Ralf Christofori: Bild - Modell - Wirklichkeit. Repräsentationsmodelle in der zeitgenössischen Fotografie, Heidelberg: Wunderhorn 2005, 304 S., 113 Abb., ISBN 978-3-88423-248-4, EUR 29,80
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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
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Die Fotografie scheint nach wie vor so etwas wie das Schreckgespenst einer Kunstgeschichtsschreibung zu sein, die nicht in einer (voraussichtlich kurzlebigen Mode der) "Mediengeschichte" aufgehen will. Künstlerische Fotografie ist populär, verunsichert aber zugleich durch eine gering ausgebildete historische Bilder-Kenntnis, da "Fotogeschichte" bis vor kurzem weitgehend auf eine Geschichte technischer Bildfindungen reduziert wurde. Parallel dazu kann auch das in mittlerweile vielen Kompendien versammelte Theorie-Angebot nur wenig zufrieden stellen, um diese neue alte Bildform als eine spezifisch Künstlerische begreifen zu können. Das belegt unfreiwillig auch die immer wieder bemühte Trias Benjamin - Barthes - Sontag, welche sich nicht primär mit Fotografie als Kunst beschäftigt.
Symptomatisch für dieses Defizit der Kunstgeschichte ist die Vorgehensweise von Ralf Christofori, dessen Fragestellung eine wirklich grundlegende Auseinandersetzung des Verhältnisses von Bild, Modell und Wirklichkeit aus einer systemtheoretisch inspirierten Perspektive verspricht. Seine 2003 verfasste und nun vorzüglich edierte Dissertation gliedert sich in drei Teile: Bereits in dem "Fotografische Bilder von Modellen" überschriebenen, ersten Kapitel wird die leitende Frage nach dem Verhältnis von künstlerischem Bild und Wirklichkeit am Beispiel der Ansätze der sieben ausgewählten Zeitgenossen Oliver Boberg, James Casebere, Thomas Demand, David Levinthal, Lois Renner, Laurie Simmons und Edwin Zwakman eingehend präzisiert. Es handelt sich hierbei um Künstler, die plastische Modelle von Wirklichkeit bauen, welche sie ihrerseits fotografieren und damit den naiven und im alltäglichen Umgang mit Fotos auch unumgänglichen Glauben an die Analogie von Bild und Wirklichkeit in Frage stellen. Insofern eignet sich der Blick auf diese Ansätze in der Tat perfekt, um auf einer zweifachen Ebene die Frage der Repräsentationsfunktion künstlerischer Fotografie zu diskutieren. Sehr anschaulich wird dies auch dank der immerhin 96 farbigen Abbildungen, die den Text begleiten und nicht in üblicher Form starr an das Buchende verdrängt sind.
Obwohl es sich allein mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, besitzt Christoforis Buch doch den unausgesprochenen Anspruch eines Grundlagenwerks im Umgang mit künstlerischer Fotografie. Ist die Problematisierung der Beziehung von Bild und Wirklichkeit in Bezug auf Malerei in der Kunstgeschichte bereits seit vielen Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit ("Ende der Abbildtheorie"), so gilt dies für die kunsthistorische Beschäftigung mit Fotografie keineswegs. Bezeichnenderweise wird der Unterschied zwischen Kunst und Amateurgebrauch der Fotografie selten systematisch berücksichtigt. An genau dieser Stelle setzen nun die Ansätze der von Christofori vorgestellten sieben Künstler ein, deren Auswahl darüber hinaus leider nicht diskutiert wird, obwohl sich qualitative Differenzen bei den Genannten schwer bestreiten lassen dürften.
Christofori führt überzeugend vor, wie das Thema der Repräsentationskrise seit Mitte der Siebzigerjahre ein Thema von Künstlern wird und diese durch fotografierte Modelle darauf reagieren. Seine Kronzeugen sind Casebere, der in Europa nahezu unbekannte Levinthal und Simmons. Etwa 15 Jahre später wird dieses künstlerische Interesse von einer jüngeren Generation wieder aufgegriffen, was Christofori an Boberg, Demand, Renner und Zwakman vorführt (54). Seine Ausführungen glänzen dabei durch eine Klarheit der Sprache, sodass die jeweilige Eigenart der Ansätze nachvollziehbar wird.
An diese erste Übersicht schließt Christofori ein langes Kapitel an (83-171), in dem er seine auf die zeitgenössische Kunst fokussierte Fragestellung auf eine allgemeine theoretische Diskussion des Wirklichkeits-Begriffs der Fotografie überträgt. Am Beispiel von Mc Luhan, Flusser, Baudrillard, Barthes und anderen führt er in einem souverän vorgetragenen Überblick die weitgehende Unfruchtbarkeit einer vielfach ontologisch dimensionierten Theorietradition vor. Dagegen kann er die Kunst selbst ins Felde führen, welche "den Akt des Repräsentieren als offenen Prozess" (15) bzw. als ein weit "verzweigte[s] Repräsentationssystem" (176) offenbart. Vielleicht ist es etwas mühsam für diese Erkenntnis eine so ausführliche Diskussion der Fototheorie nachzuvollziehen, bevor Christofori im dritten Kapitel zu einer erneuten, fast schon monografischen Betrachtung seiner ausgewählten Künstler zurückkehrt (173 ff.). Immerhin beeindruckt Christoforis ausführliche Kenntnis der relevanten Literatur, die kaum eine Lücke aufweist. [1]
Bei alledem bleibt dennoch ein kunsthistorisches Defizit seiner analytisch überzeugenden Ausführungen anzumerken. Christoforis Betrachtung der künstlerischen Emanzipation und deren Institutionalisierung beschränkt sich allein auf die amerikanische Situation (148 f.). Die Frage, warum alle vier von ihm angeführten europäischen Künstler vielleicht nicht einmal zufällig erst mit einer 15-jährigen Verspätung gegenüber ihren amerikanischen Kollegen die Abbildkritik qua Modell aufgreifen, stellt sich ihm deshalb erst gar nicht. Damit hätte er aber die jeweiligen Unterschiede der künstlerischen Positionen deutlicher unterscheiden können. Verlangt Christofori zu Recht: "Die Frage nach der Spezifik fotografischer Repräsentation hat die unterschiedlichen Kontexte zu berücksichtigen" (147), verschenkt er selbst die Möglichkeit, eine historisch unterschiedlich verlaufende Bildgeschichte zwischen den Kontinenten näher in den Blick zu nehmen. [2]
Christoforis Buch setzt auf einer systematischen Ebene zweifellos einen Maßstab für fototheoretische Reflektionen. Es bleibt die Aufgabe zukünftiger Untersuchungen die kunsthistorische Dimension dieser theoretischen Einsichten, welche die Kunst bereits vollzogen hat, stärker herauszuarbeiten und in ein Verhältnis zu anderen Phänomenen einer so genannten "Bildgeschichte" der Kunst zu setzen.
Anmerkungen:
[1] Hinzuweisen ist lediglich auf: Small World: Dioramas in Contemporary Art, (Ausst.-Kat.) Museum of Contemporary Art San Diego 2000.
[2] Vgl. dazu vom Verfasser: Die Abbildlichkeit des Bildes. Die mediale Reflexion der Fotografie bei Gerhard Richter und Jeff Wall, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 47, 2002, 37-72; ders.: Alternative Pictures: Conceptual Art and the Artistic Emancipation of Photography in Europe, in: Douglas Fogle (Hrsg.): The Last Picture Show: Artists using photography 1960 - 1982, (Ausst.-Kat.) Walker Art Center, Minneapolis 2003, 86-96.
Stefan Gronert