Ivan Jakubec: Schlupflöcher im "Eisernen Vorhang". Tschechoslowakisch-deutsche Verkehrspolitik im Kalten Krieg. Die Eisenbahn und Elbeschiffahrt 1945-1989 (= Beiträge zur Unternehmensgeschichte; Bd. 22), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2006, 270 S., 29 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-08527-4, EUR 38,00
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Die Verkehrspolitik galt lange als ein Feld nationalen politischen Handelns. In seiner neuesten Darstellung über die tschechoslowakische Verkehrsgeschichte beschäftigt sich der tschechische Wirtschaftshistoriker Ivan Jakubec mit einem Feld der Außenpolitik, das sowohl in der klassischen diplomatiegeschichtlichen Forschung als auch in Studien über die Außenwirtschaftspolitik und die internationale Kooperation von Unternehmen und NGOs bislang noch wenig Beachtung gefunden hat: Die internationale Verkehrspolitik.
Jakubec verortet die Verkehrsbeziehungen zwischen der ČSR/ČSSR, der Bundesrepublik und der DDR in den Kontext der deutsch-tschechoslowakischen Diplomatie. Reguläre diplomatische Beziehungen konnten auf Grund der lange ungeklärten Fragen zwischen der Bundesrepublik und der ČSSR erst Ende 1973 und damit noch später als mit den übrigen Staaten des Warschauer Paktes aufgenommen werden. Hierfür war seitens der Bundesregierung weniger die Hallstein-Doktrin als die bis Ende der Sechzigerjahre vertretene rechtspositivistische Position verantwortlich, wonach das Münchener Abkommen von 1938 nicht von Anfang an nichtig war.
Aus der bisherigen Forschung war bekannt, dass im Fall der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen - wie auch der Beziehungen mit den übrigen Staaten des RGW bis auf die Sowjetunion - Handelsverträge als Schrittmacher der diplomatischen Beziehungen dienten. Es ist das Verdienst von Jakubec, dass er das selten beachtete Feld der internationalen Verkehrsbeziehungen auf seine Bedeutung für die Entwicklung funktionierender Wirtschaftsbeziehungen untersucht hat.
Obwohl die USA die ČSR bis zur kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 nicht als Teil der westlichen Welt aufgegeben hatten, förderte die amerikanische Außenwirtschaftspolitik ungewollt die wirtschaftliche Abhängigkeit der ČSR von den kommunistischen Staaten Ostmitteleuropas. Die ČSR, die ihre Ausfuhr und Einfuhr traditionell über deutsche Häfen leitete, musste Hafengebühren und Frachten in Dollar auf das Konto der amerikanisch-britischen Außenhandelsagentur für die Bizone (JEIA) entrichten. In der Folge war die ČSR gezwungen, einen größeren Teil ihres Außenhandels trotz ungünstigerer geografischer Verhältnisse und längerer Transport- und Verladezeiten über die polnischen Ostseehäfen zu leiten.
Dank der pragmatischen Kooperation der drei staatlichen Eisenbahnverwaltungen der Bundesrepublik, der DDR und der ČSR kam bereits 1950 ein gemeinsamer Eisenbahntarif für den Im- und Exportverkehr der ČSR über den Hamburger Hafen zu Stande, der die beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteile für die Hamburger und die tschechoslowakische Wirtschaft wiederherstellte. Obwohl der internationale Status der Elbe nach 1945 völkerrechtlich weder bestätigt noch formell wiederhergestellt wurde, gewährten die bundesdeutschen Behörden den tschechoslowakischen Binnenschiffen auch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges stillschweigend und ohne jeden diplomatischen Notenwechsel die volle Freiheit der Schifffahrt. Jakubec' methodischer Einschluss der internationalen Beziehungen zwischen den Verwaltungen unterhalb der Regierungsebene zeigt eindrücklich, wie sich die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit zum gegenseitigen wirtschaftlichen Vorteil nutzen ließen, solange beide Seiten strittige völkerrechtliche Statusfragen ausklammern konnten.
Die besondere Stärke der Arbeit besteht in ihrer Quellennähe, die umfangreiche deutsche wie tschechische Aktenbestände einschließt. Ivan Jakubec stellt die verkehrspolitischen Entscheidungsprozesse der nationalen Verkehrsverwaltungen sehr kenntnisreich und anschaulich dar. Wirtschaftshistoriker hätten sich eine außenhandelsökonomische Schätzung der komparativen Kostenvorteile gewünscht, die die ČSSR durch das Festhalten am Transitverkehr durch Hamburg und den Verzicht auf eine vollständige Lenkung ihres Transitverkehrs durch ostdeutsche, polnische und jugoslawische Häfen realisieren konnte.
Christopher Kopper