Rezension über:

Lothar Gall: Der Bankier. Hermann Josef Abs. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2004, 526 S., 57 Abb., ISBN 978-3-406-52195-9, EUR 29,90
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Rezension von:
Bernhard Löffler
Otto-von Guericke-Universität, Magdeburg
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Löffler: Rezension von: Lothar Gall: Der Bankier. Hermann Josef Abs. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 12 [15.12.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/12/8204.html


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Lothar Gall: Der Bankier

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Dezidiert politisch denkende und öffentlichkeitswirksam agierende Unternehmer sind in Deutschland eher die Ausnahme. Oftmals sind die Wirtschaftseliten einem breiteren Publikum nicht einmal dem Namen nach bekannt, zumal Bankiers wirken diskret im Verborgenen. Hermann Josef Abs ist hier gleichermaßen Ausnahme wie Regel: Ausnahme, weil er wie kaum ein anderer seiner Zunft bewusst, zielstrebig und ehrgeizig auch ans Licht der politischen Öffentlichkeit trat, als langjähriger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, als Leiter der deutschen Delegation bei den schwierigen Londoner Schuldenverhandlungen Anfang der Fünfzigerjahre, als von der Presse hofierte wie kritisierte Leitfigur der westdeutschen Hochfinanz, bis in die Sechzigerjahre hinein als "finanzpolitischer Sprecher der Deutschland AG" (319) wie als auf der internationalen Bühne geachteter "Weltbankier" (12), zuletzt als agiler Kulturmäzen. Und doch repräsentiert Abs zugleich die Regel, weil man auch mit seinem Namen nur selten wirklich Konkretes verbindet, weil man nur Vages über seine Rolle im 'Dritten Reich' weiß, weil sich seine Arbeit zumeist auf dem unübersichtlichen Terrain von Finanztransaktionen und Bankenwelt, von anspruchsvollen Kreditfragen und brisanten Arisierungsvorgängen bewegte.

Die vorliegende Biografie schafft hier auf beeindruckende Weise Einblicke und Klärung. Sie vermittelt nicht nur ein sehr plastisches Bild der facettenreichen Persönlichkeit Abs'. Sie macht darüber hinaus in akribischen Detailstudien auch die diffizilen Alltagsgeschäfte des Bankiers verständlich. Und dem Autor gelingt es durchgehend, bei aller Beachtung der Individualität und Exzeptionalität des Untersuchungsgegenstandes die Biografie einer "exemplarischen Figur" (9) zu schreiben, also den Anspruch zu erfüllen, in Person, Leben und Karriere von Abs repräsentative Zeittendenzen herauszufiltern und allgemeinere historische Zusammenhänge aufzuweisen. Das ist nicht zuletzt deshalb so spannend und aufschlussreich, weil sich in Abs' Charakter durchaus Widersprüchliches verbindet und sich in seinem Berufs-, Politik- und Gesellschaftsverständnis zwar durchweg Kontinuitätslinien spiegeln, diese aber ihrerseits nicht eindeutig, sondern unterschiedlicher Qualität sind. So repräsentiert Abs gleichzeitig problematische Elitenkontinuitäten vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik, er steht aber beispielsweise auch für die Traditionen eines gebildeten, weltläufigen, mäzenatischen Bürgertums.

Materielles Rückgrat der Arbeit und handfestes Pfund, mit dem das Buch wuchern kann, ist der privilegierte Zugang zu dem fast 5.000 Aktenordner umfassenden Nachlass Abs im Historischen Archiv der Deutschen Bank. Dies wird ergänzt um weiteres umfängliches Aktenmaterial, das nach 1990 aus ostdeutschen Beständen ebendort zusammengeführt wurde, ferner um Einzelbestände aus dem Bundesarchiv Koblenz und Berlin. Der Verfasser nutzt die ganze Bandbreite dieses teilweise erstmals zugänglichen Materials vorzüglich aus. Profitiert haben hiervon - neben manchen generellen Bewertungen, interessanten Angaben etwa zu Gehalt und Lebensstil oder vielen Aufschlüssen zu den kulturpolitischen Aktivitäten nach 1945 - in erster Linie die detaillierten, aber insgesamt doch sehr anschaulichen Darstellungen zu komplizierten Sachverhalten des Finanzgeschäfts. Das beginnt bei ersten Kredittransaktionen des jungen Privatbankiers im Bankhaus Delbrück Schickler und Co., setzt sich fort über die Schilderung zahlreicher 'Arisierungsfälle' und problematischer Auslandsaktivitäten der Deutschen Bank seit 1937 und endet in der Nachkriegszeit mit Passagen zu internationalen Entschuldungsgeschäften oder, von besonders verwickelter Materie, über das Neben- und Miteinander der Verhandlungen zum Londoner Schuldenabkommen und zum Wiedergutmachungsvertrag mit Israel.

Welche zentralen Ergebnisse der Studie kann man hervorheben? Was charakterisierte Abs' Persönlichkeit und Laufbahn in besonderer Weise? Vier Komplexe müssen hier wohl betont werden. Zum ersten Abs' Rolle im 'Dritten Reich'. Mit seinem wachsenden Einfluss als vielfacher Aufsichtsrat bedeutender Industrieunternehmen und nach seiner Berufung zum für das Auslandsgeschäft verantwortlichen Vorstand der Deutschen Bank 1937 wuchs seine "Einbindung in die auch im Bereich der Wirtschaft und des Finanzwesens mehr und mehr von den neuen Kräften beherrschte Ordnung". Der Verfasser verschweigt keineswegs die äußerst prekären Seiten dieses Engagements, beschreibt minuziös die gefährliche Gratwanderung zwischen alltäglichem Bankgeschäft, kriegerisch expandierender Großraumwirtschaft und gewaltsamer Liquidierung jüdischen Vermögens. Abs, so das Resümee, habe insgesamt "im Rahmen längerfristig [...] konzipierter Ziele seiner Bank" (58) gehandelt. Er habe dabei auch die militärische Expansion Deutschlands in Europa vornehmlich als Gelegenheit des Geldinstituts begriffen, durch diverse Firmenübernahmen bzw. Kapitalbeteiligungen "in diesem Raum nicht nur Fuß zu fassen, sondern nach Möglichkeit einen dominierenden Einfluss zu gewinnen" (73). Die Wertungen des Buches sind hier stets um Distanz und Differenzierung bemüht, fallen auch deutlich zurückhaltender aus als etwa diejenigen von Harold James, der in manchen seiner Veröffentlichungen schärfer die ausbeuterische Brutalität und Gesetzlosigkeit der Geschäfte der Deutschen Bank und ihre Verflechtungen mit dem NS-Terrorapparat angeprangert hat. Gall beschränkt sich dagegen weitgehend auf die Rolle von Abs und besteht auf der Position, dass eine direkte Kontamination mit NS-Verbrechen weder in Abs' Funktion als Bankvorstand noch als Aufsichtsrat (etwa der IG Farben) aktenkundig und beweisbar sei (87). Nur einmal, beim Rückkauf der so genannten Krueger-Anleihe von der schwedischen Enskilda-Bank 1940, habe Abs private Provisionen fast im Umfang seines Jahressalärs (beinahe 300.000 RM) verdient. Auf der anderen Seite stünden Hilfsaktionen für jüdische Kollegen, die glaubhaften Versuche, möglichst pfleglich mit 'arisiertem' Vermögen umzugehen, und nicht zuletzt Kontakte zum Kreisauer Kreis, die Abs an der "'Peripherie' des Widerstandes" (98) verorteten. In alldem kommt durchaus das wohl zentrale Charaktermoment zum Ausdruck: Abs ist ein Musterbeispiel für das ambivalente Verhältnis vieler deutscher Führungskräfte zum Nationalsozialismus, für die zwar vielleicht "keine intentionale, aber doch eine faktische Zusammenarbeit mit dem NS-System" (10) bestand und bei denen das in vielerlei Hinsicht distanzierte Verhältnis zu den Machthabern nicht darüber hinweg täuschen sollte, "wie eng [man] in Wirklichkeit bereits mit dem System verbunden war und ihm praktisch zuarbeitete" (9). Man kann sich indes fragen, ob angesichts eines solchen Zuarbeitens und des schamlosen Ausnutzens der politischen Verbrechen für die eigenen Unternehmensinteressen nicht doch die Gesamtbewertung von Abs' Person noch kritischer hätte ausfallen müssen. Das gilt im Übrigen auch für die Schilderungen von Abs' Umgang mit südamerikanischen Diktaturen bei Entschuldungsverhandlungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren (315 ff.).

Ein zweiter wichtiger Punkt: Abs war ein glänzender "Netzwerker", und viele der personalen Verbindungen überwölbten die politischen Einschnitte von 1933 und 1945, stellen also personale Elemente der Kontinuität dar. Die immer wieder eingestreuten Ausführungen zu Abs' (wenigen) persönlichen Freunden, zu seinen (zahlreichen) Geschäftsfreunden und Aufsichtsratskollegen sowie zu wichtigen politischen Ansprechpartnern (allen voran zu Adenauer) geben nicht nur über Abs' Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit, seinen Pragmatismus und seine persönliche Autorität im Umgang mit Menschen Auskunft. Sie vermitteln überdies informative, prosopografisch verwertbare Einblicke in die Entstehungsgeschichte der westdeutschen Elite und ihre Verständigungswege auf dem Schnittfeld von Wirtschaft und Politik, nicht zuletzt zu den Stationen und Techniken ihres sukzessiven Wieder-Fuß-Fassens nach 1945 (sehr gut etwa im Abschnitt "Berater ohne Amt und Mandat", 121-141).

Ein drittes, ganz entscheidendes Charakteristikum der Person Abs' liegt in der eigentümlichen Kombination, mit der sich bei ihm eine traditionelle Bezogenheit auf den klassischen Nationalstaat und seine Traditionen eines spezifischen, korporativ-konsensualen und auf den ordnenden Einzelstaat bauenden sozioökonomischen Modells (Stichwort "rheinischer Kapitalismus") verband mit Weltläufigkeit, dem ständigen Auftreten auf internationalem Parkett und der durchgehenden Beschäftigung mit Fragen transnationaler Finanz- und Handelsbeziehungen. Abs zeigt sich da immer wieder als Gestalt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, für den die möglichst freie, aber in einem festen staatlichen Rahmen verankerte Privatwirtschaft, ein funktionierender liberal-multilateraler Außenhandel und eine eingespielte Weltwährungsordnung (mit fixen Wechselkursrelationen) zum Wesenskern friedlich konkurrierender Nationalstaaten gehörten. Dieses Beharren auf traditionellen nationalen Normen bei gleichzeitiger weltpolitischer Offenheit lässt sich noch in den diffizilsten Einzelproblemen nachspüren, und es zeigt sich auch im "berufsethischen" Selbstverständnis oder im habituellen Auftreten. So lehnte Abs beispielsweise vehement eine DM-Aufwertung ab, weil er darin einen Bruch mit bewährten Währungsgepflogenheiten sah. Als seine zentrale Aufgabe umschrieb er beinahe mantra-artig, es gelte, "die Dinge in Ordnung zu halten oder zu bringen" (z. B. 351). Und bis zuletzt postulierte er für sich, ein Bankier und nicht nur Banker zu sein (z. B. 253). Abs erscheint hier als ein wirklicher Konservativer. Deshalb blieb ihm auch die Welt der 1970er-Jahre fremd, schwand seine konzeptionelle Prägekraft seit den ausgehenden 1960er-Jahren erkennbar und zunehmend.

Viertens schließlich: Abs war zu keiner Zeit ein perspektivisch beschränkter Finanzfachmann. Sein Blick ging stets über den ökonomischen Tellerrand hinaus. Er verstand sich bei aller Fähigkeit zum Taktieren in erster Linie als Stratege, der sein Urteil selbstständig, auch mit Distanz zu festen parteipolitischen Bindungen fällen wollte und das Spiel "auf der großen Orgel mit mehreren Manualen" (202) bevorzugte. Die erwähnte Aufgabe des Ordnens begriff er grundsätzlich gesellschaftspolitisch als Sorge für das Gemeinwohl, für die zivile Bürgergesellschaft. Für diesen Weitblick und diesen Tiefgang stand nicht nur sein nationalökonomischer Sachverstand, sondern auch seine lebenslange Rückbindung an überweltliche Normen, seine glaubwürdig empfundene katholische Religiosität. Konkreten Ausdruck fand diese Grundhaltung in der zeitweiligen Übernahme staatlich-politischer Verantwortung (neben der Delegationsleitung bei den Londoner Schuldenverhandlungen z. B. als Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau) sowie in seinem starken kulturpolitischen Engagement, seiner beherzten Förderung von Musik und bildender Kunst, als deren Credo er in einem Vortrag von 1982 bezeichnend formulierte: "Ideelles und materielles Mäzenatentum bieten die dem Bürger geeignete Form" (431).

Insgesamt: Eine beeindruckende Biografie, die sehr gut die Mitte hält zwischen den Detailinformationen zur Person sowie der Genauigkeit bei der Erörterung komplizierter Einzelprobleme und einer umsichtigen Einordnung in allgemeine, längerfristige Entwicklungen und einer klugen Bewertung der Zusammenhänge. Zwar meint man durchweg eine gewisse Nähe des Autors zu seinem Sujet zu verspüren, doch die Darstellung ist keineswegs unkritisch, sondern weiß die Selbststilisierungen ihres Helden (z. B. die Legende vom urlaubslosen Workaholic, 254) gut einzuschätzen und dessen sorgfältige Inszenierungsformen mit dem "am britischen gentleman-Ideal orientierten Lebensstil" (234), der "Flankierung durch Assistenten und dem Spiel mit Brille und Manuskript" (437) usw., mit der nötigen Distanz zu kommentieren. Aber man merkt, hier handelt ein distinguierter Bürger über den anderen: inhaltsreich, fundiert und hochgebildet, im Stil unaufgeregt und souverän, im Ton unangestrengt und doch immer konzentriert, eben gentleman-like. Dazu passt auch die schöne Ausstattung des Buches, auch sie durchdacht, gediegen und obendrein mit aussagekräftigen Bildern versehen.

Bernhard Löffler