Rezension über:

Nigel James Nicholson: Aristocracy and Athletics in Archaic and Classical Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2005, xiv + 280 S., 12 ill., ISBN 978-0-521-84522-9, GBP 45,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Karl-Wilhelm Welwei
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: Nigel James Nicholson: Aristocracy and Athletics in Archaic and Classical Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/07/9258.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Nigel James Nicholson: Aristocracy and Athletics in Archaic and Classical Greece

Textgröße: A A A

Die Sieger in den gymnischen Agonen der panhellenischen Feste wurden überschwänglich gefeiert, während die Trainer und Helfer, die vielfach ihre Erfolge erst ermöglichten, gleichsam aus dem Blick gerieten. Eine andere Situation ergab sich bei der Glorifizierung der Sieger in den hippischen Wettkämpfen. Die Jockeis waren aus physischen Gründen vielfach nicht die Besitzer der Tiere, sondern junge Männer, und für Wagenrennen wurden seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. in der Regel professionelle Lenker eingesetzt, weil Perfektion in der Beherrschung der Gespanne gefordert war, wenn Siege errungen werden sollten. Deutlichere Konturen gewinnt die Professionalisierung der Akteure in den hippischen Agonen in der spätarchaischen Zeit und in der frühen Klassik. Die skizzierten Problemfelder stehen selbstverständlich in einem engen Zusammenhang, den Nicholson unter dem Aspekt ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen untersucht. Sein methodischer Zugriff besteht in einer Analyse der Formen der Verherrlichung der Sieger in den Agonen. Dementsprechend basieren seine Ausführungen auf der Interpretation einer Reihe von Epinikien und Denkmälern aus den genannten Epochen.

Die geringe Beachtung, die Trainer, Jockeis und Wagenlenker in den Ehrungen fanden, führt Nicholson letztlich auf die so genannte griechische Adelsethik zurück, deren Werte auch im Wandel der Zeiten und unter neuen Voraussetzungen für sportliche Erfolge ihre Faszination nicht verloren. Für Pindar (Olympien 1,97-99) vermag der Sieger im athletischen Wettkampf bis zu seinem Tod das Glück des Erfolges zu genießen. Zweifellos stärkte der im Agon gewonnene Ruhm das soziale Prestige des Siegers, der im Wettkampf das überkommene Adelsideal erfüllte, "der Beste zu sein und hervorragend vor allen anderen" (Homer, Ilias 6,208; 11,784). Die Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit erforderte aber zunehmend professionelles Training für die Agone. Dies soll nach Nicholson den alten aristokratischen Grundsatz infrage gestellt haben, dass Leistungen und Erfolge weitgehend auf ererbten Fähigkeiten beruhen. Professionelle Wagenlenker seien zudem für 'Aristokraten' gleichsam ideologisch ein Problem geworden, weil sie nicht mehr zum Gesinde gehört und unter strikter Kontrolle der Besitzer der Gespanne gestanden hätten beziehungsweise nicht mehr wie früher die Freunde oder Verwandten der großen Gutsherren in die alte Praxis des Gabentausches eingebunden gewesen seien. Die 'Aristokraten' hätten aber weiterhin nicht nur die Agone dominiert, sondern auch die Glorifizierung der erfolgreichen Athleten und die Darstellung der Sieger auf den Monumenten entscheidend beeinflusst. Infolgedessen seien die Leistungen der Trainer, Jockeis und Wagenlenker generell in spätarchaischer und frühklassischer Zeit weitgehend übergangen worden, wenn es auch Ausnahmen gegeben habe.

Nicholson versichert freilich, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, den nicht zur 'Elite' zählenden 'Profis' größere Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er habe vielmehr zeigen wollen, wie die 'Aristokraten' in spätarchaischer und frühklassischer Zeit auf die wachsende Feindschaft gegen "die Idee der Aristokratie" reagiert hätten, um ihre Identität zu wahren und ihre Privilegien in einer demografisch wachsenden bürgerlichen Gesellschaft zu erhalten.

Nicholsons Interpretationen enthalten zweifellos eine Reihe von treffenden Beobachtungen und Bemerkungen. Andererseits ist seine Argumentation allzu pointiert auf einen kontinuierlichen Gegensatz zwischen 'Elite' und 'breiter Masse' fixiert. Die Brüskierung Hierons I. durch Themistokles 476 v. Chr. mag eine literarische Erfindung sein (Plutarch, Themistokles 25,1), doch lässt sich beispielsweise die rhetorische Attacke des Lysias gegen Dionysios I. von Syrakus und dessen Olympiateam 388 v. Chr. (Diodor 14,109,3-4) schwerlich mit dem Erklärungsmodell Nicholsons begründen. Lysias' Provokation des Tyrannen geschah zwar nicht in dem von Nicholson untersuchten Zeitraum, sollte aber als Warnung vor unzulässiger Pauschalierung dienen. Die Verhältnisse waren nicht überall gleich, und die Entwicklung der Polisordnungen und ihrer Institutionen boten den traditionell dominierenden Schichten auch neue Chancen in Bürgergesellschaften, die nach wie vor erfahrene Führungskräfte benötigten. So boten sich nicht nur 'Aufsteigern', sondern selbstverständlich auch Politen, die aus traditionsreichen Familien stammten, vielfache Möglichkeiten, durch loyale Ausübung der ihnen übertragenen Funktionen in den Polisorganen allgemeine Anerkennung zu finden. Ein Sieg in einem gymnischen oder hippischen Agon war natürlich keine conditio sine qua non für Ruhm und Ansehen.

Karl-Wilhelm Welwei