Heinz Noflatscher / Jan Paul Niederkorn (Hgg.): Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert (= Archiv für österreichische Geschichte; Bd. 138), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005, 441 S., 16 Tafeln, ISBN 978-3-7001-3327-8, EUR 39,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Wilhelm Kühlmann / Anton Schindling (Hgg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004
Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hgg.): Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Ralph Kauz / Giorgio Rota / Jan Paul Niederkorn (Hgg.): Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der frühen Neuzeit, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2009
Jan Paul Niederkorn / Wolfgang Wüst / Gerhard Ammerer u.a. (Hgg.): Höfe und Residenzen geistlicher Fürsten. Strukturen, Regionen und Salzburgs Beispiel in Mittelalter und Neuzeit, Ostfildern: Thorbecke 2010
Hans Peter Hye / Brigitte Mazohl / Jan Paul Niederkorn (Hgg.): Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma "Nationalstaat" in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2009
Der Arbeitskreis "Höfe des Hauses Österreich" fungiert seit 1999 als ein Diskussionsforum der österreichischen und ausländischen Historikerinnen und Historiker, die sich mit der Geschichte der Habsburgerhöfe in der frühen Neuzeit beschäftigen. Auf Initiative aus dem Kreis der Mitglieder werden ungefähr alle zwei Jahre Workshops zu verschiedenen Aspekten der Hofkultur ausgerichtet. Da die Mitglieder des Arbeitskreises nicht nur aus Wien kommen, finden die Arbeitsgespräche in verschiedenen Städten Mitteleuropas statt. Im Frühjahr 2001 gab es im Naturwissenschaftlichen Museum in Wien einen Workshop zum Thema "Hof und Wissenschaft", im Herbst 2001 organisierten die Österreichische Akademie der Wissenschaften und die Universität Budweis in Böhmisch Krumau eine Konferenz über den Adel am Kaiserhof vom 1526 bis 1740.[1] Schließlich veranstaltete die Universität Innsbruck im Juni 2002 eine Konferenz über den Habsburgerhof in Innsbruck vom späten Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Der zu rezensierende Tagungsband ist aus diesem letztgenannten Arbeitsgespräch hervorgegangen.
Die Beiträge teilen sich thematisch in vier Gruppen: Normen und Repräsentation; Höfische Feste; Die Frau am Hof; Adel, Region, Integration. Der Schwerpunkt der meisten Aufsätze ist freilich die Festkultur, die in allen thematischen Sektionen angesprochen wird. Der Innsbrucker Hof feierte die glücklichsten Zeiten eher unter der Regierung Kaiser Maximilians I. und dann unter der Regierung der Tiroler Habsburger (1567-1662). Aus diesem Grund sind die meisten Analysen chronologisch im 16. Jahrhundert verortet. Insbesondere Ferdinand II. von Tirol (regierte 1567-1595) fand eine große Aufmerksamkeit. Die Bestimmung des Begriff des "Hofes", die auch ohnehin mit erheblichen Schwierigkeiten behaftet ist, wird hier noch durch die Diskontinuität der historischen Entwicklung erschwert. Der Arbeitskreis versteht unter dem "Hof" normalerweise die Hofstaate, aber im Falle von Innsbruck ist häufig von "Ersatzthemen" die Rede (politische Kommunikation mit den Ständen, Stadtgeschichte, Feste, Besuche am Hof). Es macht freilich Sinn, von der thematischen Struktur des Tagungsbands auszugehen. Mit Blick auf den Inhalt der Beiträge werde ich allerdings Abweichungen machen.
Unter dem Thema "Normen und Repräsentation" werden Studien zu Hofordnungen und Kunstsammlungen am Hofe subsumiert. Den Ausgangspunkt bildet eine posthum erschienene Studie von Rainer A. Müller über deutsche Fürstenspiegelliteratur (31-52). Der Beitrag greift das Thema älterer Studien desselben Autors neu auf: Die wandelnde Begrifflichkeit, die Festigung des Tugendsystems, die Entstehung von deutschen Hofordnungen. [2] Die verdienstvollen Untersuchungen von R. A. Müller lassen die Kontinuität des Höflingsideals noch vor Castiglione erkennen und helfen die österreichisch-tirolische Hofnormenliteratur in den deutschen Kontext einzubetten. Den österreichischen Gegenpol zur mittelalterlichen Hofforschung bilden die Untersuchungen von Michal Bojcov [3] und Christian Lackner [4]. In Anlehnung an Müller zeigt Bojcov in seinen Studien, dass die ersten habsburgischen (tirolischen) Hofordnungen ebenso verspätet auftauchten, wie es in anderen deutschen Territorien der Fall war. Aus diesem Grunde passt der Beitrag von M. Bojcov (195-212) sehr gut zum Thema "Normen", auch wenn er hier in die Sektion "Frau am Hof" inseriert wurde. Bojcov knüpft an seine älteren Studien an und analysiert eine spätmittelalterliche Hofordnung für das sog. Frauenzimmer von 1483. Er zeigt auf, wie dieser Text vom Quellentypus "Hofordnung" abweicht, und legt dar, dass der weibliche Hofstaat das eigentliche Vorbild in den Nonnenklostern hatte. Zu den normorientierten Beiträgen gehört auch der Aufsatz von Inge Wiesflecker-Friedhuber über die Glanzzeit des Innsbrucker Hofes unter Kaiser Maximilian I. (125-158). Die Studie gibt fundierte und ausgewogene Informationen über die Struktur des Hofstaats, seine räumliche Positionierung in der Stadt und seine politische Funktion. Hier werden manche von Bojcov angeschnittenen Themen weiterentwickelt und ihre Fortentwicklung nach 1490 aufgezeigt.
Dagegen widmen sich die Beiträge von Veronika Sandbichler (159-175), M. A. Chisholm (349-424) und Václav Bůžek (425-438) der Regierungszeit Erzherzog Ferdinands II., der dem Hof in Innsbruck einen erneuten Aufschwung bescherte. Die Aufsätze verteilen sich auf verschiedene Sektionen, verfolgen aber grundsätzlich dieselbe Themenstellung: den Regierungsstil des Erzherzogs und seine symbolische Kommunikation mit den Ständen. Der Beitrag Bůžeks verweist auf eine überregionale Ebene, indem er zeigt, wie geschickt die "sanfte Hand" des Tirolers den Adel in den böhmischen Ländern nach dem Aufstand von 1547 beruhigte. Die Studie entstand im Rahmen eines groß angelegten Projekts über die Regierungsstrategie Erzherzog Ferdinands in Böhmen. [5] Die Spätzeit der Tiroler Habsburger betrachten Elena Taddel (213-240) und Sabine Weiß (241-348). Auch ihre Analysen verfolgen wie die meisten Studien in diesem Sammelband das Thema der Hoffeste. Beiden ist gemeinsam, dass sie die kulturelle Verbindung des Tiroler Hofes mit Italien im 17. Jahrhundert aufgreifen. Dagegen rückt der Beitrag von Astrid Schlachta (53-88) das Thema der symbolischen Kommunikation in den Mittelpunkt. Die Verfasserin diskutiert die Erbhuldigungen und andere Hofaufenthalte in Innsbruck als Beispiele für eine symbolische Kommunikation zwischen der "Landschaft" und dem Landesfürst von 1665 bis 1800. Astrid Schlachta und Margret Friedrich beleuchten die Geschichte des Tiroler Ständetums in der Zeit des "Absolutismus" und revidieren die veralteten Klischees der "Absolutismus"-Forschung. Die vorgelegten Aufsätze präsentieren die ersten Früchte dieser Beschäftigungen.
Die kunsthistorische Perspektive auf den Innsbrucker Hof wird in den Aufsätzen von Lieselotte Hanzl-Wachter (109-121) und Vladan Antonovic (89-108) deutlich. Der erste befasst sich mit der Raumverteilung und Raumfunktion der Innsbrucker Hofburg im 18. Jahrhundert und ergänzt daher die Studien über die Hoffeste und symbolische Kommunikation. Vladan Antonovic analysiert die graphische Sammlung des Universitätsnotarius Anton Roschmann, der an der Universität von 1722 bis 1747 wirkte. Seine graphische Sammlung bietet zentrale Informationen über die Kunstsammlungen im Schloss Ambras. In den Bereich der Musikgeschichte verweist Theophil Antonicek (175-194), der sich mit den Opern am Hof Erzherzog Ferdinand Karls befasst. Auch dieser Beitrag stellt aufschlussreiche Bezüge zum italienischen Kultureinfluss in Tirol her.
Der Tagungsband bringt eine facettenreiche und zuverlässige Darstellung der Innsbrucker Höfe vom 15. bis 18. Jahrhundert. Im Unterschied zur allgemeinen Forschungslage wird hier insbesondere die ältere Geschichte erleuchtet (15. und 16. Jahrhundert), während die Geschichtsschreibung des Wiener Hofes vor allem auf die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg und im 18. Jahrhundert fokussiert ist. Erst die Erforschung der Höfe in Innsbruck, Graz und Prag kann die Multidimensionalität der habsburgischen Hofkultur aufdecken.
Anmerkungen:
[1] Václav Bůžek/Pavel Král (Hg.): Šlechta v habsburské monarchii a cÍsařský dvůr (1526-1740) [Der Adel in der Habsburgermonarchie und der Kaiserhof 1526-1740)], Budweis 2003 (Die deutschsprachigen Beiträge werden auf Deutsch veröffentlicht.)
[2] Rainer A. Müller: Die deutschen Fürstenspiegel des 17. Jahrhunderts, in: HZ 240 (1985), 571-598; Ders.: Der Fürstenhof in der Fürhen Neuzeit, München 1995.
[3] Michail Bojcov: Sitten und Verhaltensnormen am Innsbrucker Hof im 15. Jahrhundert im Spiegel der Hofordnungen, in: Höfe und Hofordnungen 1200-1600. 5. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, hg. von Holger Kruse/Werner Paravicini, Sigmaringen 1999, 243-283.
[4] Christian Lackner: Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzoge (1365-1407). Wien/München 2002.
[5] Václav Bůžek: Erzherzog Ferdinand als Statthalter von Böhmen - Residenz, Hof, Alltagsleben und Politik, in: Kaiser Ferdinand I. 1503-1564. Das Werden der Habsburgermonarchie hg. Von Wilfried Seipel (Hg.), Wien/Milano 2003, 283-295; Ders.: Ferdinand II. Tyrolský a žeská šlechta (Kotázce integračnÍch procesů v habsburské monarchii) [Ferdinand II. von Tirol und der böhmische Adel (Zur Frage der Integrationsprozesse in der Habsburgermonarchie)], in: Český časopis historický 98 (2000), 261-291.
Ivo Cerman