Andrea Gottdang: Vorbild Musik. Die Geschichte einer Idee in der Malerei im deutschsprachigen Raum 1780-1915 (= Münchener Universitätsschriften des Instituts für Kunstgeschichte; Bd. 4), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2004, 512 S., 7 Farb-, 50 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06501-7, EUR 65,50
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Andrea Gottdang legt eine umfangreiche Studie über das Zusammengehen von Musik und bildender Kunst vor, von der sie fordert, dass ihr Interesse "ausschließlich den Impulsen" (gilt), "die die Malerei von der Musik erhalten hat" (17). Eine solch bescheidene Zielsetzung scheint dem gewaltigen Thema, das sie über einen Zeitraum von 1780 bis zum Blauen Reiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgt, am ehesten gerecht zu werden. Hätte sie sich nämlich dem gewidmet, was sie nur andeutet - "Die Entwicklung eines verbindlichen Instrumentariums (für die Betrachtung von Musik und Malerei) steht [...] noch aus", -, dann wäre ihr wohl kaum eine solch profunde Darstellung des schwierigen Themas gelungen. Woher nehme ich diese Behauptung? Vor allem aus der Tatsache, dass die Autorin als Kunstwissenschaftlerin noch den gesamten schwierigen Bereich, den ein musikwissenschaftlich versierter und speziell Ausgewiesener, der darüber hinaus aber sicher auch Musikpraktiker sein sollte, hätte mitbehandeln müssen. Die kunst- und musikwissenschaftliche Literatur ist voll von Beispielen - und das vom Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart -, die die Schwierigkeiten verdeutlichen, auf diesem spannenden Gebiet seriös zu arbeiten. Eine fehlerhafte Terminologie bzw. eine sinnvolle Anwendung der Terminologie ist hierbei noch das geringste Übel!
Wenn in Zukunft jemand über diesen Themenkomplex arbeiten möchte, so kann er an dieser Studie nicht vorbeikommen. Allein schon der Beginn mit den thematischen "Zielsetzungen", dem "Literaturbericht" und den methodischen "Vorüberlegungen" enthält soviel an Grundwissen zum Thema des Zusammengehens beider Künste und den zahlreichen Arbeiten, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen. Der folgende Komplex ("Musik und Malerei - Annäherungen") tastet sich auf unterschiedlichste Art und Weise an das Thema heran. Zunächst wird nach den "Korrespondenzen" zwischen Farben und Tönen gefragt, nach der "Harmonie der Farbe", der "Melodie der Zeichnung" an praktischen Beispielen bei Correggio und Pergolesi, Raffael und Mozart geforscht. Auch die Vorüberlegungen, wo man in beiden Künsten Analogien entdecken kann, womit sie sich voneinander abgrenzen, was ihre jeweiligen "Stärken und Schwächen" hierbei sind, sind dazu angetan, das Gesamtthema grundsätzlich zu diskutieren. Auf diese Weise erhält der Leser aber auch nicht nur eine Einführung, sondern eben nichts weniger als die Grundlagen, mit denen er sich bestens ausgestattet der Problematik nähern kann.
In den beiden abschließenden Kapiteln geht es um die um 1800 herrschende Meinung, dass die Musik den Vorrangplatz aller Künste innehabe und wie mit dieser Erkenntnis innerhalb der geschichtlichen Entwicklung verfahren wurde. Im Abschnitt "Die Musikalisierung der Malerei: Visionen und Strategien. 1780 - 1820" werden die theoretischen Vorüberlegungen an der Praxis überprüft. Dabei kommen auch solche Kuriosa wie Louis-Bertrand Castels (1688 - 1757) Farbenklavier zur Sprache, aber auch das Kaleidoskop und die "bewegten Bilder", nachdem eine mögliche ästhetische Herleitung über Kant erörtert wurde (67). Aber auch das in der Frühromantik aufkommende Phänomen der "Synästhesie" wird in gegebener Ausführlichkeit dargelegt.
Daran schließt sich die Betrachtung über die Rolle der Musik in der Landschaftsmalerei an, gleichzeitig aber auch die Frage, ob deren Existenz überhaupt in dieser nachweisbar ist. Natürlich wird gerade diese Problematik am Werk C. D. Friedrichs exemplarisch abgehandelt. Abgeschlossen wird dieser Themenbereich durch eine Betrachtung des Werks Philipp Otto Runges, nachdem selbst die Arabeske und das Verhältnis von Musik und Architektur kursorisch gestreift wurden.
Im folgenden Abschnitt werden die Möglichkeiten einer "musikalischen Malerei" am Werk Moritz von Schwindts, Anselm Feuerbachs und zuletzt Arnold Böcklins überprüft. Die Idee einer musikalischen Form im Verständnis Eduard Hanslicks nach seiner Schrift "Vom Musikalisch-Schönen" (1854) wird an zentraler Stelle nach möglicher Verwendung in der Malerei diskutiert.
Den letzten Abschnitt, in dem Musik und Malerei zwischen 1880 - 1915 betrachtet werden, versteht die Autorin als eine Gleichberechtigung von Musik und Malerei. Es geht ihr hierbei um die Betrachtung der Böcklin-Rezeption, vor allem aber um das Zusammenwirken beider Künste im Werk von Wassily Kandinsky und Franz Marc. Natürlich wird die Zusammenarbeit Kandinskys mit Arnold Schönberg umfassend behandelt, wodurch auch eine Ausweitung des gestellten Themas in den Bühnenbereich hinein erfolgt.
Dieser bei weitem nicht vollständige Überblick vermag vielleicht trotzdem eine Ahnung dessen zu bieten, was die Autorin nicht nur im Vorbeigehen mitdiskutierte. Es scheint wirklich so zu sein, dass das Thema Musik - Malerei vom Stofflichen her wirklich umfassend behandelt wurde. Die Darstellung der zu unterschiedlichsten Zeiten beschworenen Parallelität und gegenseitigen Beeinflussung wurde für den angegebenen Zeitraum hinreichend durchgeführt. Was jedoch letztendlich übrig bleibt, ist dieses Gefühl vom nicht Darstell-, nicht Nennbarem, das sich hinter der so unendlich häufig genannten Beziehung von Musik und Malerei verbirgt. Arbeitet man viel auf diesem Gebiet, dann ist man froh, wenn eine musikalische Andeutung auf einem Bild, sei es ein Instrument, seien es Noten, eine Musizierszene oder ein Titel, ihre Anwesenheit reklamiert, weil dann jeder deren Anwesenheit vor Augen zu haben meint. Aber wie die Musik sich dann darüber hinaus einbringt, wie sie in Bildern ohne das eben Genannte deutlich wird, das ist das große Geheimnis dieser Kunst. Es ist nicht genug zu loben, dass sich Andrea Gottdang an das Greifbare gehalten hat!
Dieter Gutknecht