Peter Niederhäuser / Christian Sieber (Hgg.): Ein "Bruderkrieg" macht Geschichte. Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg (= Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich; Bd. 73), Zürich: Chronos Verlag 2006, 208 S., ISBN 978-3-0340-0755-9, EUR 38,80
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Dass die Eidgenossen keineswegs ein "einzig Volk von Brüdern" waren, wie es Friedrich Schiller in seinem "Wilhelm Tell" postulierte, hat die Geschichtsforschung längst erwiesen. Einen Höhepunkt innereidgenössischer Zwietracht bildete vor der Mitte des 15. Jahrhunderts der so genannte "Alte Zürichkrieg", in dem Zürcher und Schwyzer um das Erbe Graf Friedrichs VII. von Toggenburg stritten, Zürich sich schließlich mit den Habsburgern verbündete und Schulter an Schulter mit dem "Erbfeind" die eigenen Bundesgenossen bekriegte. Obwohl längst von der Bewertung als "Bürgerkrieg" abgegangen, scheint der Konflikt für die Schweizer Historiographie ein traumatisches Ereignis zu bleiben, über das zu forschen sich nach wie vor lohnt. Den unmittelbaren Anlass bot das 160-Jahr-Jubiläum der Einweihung des Denkmals für die 1444 von den Schwyzern hingerichtete Zürcher Besatzung der Burg Greifensee.
Einleitend äußert sich Christian Sieber zur Terminologie, weist nach, dass die Bezeichnung "Zürichkrieg" bzw. "Alter Zürichkrieg" bereits seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gebräuchlich ist und referiert ebenso knapp wie treffend den Forschungsstand zum Thema. Daran schließt sich Bernhard Stetters Beitrag an, der den Bogen von der Chronistik des 15. bis zur wissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts spannt und zeigt, dass das "aus der Polemik des 15. Jahrhunderts hervorgegangene Bild von Hans Fründ in der Ausgestaltung durch Aegidius Tschudi" (41) hinsichtlich der Bewertung der Ereignisse die Jahrhunderte überdauert hatte und erst in jüngster Zeit einer grundlegenden Korrektur unterworfen wurde.
Als einen "Innovationsfaktor für eine Verrechtlichung und Veränderung der Politik und der innen- wie aussenpolitischen Diplomatie in der werdenden Eidgenossenschaft" (51) erkennt Michael Jucker den Alten Zürichkrieg; er belegt diese Feststellung unter anderem mit dem Aufkommen neuen Verwaltungsschriftgutes und neuer Begriffe im Zusammenhang mit den innereidgenössischen Kommunikationsprozessen. Den Blickwinkel der Schwyzer, der Profiteure des Kriegs, die ihre Position in der östlichen Schweiz massiv ausbauen konnten, bringt Oliver Landolt in den Sammelband ein. Christian Sieber schildert die Kriegsfolgen auf Zürcher Seite, die Verluste an Menschenleben in den Kampfhandlungen, den Umgang mit Gefangenen und der "Zivilbevölkerung" sowie auch die Verstöße gegen das "Kriegsrecht" der Zeit, die von der Heimsuchung von Gotteshäusern über die Schändung von Leichen bis zu Vergewaltigungen reichten. Die Verbitterung beider Seiten konnte erst nach und nach abgebaut werden, es entstanden lange wirksame Erinnerungstraditionen. Dass Nikolaus von Flüe (Bruder Klaus), "die Schrecken des Alten Zürichkriegs aus eigenem Erleben kannte" (82), macht Sieber in einem Exkurs glaubhaft.
Mit einer zeitgemäßen Biographie Rudolf Stüssis, des Zürcher Bürgermeisters, der die Limmatstadt in das Bündnis mit Österreich führte, und 1443 in der Schlacht bei St. Jakob an Sihl vor den Toren Zürichs umkam, schließt Stefan Frey eine Forschungslücke, charakterisiert den Sohn eines Zuwanderers aus Glarus als erfolgreichen Aufsteiger mit besten Kontakten, die ihm schließlich auch den Ritterschlag durch Kaiser Sigmund 1433 auf der Tiberbrücke in Rom einbrachten. Dass die Zürcher durch das Abfassen von Testamenten durchaus auf das Kriegsgeschehen reagierten, weist Werner Bosshard nach.
Fritz Rigendinger untersucht am Beispiel des von Zürich, Schwyz und Österreich als Expansionsgebiet in Anspruch genommenen Sarganserlandes die Destabilisierung herkömmlicher Herrschaftsverhältnisse durch die territorialen Interessen mächtiger Nachbarn. Zur Sprache kommen dabei auch die Strategien der Untertanen, die Konflikte zu ihren Gunsten zu nutzen, sowie höchst pragmatische Formen der Kooperation, die etwa zur Restitution österreichischer Herrschaft durch die Schwyzer führen konnten. Als - wiederum - österreichischer Vorposten war Rapperswil von den Auseinandersetzungen in besonderem Maß betroffen. Die Aufwendungen brachten, wie Pascale Sutter darlegt, die Stadt an den Rand des Ruins. Die Habsburger kamen ihren finanziellen Verpflichtungen in weiterer Folge nicht nach, weshalb die eidgenössische Partei schließlich das Übergewicht gewann und die Rosenstadt 1464 in den Schutz der Innerschweizer Orte trat. Wie Rapperswil war auch die Stadt Winterthur, mit der sich Peter Niederhäuser befasst, 1442 unter habsburgische Herrschaft zurückgekehrt und musste infolge der Kriegswirren erhebliche wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Da Österreich als Ordnungsmacht in der östlichen Schweiz ausschied, stand nach Jahren des Lavierens auch hier eine Neuorientierung an, die mit der Verpfändung an Zürich 1467 konkret wurde.
Andreas Bihrer umreißt die Position, die der Konstanzer Bischof Heinrich von Hewen im Alten Zürichkrieg einnahm: Vorerst den Habsburgern zugeneigt, versuchte er sich mit wenig Erfolg, aber beträchtlichem propagandistischem Geschick als Friedensstifter. Später, als der eidgenössische Druck auf das Südufer des Bodensees wuchs, ging er ein Bündnis mit den Eidgenossen ein, versuchte aber weiter, zwischen ihnen und den Habsburgern zu vermitteln.
Partielle Erfolge konnte Österreich im Alten Zürichkrieg erst erzielen, als Herzog Albrecht VI. im Auftrag seines Bruders Friedrich, des römischen Königs, persönlich in den Konflikt eingriff. Mit der Präsenz Albrechts im alemannischen Südwesten, der auch die Universität in Freiburg im Breisgau ihre Gründung verdankt, beschäftigt sich Dieter Speck, dessen Urteil gemäß mit dem Habsburger ein konzilianter Realpolitiker, andererseits ein ernstzunehmenderer Gegner am Hochrhein Regent war, der den habsburgischen Anspruch auf die eidgenössisch besetzten Gebiete uneingeschränkt vertrat." (177) Das Bemühen Albrechts, eine aktive Rolle zu spielen, kann auch Peter Niederhäuser anhand einer Teiledition eines Rechnungsbuchs des Habsburgers aus diesen Jahren schlüssig nachweisen.
Der Band hält, was sein Untertitel verspricht, er weist neue Zugänge zu der ungemein komplexen Materie, bietet darüber hinaus eine Reihe interessanter Details, nicht zuletzt zur Sicht "von unten". Dass hier vielerlei noch nicht angesprochen werden konnte - etwa die Einbindung des Konflikts in die Stadt-Land-Problematik oder die Person des politisch offenbar höchst einflussreichen Zürcher Stadtschreibers Michael Stebler, genannt "Graf" - lässt darauf hoffen, dass der Alte Zürichkrieg weiterhin ein Thema nicht nur der regionalen Geschichte bleibt.
Alois Niederstätter