Ralf Mennekes: Die Renaissance der deutschen Renaissance (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte; 27), Petersberg: Michael Imhof Verlag 2005, 622 S., ISBN 978-3-937251-67-7, EUR 69,95
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Das Wiederaufgreifen von Renaissanceformen in Deutschland in der Mitte und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ein Phänomen, mit dem sich die Forschung erst in den letzten Jahren häufiger auseinander gesetzt hat. Kurt Milde gab 1981 gewissermaßen den Startschuss [1], aber es dürfte erst die Ausstellung des Weserrenaissancemuseums Schloss Brake 1992 [2] gewesen sein, die dem Thema zu breiterer Beachtung verhalf und wohl auch Pate für die Titelgebung dieser Dissertation stand. Diese Anlehnung wirkt mit dem Buchtitel "Renaissance der deutschen Renaissance" sehr plausibel und ist nach wie vor eine gute Wortspielerei. Der im weiteren Text von Mennekes verwendete Begriff "Deutschrenaissance" erinnert den Rezensenten allerdings eher an die deutsche Kolonialgeschichte. Unbefriedigend bleibt diese Begriffswahl auch, weil sie nur kurz von einer "Neurenaissance" abgesetzt wird, die dem Vorbild der italienischen Renaissance folge (8); dies ist aber eine Wortschöpfung, die ohne weitere Differenzierung oder Begründung bleibt.
Trotz der beiden ausführlichen Buchtitel kann das Thema der Neorenaissance als in vielen Bereichen unerforscht gelten. Viele grundlegende Beispiele für die Entwicklung dieses historistischen Stils sind noch nicht wieder ins Bewusstsein des Faches gelangt, so etwa die mit Neorenaissanceformen versehene Kapelle von Schloss Schwöbber nahe Hameln von 1840 (!), die allerdings offenbar auch Mennekes unbekannt geblieben ist. Es handelt sich um eines der frühesten Beispiele für das Aufgreifen regionaler Renaissanceformen, rund ein Jahrzehnt, bevor der Stil mit dem Schloss Schwerin einen ersten "Höhepunkt" erfährt. Doch Schwerin erscheint dem Verfasser offenbar den Formen nach nicht "deutsch" genug - tatsächlich haben französische Vorbilder dort eine größere Rolle gespielt, und so erfährt dieser Schlüsselbau nur eine marginale Erwähnung.
Die Hauptgliederung des Buches ist konsequent in die Abschnitte "Geschichte", "Stil" und "Bedeutung" aufgeteilt. Allerdings grenzt der Autor nur wenig zu anderen Neo-Stilen, vor allem zu anderen Fassetten der Neorenaissance ab, sodass seine Stil-Diskussion weitgehend immanent bleibt. Da sich der Autor auf Deutschland beschränkt, fehlen viele Vergleichsmöglichkeiten, die für die Diskussion von Stil und Bedeutung wichtig wären. Warum beispielsweise gibt es in Belgien ebenfalls eine regional orientierte Neorenaissance? Wie verhält sich die Neorenaissance in Deutschland (also nach 1871) zu der in Österreich bzw. zu der in Tirol? Wo liegt der Unterschied zwischen einer lokalen Neo-Weserrenaissance in Hameln und einer lokalen Neorenaissance in Innsbruck?
Derartige Fragen finden leider keine Berücksichtigung, auch wenn in einem Unterkapitel zum Abschnitt Stil (VI. Das Gebäude, 3. Symmetrie und Funktionsmarkierung, a) Monumentalästhetik) kurz Rudolf Wittkower, Claude Perrault und die französische Neorenaissance erwähnt werden. So wie an dieser Stelle, wirken insgesamt die untergeordneten Kapitel gleichmäßig verteilt, wobei nicht immer ersichtlich ist, aus welchem Grund der Autor an einer bestimmten Stelle einen Gedanken darlegt, obwohl dies häufig dem übergeordneten Kapitel widerspricht. Zudem holt der Autor bei Stichworten, die ihm während seiner Arbeit begegnet sind, immer wieder zu Erläuterungen aus, selbst wenn dies mit dem Thema wenig zu tun hat. Mennekes' Werk ist grundsätzlich außerordentlich inhaltsreich und umfasst unterschiedlichste Aspekte der Neo-Renaissance im 19. Jahrhundert.
Im ersten Teil "Geschichte" lautet das 1. Unterkapitel "Die Anfänge ... im Kunstgewerbe". Doch Mennekes beschreibt nun nicht die Anfänge der "deutschen" Neorenaissance, sondern zuerst die Münchner Kunstgewerbeausstellung von 1876, beginnt also "mittendrin". Eine Erklärung für diese Entscheidung gibt er nicht. Zudem fehlen für sämtliche Kapitel und Unterkapitel Zusammenfassungen, oft auch die einleitenden Fragestellungen, was dem Leser die Orientierung und das Nachvollziehen der Ausführungen erschwert. Einige Unterkapitel weiter landet der Autor dann, obwohl immer noch im Kapitel "Kunstgewerbe" bei den Architekten Hubert Stier und August Ortwein. Ähnliche Abschweifungen gibt es erneut auch an anderer Stelle, etwa wenn Mennekes, immer noch unter den "Anfängen im Kunstgewerbe", über den Architekturhistoriker Wilhelm Lübke und weitere Kunsthistoriker schreibt und diesem Abschnitt eine Zwischenüberschrift "Propagandisten der Deutschrenaissance" (39) gibt. Zwar stimmt es, dass sich die Entwicklung von Architektur und Kunsthandwerk sowie Kunstgeschichte und Kunstkritik in dieser Epoche in Bezug auf die Neorenaissance schwer trennen lassen, doch dann sollte man auch die Gliederung des Buches dieser grundlegenden Erkenntnis anpassen.
Leider setzen sich entsprechende Beispiele über das gesamte Buch fort. Die Mehrzahl der Kapitel und Unterkapitel erscheint in ihrer Abfolge unmotiviert. Der Grund dafür mag in der Art und Weise liegen, wie Mennekes offenbar zu seiner Kenntnis der Bauten und Kunstwerke der Neorenaissance gekommen ist. Die Abbildungen stammen durchweg aus anderen Veröffentlichungen, überwiegend solchen des 19. Jahrhunderts, bisweilen auch neueren, welche den Eindruck entstehen lassen, dass der Autor selbst die Renaissance der Renaissance nur aus Büchern kennt und seinen Studienort Tübingen gar nicht verlassen hat.
Diese Methode des Autors der Erkenntnis aus Sekundärquellen sorgt dafür, dass mit Neuentdeckungen nicht zu rechnen ist. Offensichtlich hat er weder für das Thema "Kunsthandwerk" in Museen recherchiert, noch nach Architekturbeispielen vor Ort gesucht und entsprechende Bauuntersuchungen unternommen.
Insgesamt erscheint die Arbeit eher als Kompilation bisheriger Veröffentlichungen in der Art einer allerdings sehr umfangreichen Magisterarbeit denn als einer eigenen Forschungsleistung, zumal, wenn der Autor schreibt, die Forschungslage sei im Hinblick auf die "Anwendung der Deutschrenaissance im Schlossbau" noch recht lückenhaft (129). Dementsprechend bewertet er die Architektur zumeist anhand von veröffentlichten Darstellungen der Bauzeit und damit häufig ohne den baulichen Kontext, zu dem eine Recherche vor Ort erforderlich gewesen wäre. Angesichts dieser Methode wundert es nicht, dass etwa das Haus Puricelli in Lieser an der Mosel (1885-87) sogar im Synthese-Kapitel einen eigenen Abschnitt erfährt, der seiner kunsthistorischen Bedeutung in keiner Weise entspricht, handelte es sich im 19. Jahrhundert doch um einen Bau unter Hunderten. Doch hat jüngst Klaus Freckmann diesem Anwesen eine ausführliche Behandlung gewidmet [3], was die Aufmerksamkeit Mennekes auf dieses Anwesen gelenkt haben dürfte. All jene Bauten, die in den historistischen Architektur-Publikationen ausgespart und von der heutigen Forschung noch nicht entdeckt wurden, sind auch dem Verfasser verborgen geblieben.
So materialreich die Veröffentlichung dank der Auswertung zeitgenössischer Publikationen auch ist, - ohne dass diese Veröffentlichungen selbst thematisiert oder die Auswahlkriterien erläutert werden - , so mangelhaft ist die wissenschaftliche Leistung. Selbst grundlegende Selbstverständlichkeiten einer wissenschaftlichen Arbeit blieben unberücksichtigt. Nicht nur fehlen den Kapiteln Zusammenfassungen, auch das kurze Kapitel "Schluss" wird den Aufgaben einer Zusammenfassung nicht gerecht. Eine stringente Struktur fehlt, selbst die genauen Fragestellungen bleiben unklar. Der Versuch, den Historismus unter den musikwissenschaftlichen Begriff des "Chromatismus" (richtig: Chromatik!) zu fassen, ist weit hergeholt und ohne Aussagewert für den Gegenstand. Als Dissertation ist die vorliegende Arbeit weit überbewertet.
Anmerkungen:
[1] Kurt Milde: Neorenaissance in der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts. Dresden 1981.
[2] Renaissance der Renaissance. Ein bürgerlicher Kunststil im 19. Jahrhundert. 3 Bände. Ausst.-Kat. Weserrenaissance-Museum Schloss Brake, Aufsätze, Nachtrag. Hrsg. v. G. Ulrich Großmann u. Petra Krutisch (=Schriften des Weserrenaissance-Museum Band 5, 6, 8), München/Berlin 1992, 1995.
[3] Klaus Freckmann (Hrsg.): Die Unternehmerfamilie Puricelli. Wirtschafts-, sozialhistorische und kulturelle Aspekte. Bad Sobernheim 1997.
G. Ulrich Großmann