Michael Winter / Amalia Levanoni (eds.): The Mamluks in Egyptian and Syrian Politics and Society (= The Medieval Mediterranean; Vol. 51), Leiden / Boston: Brill 2004, xxii + 450 S., 12 fig., ISBN 978-90-04-13286-3, EUR 140,00
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Dieser reichhaltige Sammelband ist das Produkt einer Konferenz von Mamluken-Historikern, die 2000 in Tel Aviv und Haifa stattfand. Er fasst thematisch unterschiedliche Artikel zusammen, die sich auf Ägypten und das geographische Syrien zwischen 1250 und 1800 beziehen. Die 19 recht disparaten, aber ausnahmslos lesenswerten Einzelbeiträge wurden nach unterschiedlichen Kriterien in acht Kapitel eingeordnet. Die Themenvielfalt umfasst Politik- und Sozialgeschichte ebenso wie Handschriftenkunde, Numismatik oder Baukunst und Wohnkultur.
Viele Beiträge zeigen, dass eine in der Mamlukenkunde nicht seltene deskriptive Tendenz durch die Kombination verschiedener Quellenarten oder Perspektiven überwunden werden kann. Aus Platzgründen werden im Folgenden hauptsächlich Beiträge vorgestellt, die eine solche Verbindung von Quellen oder Sichtweisen verwenden. Damit muss ungerechterweise eine Reihe von ausgezeichneten Beiträgen ausgelassen werden, die auf eine solche Kombination zum Teil aus guten Gründen verzichten.
Mehrere Aufsätze behandeln das Mamluken-Phänomen als politischen Faktor. Amalia Levanoni untersucht in einem ausführlich dokumentierten Beitrag das komplexe Problem der mamlukischen Machtkämpfe. In der Tscherkessenzeit (1382-1517) veränderten sich die Modalitäten der politischen Auseinandersetzung beträchtlich. Wichtige Änderungen bestanden etwa darin, dass der Thronname (laqab) des jeweiligen Sultans zu einem Parteisymbol wurde und dass das späte Mamlukenreich zu einer Art Zweiparteiensystem tendierte, das den politischen Ausgleich erleichterte.
Thomas Philipp befasst sich mit dem Mamlukenhaushalt von Ahmad Pascha al-Jazzar in Akkon. Er stellt die Frage, warum das Mamlukentum zum letzten Mal ausgerechnet dort auftrat und warum dies für Ahmad Pascha vorteilhaft war. Eine Kombination von sozialen und ökonomischen Faktoren erklärt den (vorübergehenden) Erfolg dieser politisch-militärischen Organisationsform im Kontext Palästinas um 1800.
Die soziokulturellen Eigenschaften des Mamlukentums im 18. Jahrhundert sind auch das Thema des Beitrags von Daniel Crecelius über die Position von ´Abd ar-Rahman Ketkhuda. Anders als bisweilen behauptet, habe ´Abd ar-Rahman die Führung seines Mamlukenhaushalts nicht aus mangelndem Interesse verloren. Vielmehr habe er sich nicht halten können, weil der Haushalt einen Freigeborenen nicht als Führer akzeptiert habe. Zur Überprüfung dieser These wäre es notwendig, ´Abd ar-Rahmans Lage mit ähnlichen Positionen in mamlukischen Gesellschaften auf breiterer Quellenbasis zu vergleichen.
Der sehr erhellende Beitrag von Jane Hathaway beschreibt, wie Mamluken und Militärs des 17.-18. Jahrhunderts das alte Mamlukenreich des 13.-16. Jahrhunderts als erfundene Tradition imaginierten. Hathaway setzt Werke der "Volksliteratur" in Beziehung zu ikonographischen und anderen Quellen und zum gesamtosmanischen Kontext. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Mamluken-Nostalgie in Ägypten Parallelen zur Situation in anderen osmanischen Provinzen aufweist. Damit sei sie nicht als Ausdruck von Unabhängigkeitsstreben, sondern als Sinngebung innerhalb des osmanisch-ägyptischen Rahmens zu deuten.
Besondere Aufmerksamkeit gilt den relativ seltenen archivalischen Quellen aus der Zeit des Mamlukenreiches (1260-1517). Donald Richards' "Einblicke" in die Provinzgesellschaft anhand von Dokumenten des Jerusalemer Heiligtums (Haram) zeigen, dass die soziale Praxis sich von der Darstellung erzählender Quellen stark unterscheiden konnte. Die beigefügte Abbildung und Transkription der zitierten Quellen vermittelt einen Eindruck von den Schwierigkeiten der Entzifferung. Die zahlreichen Personen und Sachen hätten allerdings durch eine zusätzliche Übersicht besser nachvollziehbar gemacht werden können.
Michael Winters Studie über islamrechtliche Stiftungen zeigt die Bedeutung von Waqf-Verwaltungsdokumenten für die Sozialgeschichte des spätmamlukischen Damaskus. Zugleich verweist sie darauf, dass die "Mamlukologie" die Nachbarfächer im Blick haben sollte. Anhand eines osmanischen Grundbuchregisters von etwa 1543 studiert Winter die soziale Verortung der Stifter und ihrer Nachkommen. Er weist nach, dass sich in der Region Damaskus Familien mamlukischer Herkunft als lokale Aristokratie etablierten und (mitsamt ihren Stiftungen) zu einem guten Teil in der Osmanenzeit fortbestanden.
Der Aufsatz von Andreé Raymond behandelt die Nachlässe ägyptischer Militärangehöriger Ende des 17. Jahrhunderts. Er schließt überzeugend aus den Befunden, dass sich die Abstufung zwischen Beys, Offizieren und Kaufleuten ökonomisch nachvollziehen lässt, dagegen zwischen Ketkhudas und Aghas keine signifikanten Unterschiede bestanden. Außerdem wendet er sich gegen die These, der Aufstieg eines Ocak-Chefs zum Bey sei eine "Wegbeförderung" gewesen. Durch die Kombination mit Informationen über die Wohnorte stellt Raymond zudem eine räumliche Segregation der Reichsten dar.
Abschließend seien drei gelungene Beispiele für die Kombination von Quellen oder Perspektiven genannt. Der Beitrag von Yossef Rapoport widmet sich dem bedeutenden Gelehrten Ibn Taymiyya (1263-1328). Dieser wurde aus drei Gründen verurteilt, von denen meist nur die beiden theologischen Gründe Beachtung fanden. Der dritte, rein rechtliche Grund war Ibn Taymiyyas Ablehnung von Eiden mit Scheidungsfolge. Ausgehend von diesem Rechtsproblem bettet Rapoport Ibn Taymiyyas Argumente in die soziale Realität der Zeit ein, berücksichtigt aber auch Aspekte der Geschlechterverhältnisse und Folgen für die Jurisprudenz. Die gelungene Verbindung von Rechtstheorie und Kulturgeschichte führt zu interessanten neuen Erkenntnissen.
Jonathan Berkey befasst sich anhand von normativen und annalistischen/biographischen Quellen mit dem Amt des Muhtasib, dessen Kompetenzen und Position in der Forschung umstritten sind. Mehr als die Herkunft des Amtes interessiert Berkey, was sich über die tatsächlich ausgeübten Funktionen und Möglichkeiten des Muhtasibs herausfinden lässt. So kommt er zu dem Schluss, dass das Amt bis um 1400 mit islamischen Gelehrten ('ulama'), später aber mit Angehörigen der Militäroligarchie oder ihnen nahestehenden Personen besetzt wurde. Der Muhtasib wandelte sich gewissermaßen vom ethisch-religiösen Sittenwächter zum politisch-administrativen Vollzugsbeamten.
Der Beitrag von Robert Irwin vertritt überzeugend die Auffassung, dass die Mamluken keineswegs Feuerwaffen ablehnten und deshalb 1516/17 der osmanischen Feuerkraft zum Opfer fielen, sondern dass sie geradezu übertrieben begeistert von dieser neuen, noch recht unvollkommenen Technik waren. Allerdings neigen die vorherrschenden, von 'ulama' verfassten Chroniken dazu, die Entwicklungen der Waffentechnik zu ignorieren, so dass in diesem Fall andere Quellen wie westliche Beobachter oder der Bericht des Ibn Aja; gewinnbringend herangezogen werden müssen.
Leider haben sich gelegentlich Druckfehler und falsch umgerechnete Jahreszahlen eingeschlichen - unnötige Mängel in einem insgesamt gelungenen Sammelband.
Die Mamlukenforschung wird von den herausragenden Aufsätzen dieses Bandes profitieren. Die thematische Vielfalt der Beiträge ist beeindruckend, hätte aber durch einen erneuten Austausch der Autoren vor der Drucklegung vielleicht noch fruchtbarer gemacht werden können. Aber die vielen brillanten Beiträge geben für sich genommen dem Band einen hohen fachlichen Wert.
Anmerkung der Redaktion:
Für eine komplette Darstellung der arabischen Umschrift empfiehlt es sich, unter folgendem Link die Schriftart 'Basker Trans' herunterzuladen: http://www.orientalische-kunstgeschichte.de/orientkugesch/artikel/2004/
reichmuth-trans/reichmuth-tastatur-trans-installation.php
Henning Sievert