Astrid Küntzel: Fremde in Köln. Integration und Ausgrenzung zwischen 1750 und 1814 (= Stadt und Gesellschaft; Bd. 4), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, XIII + 256 S., ISBN 978-3-412-20072-5, EUR 29,90
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Astrid Küntzel wählte für ihre Freiburger Dissertation Köln, um an einem konkreten Beispiel Strategien und Mechanismen der Integration und der Ausgrenzung von Fremden im späten 18. Jahrhundert und insbesondere während der französischen Zeit zu untersuchen, als Köln von einer freien Reichsstadt zu einem peripheren Teil des französischen Staats geworden war. Sie knüpft dabei an die in den letzten Jahrzehnten geführte Diskussion um die Konstruiertheit des modernen Nationalstaatsbegriffs an und geht zu Recht davon aus, dass auch in der Frühen Neuzeit die Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden entlang keiner natürlichen, sondern entlang konstruierter Grenzen getroffen wurde. Die Frage also, wer oder welche Personengruppe wo, wann und unter welchen Umständen als einheimisch oder als fremd galt, war weder pauschal zu beantworten, noch blieben die Antworten im Verlaufe der Zeit stabil. Vielmehr gehorchten die Prozesse von Inklusion und Exklusion von wie auch immer zu definierenden Fremden eigenen Gesetzen, die je nach politischem Kontext, Herkunft, sozialer Gruppe, wirtschaftlichen Interessen, konfessioneller Zugehörigkeit und in der französischen Zeit auch Staatsangehörigkeit andere Faktoren berücksichtigten. Daher gab und gibt es keine absolut zu definierende Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden, sondern nur ein schwer zu überschauendes Bündel von Grenzen, die situationsgebunden parallel zueinander in Gebrauch waren.
Dass sich die Darstellung auf die Übergangszeit vom Alten Reich zum 19. Jahrhundert konzentriert, ist sinnvoll, da hier durch den radikalen Wandel der Rahmenbedingungen und insbesondere durch die Entstehung einer Staatsbürgerschaft im modernen Sinne besonders reichhaltiges Quellenmaterial zu Fragen von Bürgerrecht, Fremdheit und Zugehörigkeit zu erwarten ist. Reichhaltige Quellen sind schon deshalb erforderlich, weil Küntzel einen mikrohistorischen Ansatz gewählt hat. Ihr geht es also nicht allein darum, den Grenzziehungen auf der normativen Ebene nachzuspüren, sondern sie anhand von Einzelfällen in der Kölner Praxis zu ermitteln.
Hier allerdings sind Bedenken anzumelden. So sinnvoll es ist, einen mikrohistorischen Ansatz zu wählen, so wenig scheint das gewählte Beispiel dafür geeignet zu sein. Eine Stadt von der Bedeutung, Größe und Einwohnerzahl Kölns entzieht sich einer mikrohistorischen Betrachtung trotz oder gerade aufgrund der zahlreichen verfügbaren Quellen. Hier eine dichte Beschreibung zu erreichen, ist schon aus praktischen Gründen so gut wie ausgeschlossen. Es wäre daher ratsam gewesen, auf den umfassenden Ansatz zu verzichten, und sich auf einen Teilbereich zu konzentrieren, der dann wesentlich genauer hätte beschrieben werden können.
Denn die aus den Quellen geschöpften Beispiele, die Küntzel immer wieder anführt, sind häufig angesichts der Dimension des Untersuchungsgegenstandes nichts anderes als anekdotenhaft eingestreute Begebenheiten, von denen unklar ist, inwieweit sie sich verallgemeinern lassen bzw. welchen Diskursen genau die Akteure verhaftet waren. Das liegt schon allein daran, dass sie häufig nur kurz angerissen werden können, nicht aber in der Tiefe ausgeleuchtet werden. Hier wird die Verfasserin Opfer ihres umfassenden Ansatzes, der es nicht zulässt, die einzelnen Beispiele und ihren jeweiligen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und religiösen Hintergrund ausführlich zu untersuchen.
Die Konzentration auf die Geschichte vor Ort lässt überdies für die reichsstädtische Zeit das Geschehen rings um Köln herum in den Hintergrund treten und das zum Schaden der Untersuchung. Denn auf diese Weise wird zwar deutlich, warum und wie die Kölner sich von Fremden abgrenzten, nicht aber, inwieweit sie dabei auf äußere Einflüsse und die Erfahrung des eigenen Ausgegrenztwerdens außerhalb Kölns reagierten. Gerade eine Stadt, deren Wirtschaftskraft zu einem guten Teil auf dem Handel beruhte, lässt sich nicht völlig autonom wie eine sich selbst genügende Insel beschreiben. Auch sollten die Einflüsse von Reich, Reichsgerichten und Reichskreis auf den Reichsstand Köln ebenfalls in die Betrachtung einbezogen werden, auch wenn diese sicher geringer waren als später die des französischen Staats. Letztere beschreibt Küntzel in aller Ausführlichkeit, denn nach der Besetzung durch französische Truppen 1794 wandelten sich die staatsrechtlichen Grundlagen des Fremdenstatus radikal vom Bürgerrecht einer Reichsstadt hin zum Staatsbürgertum eines großen Flächenstaats, an dessen Rande sich Köln nunmehr wiederfand.
Mit der Einführung der Militärdienstpflicht gewann die Frage, wer wo als Staatsbürger zu gelten hatte, ein neues Gewicht. Auch wer Besitz auf beiden Seiten der neuen, am Rhein verlaufenden Grenze sein Eigen nannte, musste sich um eine Klärung seiner Staatsangehörigkeit bemühen. Ein ganzes Bündel von Interessen sowohl auf der lokalen wie auf der zentralen Ebene kreuzte sich also hier und mit zahlreichen Änderungen der administrativen Praxis bemühte man sich auf beiden Ebenen, die in Paris gemachten Gesetze der Lebenswirklichkeit einer Grenzregion anzupassen. Hier erweist sich, dass Köln bzw. das Rheinland tatsächlich gut gewählte Beispiele für die Untersuchung der Exklusions- und Inklusionsmechanismen von Fremden in der französischen Zeit sind, denn hier war deutlich mehr Bedarf, diese Mechanismen ständig zu diskutieren, als im grenzfernen Frankreich.
Lässt man den Versuch außer Betracht, Köln mikrohistorisch zu untersuchen, und liest Küntzels Untersuchung stattdessen als eine Geschichte der Entwicklung des Staatsbürgerschaftsrechts in der französischen Zeit aus rheinischer Perspektive, so relativiert sich die Kritik. Denn die Arbeit bietet zweierlei: Zum einen eine verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Aufarbeitung des unübersichtlichen Staatsbürgerschaftsrechts der französischen Zeit in allen seinen Details, was keine leichte Aufgabe ist und sich für nachfolgende Studien von bleibendem Wert erweisen wird. Und zum anderen kann sie anhand zahlreicher aus den Quellen geschöpfter Beispiele ein weiteres Mal zeigen, dass die zunächst beschriebene normative Ebene keinesfalls mit der administrativen Realität verwechselt werden darf und dass auch in einem zentralistisch angelegten Staatswesen wie dem napoleonischen Frankreich die lokale Verwaltung durchaus Möglichkeiten hatte, ihre Interessen zu verfolgen.
Max Plassmann