Bernd Janowski / Dirk Schumann (Hgg.): Dorfkirchen. Beiträge zu Architektur, Ausstattung und Denkmalpflege (= Kirchen im ländlichen Raum; Bd. 3), Berlin: Lukas Verlag 2004, 538 S., 330 s/w-Abb., ISBN 978-3-936872-21-7, EUR 36,00
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Dorfkirchen gehören nicht zu den Objekten, denen sich die kunsthistorische Forschung mit Hingabe gewidmet hat. Kaum jemals findet man in einem Vorlesungsverzeichnis eine Lehrveranstaltung zum Thema, kaum reflektiert eine der umfassenden Architekturgeschichten von Pevsner bis Kostof diese Kleinbauten. Mit gutem Grunde könnte man sagen, denn diese meist einschiffigen, oft ungewölbten Rechtecksäle, denen höchstens ein eingezogener Chor, ein vorgestellter Westturm oder ein Turm über der Apsis beigegeben sind, erscheinen nun einmal nicht als Bauten, die man tiefer befragen möchte, die den Forscher vor große Rätsel stellen oder in deren Baugeschichte man spektakuläre Erkenntnisse über den mittelalterlichen Baubetrieb erwarten könnte. Die Typenvielfalt von Dorfkirchen ist begrenzt, die meisten der im 12. bis 14. Jahrhundert in ganz Deutschland gebauten Dorfkirchen ähneln sich in ihrer einfachen, profanen Grundstruktur. Dass sie dennoch und zu Recht Gegenstand gewichtiger Publikationen wie der vorliegenden sein können, ist der Tatsache geschuldet, dass etwa 90 Prozent der mittelalterlichen Bevölkerung auf dem Lande gelebt und in solchen Bauten ihren kirchlichen Alltag erfahren hat.
Friedrich Möbius wies bereits 1988 auf diesen Umstand hin und untersuchte "Die Dorfkirche im Zeitalter der Kathedrale (13.Jh.)". [1] Möbius ging es damals aber nicht nur um eine Art Ehrenrettung der Dorfkirche, sondern er entwickelte aus dem formalen Widerspruch der künstlerisch und bautechnisch hoch entwickelten Kathedrale zum gleichzeitigen schlichten Dorfkirchenbau ein Plädoyer für eine strukturgeschichtliche Vertiefung des Stilbegriffs. Denn auch wenn es stilgeschichtlich "kaum einen Zusammenhang von gotischer Kathedrale und gleichzeitiger Dorfkirche" gäbe, so veranschaulichten beide doch "strukturgeschichtlich [...] das gleiche Gesellschaftsmodell einer hierarchisch geordneten Welt mit objektiven Interessenausgleich: als neue Erde mit königlichem Friedensfürsten die schwerelos aufsteigende Kathedrale in ihren unermesslichen Dimensionen, als Rechts- und Heilsbezirk - als 'Friedensinsel' - der winzige turmbewehrte Versammlungsraum der Dorfgenossenschaft" (47).
Auch wenn Möbius' Forschungsintention heute nicht mehr en vogue ist, so waren es doch auch seine Überlegungen, die zu einem verstärkten Interesse an Dorfkirchen geführt haben. Nicht minder sind es denkmalpflegerische Überlegungen und Notwendigkeiten, die das zunehmende Interesse an - besonders gefährdeten - ländlichen Bauten befördern. Diese Interessenlage spiegelt sich auch in den auf eine 2004 in Prenzlau veranstaltete Tagung zurückgehenden Beiträgen des gewichtigen, sorgfältig bebilderten und produzierten Bandes. Von den 26 Autorinnen und Autoren des Bandes haben acht Kunstgeschichte studiert, die anderen sind Historiker, Bauforscher, Architekten, Denkmalpfleger, Restauratoren, Geodäten. Die Herausgeber haben die Beiträge in fünf Gruppen gegliedert: Geschichte, Architektur, Ausstattung, Funktions- und Nutzungsgeschichte, Denkmalpflege. Das Spektrum reicht von siedlungsgeschichtlichen Aspekten über Baumaterialien, Bautechnik und Bautypen, Wandmalereien, die Dorfkirche als Begräbnisplatz, bis hin zur Frage der aktuellen Nutzung denkmalgeschützter ländlicher Sakralbauten. Zeitlich reicht das Spektrum von der Romanik bis ins 19. Jahrhundert, topografisch liegt ein Schwerpunkt in den östlichen Bundesländern.
Nicht alle Aspekte des Bandes können hier gewürdigt werden, hervorgehoben seien nur einige, die über das Untersuchungsgebiet hinaus von Interesse sein können. So ist interessant zu beobachten, wie bestimmte Bauformen, aber auch die Wahl von Baumaterialien (Feldstein, Backstein) von den hochrangigen Klosterbauhütten der näheren Umgebung abhängig waren. Am Beispiel der Haupttypen ländlicher Pfarrkirchen in den vier preußischen Bistümern (Kulm, Pomesanien, Ermland, Samland) kann unterschieden werden, wie stark sich der Einfluss des Landesherrn auf den Dorfkirchenbau auswirkte. So lässt sich hier der "Gegensatz zwischen den kleinen, die christliche Gemeinschaft betonenden Kolonistenkirchen und den großen landesherrlichen Zentralkirchen, in deren Architektur Hierarchie anzeigende Elemente dominieren" (152) beispielhaft beobachten. Von großem Gewinn für die Erforschung der altmärkischen romanischen Dorfkirchen sind die ausführlich dokumentierten dendrochronologischen Untersuchungen von Ulf Frommhagen (153-236). Methodisch wertvoll ist der Beitrag Dirk Höhnes über "Neuzeitliche Archivalien als Quellen zu mittelalterlichen Bauzuständen ländlicher Kirchen" (284-320).
Ist der größte Teil der Aufsätze auf wissenschaftlich hohem Niveau und somit geeignet, die Dorfkirchenforschung aus dem ihr noch immer anhaftenden Manko heimatgeschichtlicher Prägung zu befreien, so verbleibt leider mancher Beitrag auf einem gleichsam vorwissenschaftlichen Niveau, wobei insbesondere eine begriffslose stilgeschichtliche Taxierung auffällt, welche die Bauten im Sinne einer Stilfibel in einem groben Raster routiniert sortiert, ohne dass dabei ein Erkenntnisgewinn abzusehen wäre. Anstatt etwa die mittelalterlichen Dorfkirchen in Berlin und der Mittelmark anhand bestimmter Merkmale stilgeschichtlich einzuordnen, wäre vielleicht die Frage nach Patronatsverhältnissen und deren vermutlichen Auswirkungen auf die Baugestalt von größerem Interesse gewesen. Der Beitrag von Rainer Müller über die Dorfkirchen im Archidiakonat St. Severi Erfurt (261-281) ist zwar in der Auswahl seines Untersuchungsgebiets auf einem viel versprechenden Weg, verbleibt aber leider auf einer bautypologischen und stilgeschichtlichen Ebene. Überhaupt werden im ganzen Band kirchenrechtliche Zusammenhänge nicht berücksichtigt, worin sich das auf Bauforschung und Denkmalpflege abgestellte Hauptinteresse der Herausgeber spiegelt. Da in den denkmalpflegerischen Beiträgen zahlreiche neugotische Dorfkirchen des 19. Jahrhunderts angesprochen werden, vermisst man umso stärker den Dorfkirchenbau des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts.
Leider haben die Herausgeber sowohl auf einen Forschungsüberblick als auch auf eine zusammenfassende Einführung verzichtet, die über Auswahl und Gewichtung der Beiträge informiert hätte. Die Aufnahme der Beiträge über Taufengel des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Dorfkirchen der Uckermark, über die Baugeschichte des Schul- und Bethauses in Wuchewier von 1764 oder über die Wiederherstellung der neugotischen Schlosskirche (!) in Kröchlendorff (1864-1868) ist zumindest erklärungsbedürftig. Nicht nur hier hätte dem Band eine Beschränkung auf weniger Themen gut getan.
Abschließend beschäftigt sich Bernd Janowski, als Mitherausgeber des Bandes und Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen e.V., mit dem Thema der Bewahrung und Umnutzung denkmalgeschützter ländlicher Sakralbauten, leider wiederum nur in der eingeschränkten Perspektive auf den Raum Brandenburg und die anderen neuen Bundesländer. Der Blick über den Tellerrand geht zwar nach Gotland (412-438), kaum aber in Richtung Westen, wo ganz ähnliche Probleme in Bezug auf Forschung und Erhalt von ländlichen Bauten anstehen und zu bewältigen sind. Die Herausgeber hätten im Haupt- oder im Untertitel des Buchs deutlich machen müssen, dass sie sich fast ausschließlich mit mittelalterlichen Dorfkirchen im östlichen Deutschland und im weiteren Osten Europas beschäftigen. So werden beim Leser falsche Erwartungen geweckt, wenn der Band auch dank seiner zahlreichen ausgezeichneten Beiträge der Dorfkirchenforschung wichtige Impulse gibt.
Anmerkung:
[1] Friedrich Möbius: Die Dorfkirche im Zeitalter der Kathedrale (13.Jh.) (= Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse, Bd. 128, Heft 3), Berlin 1988.
Klaus Jan Philipp