Johanna Sänger: Heldenkult und Heimatliebe. Strassen- und Ehrennamen im offiziellen Gedächtnis der DDR (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft), Berlin: Ch. Links Verlag 2006, 256 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-3-86153-398-6, EUR 19,90
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Politische Systemwechsel bedingen stets Neumarkierungen des öffentlich-urbanen Raums. Umbenennungen von Straßen und die Schleifung von Denkmälern signalisieren den Sturz des "Alten" und die Repräsentationskultur der jeweils neuen Herrschaft. In ihrer an der Friedrich-Schiller-Universität Jena entstandenen Dissertation untersucht Johanna Sänger erstmals die Umbenennungspraxis in der DDR und in den neuen Bundesländern im Zeitraum von 1945 bis 1995 schwerpunktmäßig am Beispiel von Berlin und Jena. Damit bezieht die Arbeit nicht nur die Umbenennungspraxis unmittelbar nach den Systemwechseln, sondern auch den alltäglichen Umgang mit öffentlichen Benennungen in der DDR mit ein.
Nach einem Forschungsüberblick über die Untersuchung von Straßennamen, die lange Zeit der Onomastik vorbehalten war, betrachtet Sänger Straßen- und Ehrennamen aus einer kultur- und politikgeschichtlichen Perspektive. Dabei betont sie zu Recht das Spannungsverhältnis zwischen ihrer Bedeutung als Herrschaftsrepräsentationen auf der einen Seite und als Medien für räumliche und kulturelle Orientierung sowie für das kommunikative Gedächtnis der Menschen im Alltag auf der anderen Seite. Außerdem möchte sie die Konflikte berücksichtigen, die sich zwischen den Städten als Gesamtakteuren und der nationalen politischen Kultur ergaben, sowie punktuelle Vergleiche zur Benennungspraxis in der Bundesrepublik ziehen. Ihrer eigentlichen Untersuchung stellt Sänger ein Kapitel zur Vorgeschichte sozialistischer Straßennamen seit dem 19. Jahrhundert voran, das auch auf die Umbenennungspraxis während des Nationalsozialismus in Berlin und Jena eingeht.
Der Hauptteil der Arbeit liegt dann auf der Zeit nach 1945. Nachdem den Kommunen der Austausch von Straßennamen zunächst unter der Aufsicht der Besatzungsmacht selbst zustand, wobei in kleineren Städten wie Jena tendenziell Benennungen nach lokalen Heimatkünstlern sowie Flur- und Richtungsnamen aus der NS-Zeit bestehen blieben, ordnete eine Direktive der SMAD von 1946 verbindlich die Entfernung von NS-Symbolen zum 1. Januar 1947 als Mittel zur "geistigen Umerziehung" an. Damit verschwanden - anders als in der Bundesrepublik - auch Symbole des Kaiserreichs aus dem öffentlichen Raum. Mit einer ersten Benennungs-Verordnung der SED aus dem Jahr 1950 sollte dann das Andenken an frühere Systeme ganz getilgt werden. Straßen wurden nun dezidiert nach Altkommunisten, Arbeiterführern und "sowjetischen Freunden" benannt, wobei der Kult um Stalin prägend war, etwa bei der Umbenennung der Frankfurter Allee in Berlin in Stalinallee oder der Neukreierung von "Stalinstadt". Erst nach Stalins Tod im Jahr 1953 verzichtete die SED auf die Benennung von Straßen nach "lebenden Führern". Nach dem Mauerbau wurden Straßen dann auch nach Grenzsoldaten als "Märtyrern der Gegenwart" umbenannt, wie Sänger am Beispiel der Egon-Schultz-Straße in Berlin zeigt.
Wie bei Straßennamen, so gingen auch bei Umbenennungen von Schulen und Bildungseinrichtungen sowie bei der Schaffung von VEBs und LPGs die Anträge auf Ehrennamen pro forma von den Brigaden selbst aus, waren aber oftmals von lokalen SED-Politikern initiiert worden. Benennungen nach Widerstandskämpfern oder Begriffen, die mit Jugend, Kindheit und Bildung assoziiert werden konnten, standen dabei im Vordergrund, ohne dass dies die traditionelle geschlechterspezifische Ordnung aufhob: So wurden Kindergärten oftmals nach Frauen benannt.
Seit den 1960er-Jahren boten zudem die sowjetischen Kosmonauten Titow, Gagarin und Walentina Tereschkowa, in den späten 1970er-Jahren dann auch der DDR-Astronaut Siegfried Jähn, eine willkommene Projektionsfläche, um den "neuen Menschen" der sozialistischen Gesellschaft zu inszenieren. Bei ihren Rundreisen in der DDR und den sich anschließenden Umbenennungen von Brigaden und Jugendgruppen wurden die "Kosmonauten als volksnahe Helden" einer "heiteren sozialistischen Menschengemeinschaft" gezeichnet, die mit moderner Technik ebenso vertraut zu sein schienen wie mit der traditionellen Arbeitswelt. Zu neuen Helden der Gegenwart avancierten in den 1960er-Jahren ferner einzelne Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegungen Afrikas, Lateinamerikas und Südostasiens.
In einem weiteren Kapitel "Ehrennamen im sozialistischen Wettbewerb" zeigt Sänger die Bedeutung der Verleihung von Ehrennamen als Belohnung und Anreiz durch die Initiierung der "Namensträger"-Bewegung im Jahr 1978 auf. Jugendbrigaden konnten mit Arbeitsleistungen und gemeinsamer Freizeitgestaltung Ehrennamen erwerben und diese im Wettbewerb mit anderen "Namensträgerkollektiven" verteidigen. In den 1980er-Jahren fanden dabei vereinzelt auch bürgerliche und jüdische NS-Opfer Eingang in die Arbeitswelt der DDR. Im Zuge des Denkmalschutzjahres 1975 wurden dann auch in der DDR alte Straßennamen z. B. im Nikolaiviertel in Berlin wieder attraktiver. In Jena zeigte sich ebenfalls eine Rückbesinnung auf bürgerliche Traditionen, wenn Straßen nach Universitätsprofessoren oder z. B. nach dem Theologen Martin Niemöller benannt wurden. Insgesamt sollte damit im Zuge der Erbe-Tradition-Diskussion die Liebe zur sozialistischen Heimat stärker betont werden. Mit der tendenziellen Hinwendung zu einer bürgerlich geprägten Erinnerungskultur näherte sich die DDR-Namensgebung, wie Johanna Sänger gut herausarbeitet, damit wieder vorsozialistischen Bedeutungsmustern sowie den Benennungskonventionen der Bundesrepublik an. Benennungen nach verstorbenen Politbüro-Mitgliedern und anderen Persönlichkeiten der SED fanden in der Ära Honecker dann eher an der Peripherie der rasch entstehenden Neubaugebiete statt.
In einem letzten Kapitel widmet sich Johanna Sänger den "Neuorientierungen" bei der Namensgebung im öffentlichen Raum nach 1989, bei der die Bürger erstmals in demokratischer Weise beteiligt waren. Dabei macht sie deutlich, dass abermals an regionale Besonderheiten und bürgerlich-nationale Traditionen angeknüpft wurde, ohne bestimmte Namen aus der DDR-Zeit, die sich in die "mental maps" der Bewohner tief eingegraben hatten, aufzugeben. Besonders in Berlin seien - abseits der Hauptstraßen - viele Umbenennungen im Rahmen des ideellen und lebensweltlichen Gedächtnisses der DDR geblieben und hätten nur wenig Bezug zur Erinnerungskultur in der Bundesrepublik.
Insgesamt ist Johanna Sänger eine interessante Dissertation über die Benennungspraxis in der DDR gelungen. Gleichwohl fehlt der Arbeit in manchen Kapiteln ein wenig der "rote Faden", was daran liegt, dass die Autorin eben nicht nur Straßen- und Ehrennamen im urbanen Raum, sondern auch Umbenennungen von Städten und Dörfern sowie die Bedeutung der Namenspraxis im sozialistischen Wettbewerb berücksichtigt. Eine stärkere Konzentrierung auf die Straßenbenennungspraxis in Berlin und Jena bei einer gleichzeitig stringenteren und stärkeren Bezugnahme auf gleichrangige Städte in der Bundesrepublik hätten der Studie an einigen Stellen gut getan. Auch wäre eine konzise Zusammenfassung der Ergebnisse am Ende wünschenswert gewesen. Diese Kritik soll jedoch den Wert der Dissertation nicht schmälern - Johanna Sänger hat die vielfältigen kultur- und politikgeschichtlichen Aspekte von Benennungspraxen in der DDR ebenso facetten- wie perspektivenreich aufgezeigt.
Lu Seegers