Barbara Schock-Werner: Die Bauten im Fürstbistum Würzburg unter Julius Echter von Mespelbrunn 1573-1671. Struktur, Organisation, Finanzierung und künstlerische Bewertung, Regensburg: Schnell & Steiner 2005, 467 S., ISBN 978-3-7954-1623-2, EUR 99,00
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Spätestens Hermann Hipp machte 1979 das Thema "Nachgotik" für die neuere Kunstgeschichte in Deutschland geläufig und die Bauten des Würzburger Bischofs Julius Echter von Mespelbrunn nehmen in dieser Stilphase einen festen Platz ein. Allein eine gründliche Untersuchung der von ihm initiierten Bauten fehlte bislang. Diese Lücke schließt nun Barbara Schock-Werner mit ihrer Würzburger Habilitationsschrift.
Das Werk beginnt mit einer Darstellung der Grundlagen (21-33), nämlich einem soliden Überblick zur Forschungsgeschichte, einer kurzen Vita des Fürstbischofs und einer Erläuterung seiner Visitationen der Pfarrgemeinden. Anschließend stellt die Autorin die Bautypen und Bauteile vor (34-90), hebt die Bauinschriften hervor - es handelt sich vielfach um Baugedichte (91-99) - und erklärt die Organisation und Durchführung der Bauunternehmungen (160-200). Bei den einzeln erläuterten Bauteilen handelt es sich vor allem um Fenster und Portale, Gewölbe und Kassettendecken, Giebelformen und Ausmalung, schließlich um Kanzeln, Taufsteine und Sakramentsnischen. Zu den ausführlich behandelten Quellen zählen die Rechnungsbücher zu rund 20 der Bauvorgänge vom Pfarrhaus in Mittelstreu bis zur Einwölbung des Würzburger Domes. Ein besonderes Kapitel widmet sich der Dettelbacher Marienkirche (100-159), die offenbar der Ausgangspunkt der Forschungsarbeit war. Den Anforderungen an eine Habilitationsschrift kommt die Autorin durch die beispielhafte Gründlichkeit nach, mit der sie die unter Julius Echter entstandenen Bauten in einem ausführlichen Katalog einzeln behandelt, sowie in einem kunsthistorisch angelegten, jedoch stark auf Archivquellen aufbauenden Text gewissermaßen seziert.
Der Katalog (217-356) stellt die unter Julius Echter entstandenen Bauten in ausführlichen Beschreibungen vor. Er ist weitgehend nach Funktionen, teils nach Bauformen gegliedert: Pfarrkirchen, Kirchen mit Langhausgewölben, Klöster, Spitäler mit ihren jeweiligen Kirchen, Schlossbauten, Amtshäuser, Rathäuser, Pfarrhäuser, Schulhäuser, Ortsbefestigungen, protestantische Kirchen der Region; auf letztere bezieht sich ein kurzer Abschnitt der Zusammenfassung. Die Beschreibungen nennen Lage und Bauform und behandeln Details entsprechend den oben genannten. Kapiteln, Inschriften werden zitiert, Steinmetzzeichen erwähnt (leider aber nicht abgebildet) und die Quellen angeführt. Vereinzelt ergänzen Grundrisse den Katalog.
Ein eigenes Kapitel ist dem Dettelbacher Manual gewidmet ("Memoriall"), das den gesamten Bauvorgang in Dettelbach minuziös schildert und daher als vollständige Transkription in das Buch aufgenommen worden ist (360-448). Es schildert den Baufortschritt samt den Baukosten in wöchentlichen Berichten. Angeschlossen ist noch ein kurzer Katalog der Baugedichte aller mit entsprechenden Inschriften versehenen Bauten von Julius Echter (449-456).
Bedauerlich ist angesichts der auf verschiedene Stellen verteilten Beschreibungen und Erläuterungen das Fehlen eines Index. Zwar ist der Katalog so übersichtlich, dass man die dort behandelten Bauten mit wenig Aufwand finden wird, doch viele Angaben zu einzelnen Orten und insbesondere alle Hinweise zu Künstlern muss man äußerst mühsam suchen.
Leider ist der Abschnitt "Ergebnisse und Vergleiche" trotz der zuvor umfangreich dargestellten Fakten und Quellen etwas knapp ausgefallen. Zwar stellt Barbara Schock-Werner die Rolle der fürstbischöflichen Kammer anhand der Archivquellen dar, vergleicht den Kirchenbau mit den protestantischen Kirchen Unterfrankens und bemüht sich um eine kunsthistorische Wertung, doch hätte das breite, von ihr dargelegte Material weitaus mehr ermöglicht. Vor allem beschäftigt sie sich mit dem Stil der Bauten und Bauausstattungen von Julius Echter. Interessanterweise hebt sie hier die Ähnlichkeit zu Vorlagenwerken von Vredeman de Vries hervor, die in der Tat bei etlichen Giebelaufsätzen und Rahmungen von Portalen und Inschriftsteinen nachzuvollziehen ist; gleichzeitig weist sie Beziehungen zu C. Floris - zurecht - zurück. Merkwürdigerweise bleiben die starken Bezüge zum Klassiker der italienischen Renaissance, Sebastiano Serlio, unerwähnt, obwohl zahlreiche Portale, vor allem aber die meisten mit Kassetten statt mit Rippen versehenen Decken, auf ihn zurückgehen, vermutlich sogar die Langhausarkaden der Würzburger Universitätskirche. Es mag Zufall sein, dass Serlio in seinen Libri neben dem Kolosseum in Rom, dessen Gliederung sich in der Würzburger Universitätskirche wiederholt, auch den Grundriss der dortigen Petersbasilika abbildet, eine positive Darstellung Roms ist Julius Echter mit Sicherheit aufgefallen. Auch das Schwergewicht von Kirchen-, Schul- und Verwaltungsbauten lohnt noch eine interpretierende Zusammenfassung, verzichtete Julius Echter doch offenkundig im Gegensatz zu seinem Mainzer Kollegen auf die Errichtung aufwändiger Schlossbauten - die stilistischen Unterschiede zwischen Würzburg und Aschaffenburg deutet die Autorin an -, obwohl er als Landesherr auf diese Bauten sehr wohl erhebliches Gewicht hätte legen können.
Auch der Hinweis auf die "Baupolitik" des Fürstbischofs als zweite Zusammenfassung im Anschluss an den Katalog (457f.) wirkt mehr als Aufforderung an die künftige Forschung, denn als Darstellung des bislang Erreichten. Als Beleg einer fürstbischöflichen Baupolitik wertet die Autorin den Umstand, dass der Bischof an der Planung zahlreicher Bauten persönlich beteiligt war, den Baufortschritt kontrollierte und Baumaßnahmen anregte. Nach Schock-Werner müssen zwei Aspekte offen bleiben, nämlich der, ob Julius Echter einen "unterfränkischen Nationalstil" habe schaffen wollen und ob er mit seiner Baupolitik eine bewusste Wirtschaftspolitik betrieben habe. Meines Erachtens mag man die erste Frage der fränkischen Lokalforschung überlassen und die zweite den Wirtschaftshistorikern, viel grundlegender ist die nach der Baupolitik schlechthin. Eine Diskussion dieses spätestens in den 1970er-Jahren in die Fachdiskussion eingeführten Begriffs kann und will die Autorin aber in der kurzen Zusammenfassung nicht leisten. Wie viel Glatteis dieses Thema mit sich bringt, hat jüngst die Publikation von Matthias Müller gezeigt. [1] Doch während dort ohne ausreichende Quellenbasis über die Baupolitik spekuliert wurde, verfügt Schock-Werner über die Quellenbasis und liefert einen glänzenden Einstieg in eine Diskussion über dieses Thema, vielleicht sogar eines der wenigen Beispiele, bei denen sich eine Baupolitik wirklich nachvollziehen lässt.
Die umfangreiche Bestandserfassung ist somit eine Grundlagenarbeit, die für künftige Forschungen hervorragend zu nutzen sein wird. Beispielhaft ist vor allem auch die Verknüpfung der Baubeschreibung mit den schriftlichen Quellen. Dies gilt auch für den Bildteil, der durch seine durchgängig gute Qualität überzeugt.
Anmerkung:
[1] Matthias Müller: Das Schloss als Bild des Fürsten, Göttingen 2004. Vgl. hierzu die Rezension von Heiko Laß, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 11; URL: http://www.sehepunkte.de/2005/11/7978.html. Siehe dagegen auch: Anja Grebe / G. Ulrich Großmann: Matthias Müller: Das Schloß als Bild des Fürsten, in: Kunstchronik 2006, Heft 11, 566-572.
G. Ulrich Großmann