensgeschichte verleitet. Im Allgemeinen folgten die Autoren dem umfangreichen Vorgabenkatalog, gewichteten seine einzelnen Teile aber je nach Neigung sehr unterschiedlich. Schlaglichtartig sollen hier daher einige Bereiche herausgehoben werden, ohne präzise auf die einzelnen Studien eingehen zu können.
Die Mehrzahl der Beiträge knüpft zumindest implizit an die seit den 1980er-Jahren etablierte historische Bürgertumsforschung an, die Stremmel in seinem einleitenden, synthetisierenden Beitrag hervorhebt, sei es im Sinne von Lothar Gall und seinen Frankfurter Projektmitarbeitern, sei es im Sinne der Bielefelder Schule von Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka. Die Einzelbeiträge positionieren sich allesamt methodisch unzureichend, sodass Aussagen über den Forschungszugriff vage bleiben müssen. Ferner verzichten sie auf jegliche quantitativ-statistisch abgestützten Aussagen zur Unternehmensentwicklung. Fast immer erschließen sie aber neue oder bislang wenig genutzte Quellenbestände, sodass sie das Wissen um die erforschten Persönlichkeiten qualitativ erweitern. In aller Regel resultiert daraus eine Darstellung, welche die Unternehmer als Wirtschaftsbürger in ihrem gesellschaftlichen Umfeld präsentiert.
Der wirtschaftshistorisch relevante Schumpeter'sche Unternehmerbegriff bleibt dagegen durchweg ausgeklammert. Der Unternehmer, der, den wirtschaftlichen Nutzen vor Augen, nach Maximierung seines Gewinns strebt, wird hier nirgendwo systematisch, sondern allenfalls am Rande thematisiert. Entsprechend entfällt weitgehend die ökonomische Analyse von Wachstumsorientierung, Finanzierungsstrategien, Technikwahl zur Innovationsförderung, Rekrutierung von Arbeitskräften oder Lohnpolitik. Angaben zu Investitionen werden eher als summarische Aufzählung denn in ihrer strategischen Ausrichtung auf die Unternehmensentwicklung abgehandelt. Absatz- und Handlungsstrategien finden vor allem Beachtung bei Kaufleuten, die sich aufgrund ihrer Warenpalette zwangsläufig auf überregionale Märkte orientierten. Insgesamt treten die unternehmerischen Interessenlagen gegenüber der Darstellung des wirtschaftsbürgerlichen Daseins deutlich in den Hintergrund.
Größere Aufmerksamkeit schenken die Autoren der sozialen Einbettung der bergisch-märkischen Unternehmer. Alle Beiträge setzen mit einer intensiven Schilderung der Herkunft ein, die überwiegend im kaufmännisch-gewerblichen Bereich und fast nie im Agrarsektor lag. Meist waren die Familien seit mindestens zwei Generationen unternehmerisch tätig und gehörten bereits der Honoratiorenschicht ihres jeweiligen Wohnortes an. Auf wenig Interesse stößt hingegen der aus dem Verlagswesen stammende Typus des Pionierunternehmers, der im Industriesektor für die Gründung früher Fabrikbetriebe sorgte. Als einzelnes Beispiel für den Aufstieg eines Kaufmanns aus bescheidenen Verhältnissen zum Fabrikanten behandelt Winfried Reininghaus den Iserlohner Johann Heinrich Schmidt (185 ff.). Ausführlich widmen sich alle Beiträge der Ausbildungssituation und dem beruflichen Werdegang. Von größerem Forschungsinteresse sind die Heiratsstrategien der ausgewählten Unternehmer, die fast immer auf Einheirat in gehobene Kreise zielten. Systematisch durchleuchtet Stefan Gorißen in seinem Beitrag zu Johann Casper Harkort (92 f.) die Entwicklung eines Heiratsnetzes, indem er auf den Bourdieu'schen Begriff des "sozialen Kapitals" Bezug nimmt.
Bezüglich der sozialen Handlungsfelder sticht beim bergisch-märkischen Unternehmertum die "Konzentration auf die Stammregion" (36) heraus. Mit diesem Begriff belegt Stremmel die beiden untersuchten Territorien. Die Neuansiedlung von Unternehmen und Unternehmensteilen fand häufig in der näheren Umgebung des Wohnortes und innerhalb der angestammten Branche statt. Auch die Heiratsbande wurden meist innerhalb dieses überschaubaren Rahmens geknüpft. Schließlich richtete sich das politische Engagement, sei es als Streben nach lokalen Amtswürden oder als Wirken in ortsansässigen Wirtschaftsverbänden, stets auf das seit Längerem vertraute Umfeld. Die Interaktion zwischen beiden behandelten Gebieten war indessen nicht intensiver als etwa diejenige mit dem Rheinland oder anderen angrenzenden Regionen.
Die Beiträge des Sammelbandes bereichern die Forschung um eine Fülle von Informationen über das frühindustrielle Unternehmertum, ohne im Einzelnen auf notwendige Differenzierungen innerhalb des langen Betrachtungszeitraums einzugehen. Eine Reihe vorliegender Ergebnisse zur Bürgertumsforschung wird aufs Neue exemplifiziert, demgegenüber treten weiterführende ökonomische und kulturalistische Ansätze meist in den Hintergrund. Die untersuchten Unternehmerpersönlichkeiten gehörten durchweg den arrivierten Schichten und fast nie dem Kreis der im frühen Industriezeitalter aufstrebenden Kleinhändler oder -handwerker an. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts konzediert Stremmel den Aufstieg einer neuen, angeblich "traditionslose[n]" (38) Schicht von Unternehmern. Anzunehmen ist allerdings, dass solche Karrieren, beispielsweise im Wuppertaler Textilgewerbe, in einem parallel gelagerten sozialen Prozess bereits innerhalb des Untersuchungszeitraums begannen.
Marcel Boldorf