Rezension über:

Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik (= Dokumente - Texte - Materialien; Bd. 50), Berlin: Metropol 2004, 359 S., ISBN 978-3-936411-06-5, EUR 19,00
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Rezension von:
Johannes Hürter
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Hürter: Rezension von: Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, Berlin: Metropol 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/11/9365.html


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Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde

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Es gibt geschichtliche Sachbegriffe, die dem Historiker "irgendwie" geläufig sind, ohne dass man Näheres über sie sagen könnte. Ein typisches Beispiel ist "Schwarze Reichswehr". Jeder Student, der sich mit der Geschichte der Weimarer Republik beschäftigt, wird auf die Frage nach diesem Begriff antworten können, dass er sich "irgendwie" auf die Geheimrüstung der Reichswehr bezöge, in der sich antirepublikanische Kräfte getummelt hätten. Und viel mehr weiß auch der Experte nicht. Das Wort geistert durch Gesamtdarstellungen und Spezialuntersuchungen, meist in Verbindung mit den ebenfalls geheimnisvollen Begriffen "Buchrucker-Putsch" und "Fememorde", doch bisher wollte sich niemand der Mühe unterziehen, wissenschaftliches Licht in das Dunkel dieser mysteriösen Organisation zu bringen. Der Hauptgrund dafür war offenbar die vermeintlich katastrophal schlechte Quellenlage. So überrascht die Dissertation von Bernhard Sauer zunächst einmal mit dem Nachweis, dass sich aus den überlieferten Ermittlungs- und Gerichtsakten doch ein genaueres Bild der "Schwarzen Reichswehr" erarbeiten lässt.

Was war die "Schwarze Reichswehr"? Die Krise des Jahres 1923 verstärkte bei der Reichswehr die Befürchtung, dass Polen die Schwäche des Reiches nutzen könne, seine Gebietsforderungen militärisch durchzusetzen. Daher wurden im Osten als "Arbeitskommandos" getarnte personelle Reserven gebildet, deren Stamm sich vor allem aus ehemaligen Freikorpskämpfern rekrutierte und von der Reichswehr mit Uniformen, Waffen und Unterkünften versorgt wurde. So entstand bis Sommer 1923 eine kleine Reservearmee von einer Stammstärke von ca. 2000 Mann und einer "Alarmstärke" von etwa 18.000 kurzausgebildeten Reservisten. Im maßgeblichen Wehrkreis III (Berlin-Brandenburg) wurden diese "Arbeitskommandos" von Major a. D. Bruno Ernst Buchrucker und Oberleutnant a. D. Paul Schulz organisiert, die 1920 wegen Unterstützung des Kapp-Putsches aus der Reichwehr entlassen worden waren. Nach dem Abbruch des "Ruhrkampfes" durch die Reichsregierung unternahm Buchrucker am 1. Oktober 1923 mit seinen Leuten in Küstrin einen halbherzigen Putschversuch, der kläglich scheiterte. Der Rädelsführer wurde in einem Hochverratsprozess zu 10 Jahren Festungshaft verurteilt und die politisch unzuverlässige "Schwarze Reichswehr" aufgelöst. Etwa zur selben Zeit kam ans Tageslicht, dass mehrere Angehörige der "Arbeitskommandos" von ihren Kameraden als "Verräter" auf teilweise bestialische Weise "hingerichtet" worden waren. Diese "Fememorde" beschäftigten noch für mehrere Jahre die Gerichte.

Soweit die äußeren Fakten. Bernhard Sauer fragt darüber hinaus nach Personal, Binnenstruktur und politischen Zielen dieser Geheimorganisation. Er stützt sich dabei vor allem auf die umfangreichen Gerichtsakten der Fememordprozesse im Landesarchiv Berlin. Sein Verdienst ist es, diese reichhaltige Quelle zum Rechtsradikalismus der frühen 1920er-Jahre zu erschließen und in Verbindung zu den Vorgängen in Küstrin zu bringen. So kommt der Autor zu zwei wesentlichen Ergebnissen.

Erstens: Die Angehörigen der "Schwarzen Reichswehr" waren keine "tapferen Kämpfer" oder "idealistischen Jünglinge", wie sie die nationalistischen und nationalsozialistischen Hagiografen sehen wollten, sondern in der Regel gescheiterte, teilweise kriminelle Existenzen, die ihr Heil in einer verrohten "Männergemeinschaft" suchten. Statt "Kameradschaft" herrschten Angst, Misstrauen und Brutalität, wie sie dann auch für das Innenleben der SA und anderer militanter Gliederungen der NSDAP kennzeichnend waren. Ohnehin erweist sich auch an diesem Beispiel erneut die Kontinuität und Fluktuation zwischen den verschiedenen rechtsextremen Organisationen. Von den 54 Angehörigen der "Schwarzen Reichswehr", die Sauer als Beteiligte oder Zeugen aus den Gerichtsakten ermitteln konnte, hatten 43 zuvor Freikorps und rechtsgerichteten Verbänden angehört und schlossen sich 44 später den Nationalsozialisten an.

Zweitens: Die rigiden Druck- und Disziplinierungsmittel bis hin zum Fememord wurden als notwendig erachtet, weil die "Schwarze Reichswehr" geheime und staatsfeindliche politische Ziele über ihren militärischen Zweck hinaus verfolgte. Geplant war - gemeinsam mit Gleichgesinnten, etwa aus der Deutschvölkischen Freiheitspartei und der Organisation Consul - ein "Marsch auf Berlin" nach Vorbild der italienischen Faschisten. Doch dann kamen 1923 die Ereignisse in Bayern und der Ausnahmezustand dazwischen. Der Küstriner Putschversuch war nur noch ein müder Abklatsch des geplanten großen Staatsstreichs. Zwielichtig bleibt die Rolle der Reichswehrstellen, die den Aufbau dieser reaktionären Putscharmee erst ermöglicht hatten und ihren Führern den Freiraum gewährten, die "Arbeitskommandos" zu einem Sammelbecken von Republikfeinden zu machen. Später zeigten die Gerichte auffällig wenig Interesse daran, diese Zusammenhänge und überhaupt den politischen Charakter der Organisation aufzudecken.

Die Studie Bernhard Sauers ist ein weiterführender Beitrag zur Geschichte der radikalen Rechten in der Weimarer Republik, wenn auch die Repräsentativität der ermittelten Personengruppe noch durch weitere Forschungen untermauert werden müsste. Die These, dass die "Schwarze Reichswehr" weniger eine Militärorganisation war als ein gewichtiger Teil jenes politischen Milieus, aus dem der Nationalsozialismus emporstieg, ist freilich schon jetzt sehr plausibel. Ebenso wenig sind die für die extreme Rechte so charakteristische Gewalttätigkeit dieser Organisation und ihre vielfältigen Verbindungen zu anderen Kräften des "nationalen Lagers" zu bestreiten. Der Autor liegt damit ganz im Trend der jüngeren Forschung, die zahlreichen völkischen, rechtsradikalen, alldeutschen und nationalistisch-konservativen Gruppierungen, Bünde und Parteien trotz aller Unterschiede wieder stärker als politisches Netzwerk zu sehen, das erst Hitler den Weg ebnete und dann die NS-Diktatur unterstützte.

Johannes Hürter