Rezension über:

Johann Kräftner (Hg.): Liechtenstein Museum Wien: Die Sammlungen, München: Prestel 2004, 435 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7913-3142-3, EUR 49,95
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Rezension von:
Peter Prange
München
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Peter Prange: Rezension von: Johann Kräftner (Hg.): Liechtenstein Museum Wien: Die Sammlungen, München: Prestel 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11 [15.11.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/11/6374.html


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Johann Kräftner (Hg.): Liechtenstein Museum Wien: Die Sammlungen

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Vaduz und das Fürstentum Liechtenstein haben zwar viele Briefkästen, doch kaum Besucher. Dass Vaduz nicht unbedingt auf dem Reiseplan der Kunstinteressierten steht, hat auch der regierende Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein erkannt, und ließ deshalb seine Kunstsammlung an ihren angestammten Ort nach Wien zurückkehren. Seit Ende März vorigen Jahres kann der Besucher nun im Gartenpalais Liechtenstein wieder die wohl umfangreichste und vielleicht sogar bedeutendste Privatsammlung europäischer Kunst bewundern.

In dem Palais in der Rossau hatten die Fürsten von Liechtenstein 1807 eines der ersten öffentlich zugänglichen Kunstmuseen eingerichtet, um ihre in knapp zwei Jahrhunderten zusammengetragene Kunstsammlung zu präsentieren. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde das Museum 1938 geschlossen und die Sammlungen konnten 1945, als die Familie in den letzten Kriegswochen ihren Sitz nach Vaduz verlegte, unter teilweise widrigen Umständen nur heimlich über die Grenze nach Liechtenstein gebracht werden. Auf Grund finanzieller Engpässe tauchten nach dem Krieg viele dieser Werke auf dem Kunstmarkt auf - 1954 hatte man sogar über den Verkauf der gesamten Sammlung nach Kanada nachgedacht -, doch seit die Sammlung Anfang der Siebzigerjahre in die "Fürst von Liechtenstein-Stiftung" überführt wurde, sind derlei Befürchtungen unbegründet. Unter Fürst Hans Adam II. erfreute sich die Sammlung in letzter Zeit bedeutender Zuwächse, die durch die Gewinne der hauseigenen Bank finanziert wurden.

Als Ende 2000 der letzte Mieter im Gartenpalais Liechtenstein, das "Museum Moderner Kunst", in das Museumsquartier umzog, bot sich die Gelegenheit, nach einer eingehenden Sanierung und der Adaptierung museumstechnischer Standards, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Vaduz ausgestellten fürstlichen Sammlungen wieder in ihrem alten Stammquartier in der Wiener Rossau zu präsentieren.

Das Palais selbst zählt zu den am besten erhaltenen "Gesamtkunstwerken" des österreichischen Hochbarocks, an dessen Bau und Ausstattung um 1700 Größen wie Johann Bernhard Fischer von Erlach, Domenico Egidio Rossi und Domenico Martinelli als Architekten, Giovanni Giuliani als Bildhauer sowie Johann Michael Rottmayr und Andrea Pozzo als Maler beteiligt waren. Das Ergebnis war ein Palast römischen Anspruchs, der das Zentrum einer ganzen, vor den Mauern Wiens gelegenen Stadt mit dem programmatischen Namen "Liechtenthal" bildete. [1]

Diese Traditionen aufzunehmen und die Strahlkraft dieses barocken Ensembles wieder zu beleben, daran knüpft die Einrichtung und Adaptierung als Museum an. So erlebt der Besucher nicht nur die Wiedereinrichtung einer grandiosen Sammlung an ihrem angestammten Ort, sondern taucht gleichsam nebenbei in eine barocke Welt, in dem er an der Wiederentdeckung eines der bedeutendsten Ensembles des österreichischen Hochbarocks teilnimmt. Es ist deshalb mehr als die Rückkehr einer Sammlung - es ist die Rückkehr eines bedeutenden Teiles Wiener Barockkultur.

Anlässlich der glanzvollen Wiedereröffnung ist ein von Johann Kräftner, dem Direktor des Museums, und Andrea Stockhammer erarbeiteter, prachtvoll ausgestatteter Band im Prestel-Verlag erschienen, der die einzelnen Sammlungsabteilungen vorgestellt. Seit der großen Ausstellung im Metropolitan Museum of Art in New York 1985/86 ist die Bedeutung der Sammlung in dieser Ausführlichkeit der Öffentlichkeit nicht mehr vor Augen geführt worden. [2] Der Band reiht sich ein in die Folge der in letzter Zeit populär gewordenen, mit großem publizistischen Aufwand herausgegebenen Sammlungskataloge, die auf Grund ihres Gewichts dem Besucher vor Ort nicht mehr behilflich sein können, sondern als "Trophäe" nach Hause getragen werden, um dort einen exponierten Platz - zumindest für einige Zeit - im Wohnzimmer einzunehmen. Um es vorweg zu nehmen: kunstwissenschaftliche Ansprüche im Sinne eines Sammlungskataloges erfüllt der Band nicht. Den Autoren geht es nicht um eine kritische Bestandsaufnahme der etwa 170 präsentierten Gemälde und Skulpturen im Sinne einer kunstwissenschaftlichen Bearbeitung als vielmehr um die Popularisierung der Sammlung. Einem Überblick über die Sammlungs- (13-24) und die Baugeschichte sowie die Ausstattung des Palastes (29-81) folgt eine kurze Erläuterung der Präsentation (87-91), bevor die einzelnen Säle mit ihren Gemälden und Skulpturen vorgestellt werden. Der Bogen spannt sich von der Malerei der Renaissance in Italien (Saal IV) über den kunsthistorisch wohl spannendsten Saal mit Portraits der Renaissance in Nord- und Südeuropa (Saal V) - darunter Hans Mielichs glänzendes Standbild des Ladislaus von Fraunberg -, bis zur Blüte der italienischen Barockmalerei im 17. und 18. Jahrhundert mit Werken von Pietro da Cortona und Sebastiano Ricci (Saal VI), von den bedeutenden Werken des Rubens und van Dycks (Saal VII und VIII) bis zu den Holländern des 17. Jahrhunderts mit Jan van Goyen und Rembrandt (Saal IX). Kurze Abhandlungen erläutern die Objekte in ihrem kunsthistorischen Zusammenhang, was allerdings die schnelle Orientierung über einzelne Gemälde erschwert. Diese bleibt am ehesten noch dem kleinen wissenschaftlichen Apparat überlassen, der jedem Abschnitt am Ende beigefügt ist und der die wesentlichen Informationen über Material und Technik usw. enthält. So will der Band kein Führer im herkömmlichen Sinne, aber auch kein wissenschaftlicher Katalog sein, sondern gibt vor allem dank seiner zahlreichen Farbaufnahmen eine Vorstellung von einem barocken "Gesamtkunstwerk", das ein großes Kapitel europäischer Sammlungsgeschichte widerspiegelt.

Sammeln war nicht nur Lust, sondern gehörte nach barockem Verständnis im Rahmen fürstlicher Repräsentation zu den Pflichten des Adels. Bereits Karl I., der 1608 in den Fürstenstand erhoben worden war, legte in Prag im Umfeld des Hofs von Kaiser Rudolf II. eine Sammlung an, die Gemälde von Joseph Heintz, Hans von Aachen und Guiseppe Arcimboldo ebenso enthielt wie Skulpturen von Adriaen de Vries. [3] Die Bronzestatuen "Christus im Elend" und der "Heilige Sebastian" - bis heute zwei Hauptattraktionen der fürstlichen Sammlung - hatte Karl bei dem Niederländer sogar selbst in Auftrag gegeben (264-269).

Sein Sohn Karl Eusebius verankerte das Sammeln als fürstliche Tugend endgültig im Bewusstsein der Familie, als er in seinem "Werk von der Architectur" den Nutzen der Kunstpatronanz allgemein so beschrieb, dass sie allein geeignet sei, über die eigene Lebenszeit hinaus die Erinnerung an den Fürsten zu erhalten. [4] Karl Eusebius selbst hatte bereits 1643 eine "Himmelfahrt Mariens" von Rubens erworben (258-261), dessen Werk auch später im Mittelpunkt der Erwerbungen stand: Fürst Johann Adam Andreas (1657-1712) konnte 1693 seinen Zyklus um den Sieg und Tod des römischen Konsuls Decius Mus erwerben (222-257), der zunächst im Stadtpalais in der Bankgasse hing, doch 1807 bei der Eröffnung des Gartenpalais' als Gemäldegalerie das Herzstück der Sammlung bildete - und es jetzt wieder ist.

Die Interessen der einzelnen Fürsten und damit deren Sammelgebiete waren unterschiedlich: Hatte Fürst Johann Adam Andreas die flämische und italienische Barockkunst bevorzugt, so schätzte Joseph Wenzel von Liechtenstein (1696-1772) während eines Aufenthalts in Paris (1737-1741) besonders die einheimische Kunst. Er beauftragte Hyacinthe Rigaud mit Portraits und ließ in Paris 1738 mit dem berühmten Goldenen Wagen den wichtigsten erhaltenen Prunkwagen des französischen Rokoko anfertigen, der heute die Eingangshalle des Museums ziert. Im 19. Jahrhundert schließlich gab es weitere Veränderungen im Bestand: Nach der Übertragung der Sammlung in das Gartenpalais und dessen Eröffnung als Museum durch Fürst Johann I. (1760-1836) war es sein Nachfolger Fürst Johann II. (1840-1929), der unter der Beratung Wilhelm von Bodes eine beachtliche Sammlung frühneuzeitlicher Andachtsbilder zusammentrug, darunter Werke von Lorenzo Monaco, Bernardino Luini und Marco Basaiti (98-133). Unter seiner Regentschaft erlangte die Galerie jene private Note, die sie von anderen Museen unterschied und die sich vergleichbar heutzutage vielleicht nur noch in der Frick-Collection in New York erhalten hat: Die Mischung aus Möbeln, Tapisserien, Skulpturen und Gemälden schuf eine Lebendigkeit und aufgelockerte Atmosphäre, die den nüchternen Eindruck einer nach wissenschaftlichen Kriterien aufgestellten Sammlung bewusst vermied.

Diesem Konzept ist auch die Neupräsentation in Teilen verpflichtet, allerdings ohne die nahezu enzyklopädische Fülle des 19. Jahrhunderts erreichen zu wollen. Im Sinne eines barocken Ambientes sucht die jetzige Präsentation ebenso die Verbindung von Gemälden und Skulpturen, von Möbeln und Kunsthandwerk - am eindrucksvollsten vorgeführt in der zentralen Großen Galerie, in der sich Rubens' Decius Mus-Zyklus mit den Skulpturen Adriaen de Vries' und Massimiliano Soldani Benzis, Büsten von Robert le Lorrain und Konsoltische von Claude le Fort du Plessy zu einem einzigartigen Ensemble barocker Kunst vereinen.


Anmerkungen:

[1] Friedrich Polleroß: Dem Adl und fürstlichen Standt gemes Curiosi. Die Fürsten von Liechtenstein und die barocke Kunst, in: Frühneuzeit-Info 4, 1993, 174-185.

[2] Liechtenstein - The Princely Collections, Ausst.-Kat. Metropolitan Museum of Art, New York 1985.

[3] Die archivalischen Belege zusammengetragen bei Herbert Haupt: Fürst Karl I. von Liechtenstein, Obersthofmeister Kaiser Rudolfs II. und Vizekönig von Böhmen. Hofstaat und Sammeltätigkeit. Edition der Quellen aus dem liechtensteinischen Hausarchiv, Text- und Quellenband, Wien 1983.

[4] Victor Fleischer: Fürst Karl Eusebius von Liechtenstein als Bauherr und Kunstsammler (1611-1684), Wien-Leipzig 1910.

Peter Prange