Uwe Tresp: Söldner aus Böhmen. Im Dienst deutscher Fürsten: Kriegsgeschäft und Heeresorganisation im 15. Jahrhundert (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 19), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004, 524 S., ISBN 978-3-506-71744-3, EUR 72,00
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Eine Arbeit zur böhmischen Militärgeschichte des 15. Jahrhunderts ruft vielfach als erste Assoziation den Gedanken an Hussiten hervor, an fanatische Glaubenskrieger, die sich mit Schusswaffen in Wagenburgen verschanzen. Diese bilden in vielen Überblicksdarstellungen zur Militärgeschichte einen eher anekdotischen Auftakt, bevor man mit den Schweizern und den oberdeutschen Landsknechten zur eigentlichen Ausformung einer neuzeitlichen Infanterie kommt.
Uwe Tresp zeigt in seiner Potsdamer Dissertation, dass der Gegenstand weit mehr zu bieten hat. Sicher waren die Hussitenkriege und die in ihnen entwickelten taktischen Formen sowie die aus ihnen resultierenden militärischen Erfahrungen eine wichtige Basis für die weitere Entwicklung, keineswegs aber die einzige. Die wirtschaftliche und soziale Krisensituation des böhmischen Adels zu Beginn des 15. Jahrhunderts ließ die militärische Betätigung attraktiv werden. Im Dienste etwa des Königs oder der Kirche konnte unmittelbar Sold bezogen werden, zudem lockten Beute und schließlich auch die Möglichkeit, auf der Basis des Rechts des Stärkeren Landbesitz dauerhaft zu gewinnen. Regelrechter Solddienst und - in fließenden Übergängen - ein Räuberbandentum auf eigene Rechnung oder im Rahmen einer Gefolgschaft waren so schon seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert in Böhmen weit verbreitet.
Auch nach dem Ende der Hussitenkriege wurde das Land von religiösen und sozialen Konflikten erschüttert. Das Potential kriegserfahrener Männer blieb deshalb hoch. Die Annahme auswärtiger Solddienste in größerem, quellenmäßig greifbaren Stil ist daher nicht zufällig mit dem Ende der Hussitenkriege in Verbindung zu bringen, durch das größere Zahlen kriegsgeübter Böhmen zunächst beschäftigungslos waren. Nach ersten Ansätzen in den 1430er Jahren stellte der Einsatz böhmischer Söldner im Rahmen der ungarischen Thronfolgekämpfe ab 1440 erstmals ein umfassendes Engagement dar. Gleichzeitig waren Böhmen bei zahlreichen Kämpfen im österreichischen Raum präsent, kurz darauf auch in Preußen und schließlich gegen Ende des Jahrhunderts im Söldnerheer des Mathias Corvinus von Ungarn. Bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts galten böhmische Söldner als den Schweizern und anderen Nationalitäten überlegen und wurden daher von zahlreichen mitteleuropäischen Fürsten und sonstigen Kriegsherrn in Dienst genommen. Die blutige Niederlage eines böhmischen Heeres in der Schlacht bei Wenzenbach 1504 gegen Landsknechte und Artillerie markierte jedoch den Beginn des raschen Niedergangs der nun in taktischer Hinsicht bald nicht mehr konkurrenzfähigen Böhmen mit ihren Setzschilden und Wagenburgen.
Im endenden 15. Jahrhundert beruhigte sich aber auch die Situation in Böhmen selbst zunehmend, und gleichzeitig erschloss der Adel neue Einkunftsquellen in wirtschaftlicher Betätigung. Dadurch wurde für Adelige selbst der Solddienst weniger attraktiv; gleichzeitig hatten sie ein Interesse daran, die Untertanen als Arbeitskräfte auf den Gütern zu halten und ihnen den Solddienst zu verwehren. So ist die hohe Zeit des böhmischen Söldnertums tatsächlich auf die kurze Zeitspanne des zweiten und dritten Drittels des 15. Jahrhunderts beschränkt, und ihr Ende ist sicher genauso mit sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen wie neuen taktischen Erscheinungen in Verbindung zu bringen.
Tresp beleuchtet die in der mediävistischen und frühneuzeitlichen Forschung bislang eher unterbelichtete Epoche der Militärgeschichte anhand zweier Fallbeispiele, die quellenmäßig durch verschiedene Zufälle der Überlieferung, v.a. durch Musterungslisten und Rechnungen, besonders gut dokumentiert sind. Das ist bei aller möglichen Kritik daran, dass es sich nicht unbedingt um repräsentative Fälle handeln muss, das einzig sinnvolle Vorgehen für diese insgesamt eher quellenarme Zeit. Schon aus den beiden Einzelfällen - dem Einsatz von Böhmen in der Soester Fehde 1447 und im Dienste Herzog Ludwigs IX. von Bayern-Landshut 1459 bis 1462 - lassen sich überraschende und unsere Kenntnisse über das spätmittelalterliche Militärwesen deutlich vertiefende Schlüsse ziehen. Dabei erliegt Tresp nicht der Versuchung, unzulässig zu verallgemeinern oder aus seinen Quellen Thesen zu generieren, die sie dann doch nicht stützen können. Sein insgesamt vorbildlicher Umgang mit den Quellen lässt unlösbare Fragen offen, bietet fundierte Aussagen, wo dies möglich ist, und beschränkt sich in der Grauzone zwischen diesen beiden Polen auf begründete Hypothesen, die gleichwohl immer als solche gekennzeichnet bleiben. Tresps Ausgehen von den Quellen hebt sich wohltuend von solchen Arbeiten ab, die einen ausgefeilten theoretischen Überbau auf eine viel zu schmale Quellenbasis stellen.
Sein Interesse zielt hauptsächlich auf die Ermittlung der Strukturen, Organisationsformen und Vorgehensweisen bei der Anwerbung, Aufbringung und Kriegführung eines böhmischen Söldnerheeres, weniger auf taktische oder heereskundliche Fragen. Es zeigt sich, dass die böhmischen Soldtruppen keineswegs aus einer reinen wagenburggestützten Infanterie bestanden, sondern in großem Umfang auch Reiter einsetzten. Diese wiederum waren nur ausnahmsweise mit den klassischen ritterlichen Waffen ausgerüstet. Meist handelte es sich um berittene Armbrust-Schützen, also um eine in die Zukunft weisende Form der Reiterei.
Traditioneller hingegen erscheint die innere Struktur eines böhmischen Söldnertrupps. Tresp kann immer wieder die hohe Bedeutung adeliger Soldunternehmer unterstreichen, die aus Abhängigen oder sonstigen Gefolgsleuten oder Anhängern in vergleichsweise kurzer Zeit teilweise auch sehr viele Männer zum Solddienst aufbieten konnten. Sie traten gegenüber dem werbenden Kriegsherrn als Verhandlungs- und Vertragspartner auf, an sie wurden Zahlungen geleistet, und sie kümmerten sich um die inneren Verhältnisse ihrer Truppenteile, die nicht - wie sonst für diese Zeit häufig angenommen wird - in "Gleven" oder "Banner" gegliedert waren. Der adelige Soldunternehmer musste dabei nicht selbst im Feld erscheinen, sondern konnte das eigentliche Kommando auch einem Gefolgsmann anvertrauen.
Die Abhängigkeit von Adeligen vor Ort in Böhmen hob die Frage, ob ein auswärtiger Fürst hier werben konnte, in die Sphäre der Politik. Ein Interessent musste wissen, wen er ansprechen konnte, welche innerböhmische Partei seinem Ansinnen gegenüber positiv eingestellt war und wie er sich auf Dauer eigene Verbindungen schaffen konnte.
Sicher lässt sich bei mancher Wertung Tresps im Detail ein Fragezeichen anbringen (so betont er den Wert der böhmischen Infanterie im Belagerungskrieg meines Erachtens zu sehr), doch das liegt in der Natur der Quellenbasis, die oft nur Indizienbeweise zulässt. Solche Punkte können daher nicht ernsthaft kritisiert werden, sondern sollten als Auftakt für eine weitere Diskussion auf einem Forschungsfeld genommen werden, das er eröffnet hat. Künftig wird man die Böhmen neben den Schweizern und den oberdeutschen Landsknechten nicht mehr übersehen können. Völlig zu Recht wurde die Arbeit mit dem Werner Hahlweg-Preis für Militärgeschichte und Wehrwissenschaften 2004 ausgezeichnet.
Max Plassmann