Stefan Creuzberger / Dierk Hoffmann (Hgg.): "Geistige Gefahr" und "Immunisierung der Gesellschaft". Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; Sondernummer), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2014, VI + 410 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-74708-9, EUR 59,95
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Bei fast allen "Anti"-Begriffen, zumal wenn sie auf "ismus" enden, handelt es sich nicht ausschließlich um solche Termini, auf die Wissenschaftler für kühl-klare Analysezwecke zugreifen können. Das trifft auch auf den "Antikommunismus" zu, der nicht zuletzt unter den Bedingungen des Kalten Krieges politisch-ideologisch stark aufgeladen, mindestens schillernd war und bisweilen zum reinen Kampfbegriff avancierte. Es ist gerade diese Kontextgebundenheit, die es als fruchtbar erscheinen lässt, einen Begriff wie Antikommunismus in seinen verschiedenen Wirkungskreisen zu erschließen und zu historisieren. Ein solches Unterfangen leistet in vorbildlicher Weise der von Stefan Creuzberger und Dierk Hoffmann herausgegebene Band, der den Antikommunismus der frühen Bundesrepublik näher in den Blick nimmt.
Andreas Wirsching bietet zu Beginn eine Rückschau und präsentiert den Antikommunismus als "Querschnittsphänomen politischer Kultur" (15) zwischen 1917 und 1945. So entgeht der Sammelband der Gefahr, das Thema mit einer "Stunde Null" beginnen zu lassen. Die historische Tiefendimension erhält hier sogleich eine systematische Ergänzung, indem Wirsching verschiedene Quellen - ob biografisch, politisch oder intellektuell - und drei Formen des Antikommunismus voneinander scheidet: den ideologischen, den funktionalen und den empirischen Antikommunismus.
Wirschings Begriffsangebot ist besonders geeignet zu verdeutlichen, weshalb der Antikommunismus auf normativer Ebene so unterschiedliche Einschätzungen erfuhr und weiter erfährt. Denn während er im Falle des ideologischen wie des funktionalen Antikommunismus vor allem auf das Interesse einer "konservativ-revolutionären", wenn nicht völkischen Rechten an der Zerstörung der parlamentarischen Demokratie und die "totalitäre" Nähe zum Kommunismus selbst verweist, schreibt er den empirischen Antikommunismus vor allem Teilen der Weimarer Sozialdemokratie zu, die so "eine Art 'antitotalitären Grundkonsens' vorwegnahm" (23). Die Formulierung der "Vorwegnahme" unterstreicht, dass der Autor hier den Beginn einer Tradition sieht, die nach 1945/49 fortgesetzt werden sollte. Allerdings blendet er die anderen beiden Stränge nicht aus, denen etwas ideologisch Überschäumendes ebenso wie Antidemokratisches anhaftete, das sich in verhängnisvoller Weise 1933 zeigte, als sich der Antikommunismus als voll entfaltete Integrationsideologie darbot.
Gerade in Deutschland war der Antikommunismus insofern "historisch kontaminiert" und konnte nicht ohne weiteres zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnung in Stellung gebracht werden, weil die (frühere) Ideologieanfälligkeit "für antidemokratische und antiliberale Motive" nicht zu leugnen war (27 f.). Das war die ambivalente Ausgangssituation am Ende des Zweiten Weltkrieges, die aber rasch an Eindeutigkeit hinzugewann, weil die spezifisch deutsche Lage kräftig in das neue Magnetfeld des machtpolitisch sich voll entfaltenden Kalten Krieges geriet. Auf diese neue Rahmung macht indirekt Bernd Greiner aufmerksam, indem er den Blickwinkel von Deutschland weg auf die Vereinigten Staaten lenkt und den Antikommunismus vor allem als kollektives Angst-Phänomen deutet. Dies war insofern nicht aus der Luft gegriffen, als der kommunistische Herrschaftsanspruch gerade in Mitteleuropa nach 1945 ein reales Bedrohungsszenario beschrieb. Die sozialpsychologische Angst-Sicherheit-Dynamik beförderte ein Ländergrenzen überschreitendes antikommunistisches Integrationsverlangen, das von den positiven Leitvorstellungen einer "Amerikanisierung" und "Westernisierung" flankiert wurde. Dies wirkte auch nach innen disziplinierend - und angesichts der Einbindung ehemaliger Nationalsozialisten nivellierend - innerhalb der anfangs alles andere als gefestigten westdeutschen Demokratie.
Dem entgegen zu wirken setzte sich die Westpolitik der DDR zum Ziel. Sie bildet den ersten großen Themenblock des Bandes. Heike Amos, Dierk Hoffmann und Michael Lemke widmen sich der anti-antikommunistischen "Staatsräson" (77) der SED. Sie beleuchten Initiativen, die sich bis zum Verbot der KPD 1956 eng an dieser ausrichteten, aber auch auf SPD und DGB oder die Bundesregierung ("Grotewohl-Brief") sowie eine breitere Öffentlichkeit bezogen sein konnten. Lemke konstatiert den SED-Verantwortlichen gegenüber insgesamt ein geringes Differenzierungsvermögen und analytisch wenig tiefschürfende Antikommunismus-Wahrnehmungen in der Bundesrepublik.
Das zweite Großkapitel stellt die Träger des Antikommunismus vor, die von Adenauer über Vertriebenenverbände bis zur katholischen und evangelischen Kirche reichten und durchweg gründlich gearbeitete Einzelstudien erfahren. Creuzberger zeichnet ein genaues Porträt des wohl wichtigsten Akteurs des "staatlich gelenkten Antikommunismus" (87), nämlich des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen (BMG). Er streicht insbesondere die nicht nur mit Jakob Kaisers Namen verbundene Bedeutung der "deutschen Frage" heraus, aber auch die durch Amerika gesetzten Rahmensetzungen (rollback-, liberation-Politik). Zudem sensibilisiert der Autor für offene Forschungsfragen, so insbesondere nach dem Zusammenwirken der verschiedenen staatlichen Akteure wie Bundeskanzleramt und Verfassungsschutz neben dem BMG. Das KPD-Verbotsverfahren streift Rüdiger Thomas lediglich in seinem Beitrag zur Bundeszentrale für Heimatdienst. Dies mag zugleich als Mahnung verstanden werden, die weiterhin nicht frei zugänglichen Prozessakten nach fast 60 Jahren endlich für Forschungszwecke zu öffnen.
Der letzte Großabschnitt zu Alltagspraxis und Aktionen nimmt neben privaten Organisationen wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), Medien, Verlagsinitiativen (so Joseph Capar Witsch und das SBZ-Archiv), intellektuellen Interventionen (hier der Kongress für Kulturelle Freiheit sowie die Gruppe 47) und in "Westpaketen" gleichsam materialisierten politischen Leitvorstellungen auch eine staatlich restriktive Maßnahme wie die sog. "Kommunistenklausel" unter die Lupe. Letztere zielte darauf, wie Boris Spernol detailliert darlegt, ehemalige NS-Opfer, die sich nunmehr aktiv als Kommunisten engagierten, von Entschädigungsleistungen auszunehmen. Es mangelt indes an tragfähigen quantitativen Daten, um die faktische Reichweite dieser Exklusionsbestimmung genauer zu ermessen.
Die gesellschaftliche Durchdringungskraft des Antikommunismus in der frühen Bundesrepublik ist ohnehin schwer exakt zu bestimmen, wenngleich ein stärkerer Rückgriff auf demoskopisches Material manchen Aufschluss hätte geben können. Dass dies nicht geschehen ist, mag auch an der Dominanz einer akteurs- und symbolzentrierten Perspektive liegen, während der einstellungszentrierte, durch Meinungsforschung unterfütterte Ansatz der politischen Kultur kaum bedient wird. Aber auch auf diese Weise liefert der Band eindrucksvolle Belege dafür, wie wirkungsstark der Antikommunismus als "Grundrauschen" der Bundesrepublik bis etwa Mitte der 1960er Jahre blieb. Manchmal beruhte dies auf Fehlperzeptionen, auf die der Band wiederholt aufmerksam macht. Auch zeigt er, dass insbesondere die direkten Propagandaaktionen zwischen Ost und West regelmäßig das Gegenteil des Beabsichtigten erreichten. So stärkte der "Grotewohl-Brief" in der Bundesrepublik den parteiübergreifenden Konsens im kommunistischen Abwehrkampf und beförderten Befreiungsgruppen wie die KgU, das unterstreicht Bernd Stöver, eine Stabilisierung der DDR, auch indem sie mit zum Auf- und Ausbau des Staatssicherheitsapparats motivierten.
Das Kompendium ist insgesamt ein Beleg dafür, den Wert der viel geschmähten Kategorie des Sammelbandes nicht pauschal zu unterschätzen. Creuzberger und Hoffmann ist es gelungen, ein ganzes Themenfeld auf breitem Raum zu erschließen und klar gegliedert facettenreiche Forschungsminiaturen zu präsentieren, die (archiv-)quellenbasiert und auf dem neuesten Literaturstand argumentieren. Die Einleitung der Herausgeber sorgt ebenso wie das resümierende Kapitel Hermann Wentkers für Rahmung und Halt der Einzelergebnisse, die einen wichtigen Beitrag zur politischen Kulturgeschichte des Kalten Krieges liefern und den politisch aufgeladenen Begriff des Antikommunismus nüchtern historisieren.
Alexander Gallus