Antal Szántay: Regionalpolitik im alten Europa. Die Verwaltungsreformen Josephs II. in Ungarn, in der Lombardei und in den österreichischen Niederlanden 1785 - 1790, Budapest: Akadémiai Kiadó 2005, 490 S., ISBN 978-963-05-8219-3, EUR 40,00
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Mit dem Buch Regionalpolitik im alten Europa legt der ungarische Historiker Antal Szántay eine Essenz von Forschungen zu den Josephinischen Reformen vor, die ihn fast zwei Jahrzehnte lang beschäftigt haben. Das Ergebnis ist eine Monografie über die Reform von Verwaltungen im späten 18. Jahrhundert, die auf einer beachtlichen Menge an Quellen beruht und die Literatur unterschiedlicher Sprachen zu berücksichtigen hatte.
Mit seiner Fragestellung nach der Reform von Lokalverwaltungen in Ungarn, in der Lombardei und in den österreichischen Niederlanden unter Kaiser Joseph II. betritt Szántay wissenschaftliches Neuland. Obwohl ein direkter Vergleich zwischen jenen habsburgischen Ländern, die nicht zu den Erblanden gehörten, nahegelegen hätte, ist vorher noch kein systematisch angelegter Versuch unternommen worden, die Josephinischen Verwaltungsreformen in diesen drei Ländern zueinander in Beziehung zu setzen und auf mögliche Zusammenhänge und Interdependenzen hin zu analysieren. Auch wenn die Verwaltungsreformen Josephs II. in Ungarn nicht mehr als fünf Jahre, in der Lombardei allenfalls dreieinhalb Jahre und in den österreichischen Niederlanden nur knapp zwei Monate lang in Kraft waren, stellt Szántays Buch zweifelsohne eine wichtige Bereicherung zu Forschungen über Bürokratisierungsprozesse und über Reformabsolutismus oder Aufgeklärten Absolutismus im ausgehenden Ancien Régime dar. Dies gilt umso mehr, als die Josephinischen Reformen vom Autor völlig zu Recht in eine längere historische Tradition gestellt werden, die letztlich bis ins erste Jahrzehnt der Herrschaft von Maria Theresia zurückreicht und mit Justi, Haugwitz und Kaunitz verbunden werden kann.
Eine Bereicherung von Forschungen über frühneuzeitliche Bürokratisierungsprozesse und Aufgeklärten Absolutismus ist auch in den "Vorbildern" des 17. und 18. Jahrhunderts zu sehen, die Szántay ausführlich vorstellt - wenn auch in der Begrenzung auf Ungarn (verwirrender Weise unter der Überschrift "das italienische 'Einrichtungswerk'", 202-214). Die Anbindung an übergreifende Fragen historischer Forschung hätte noch deutlicher ausfallen können, wenn deutlich gemacht worden wäre, dass für Joseph II. die Zentralisierung und Vereinheitlichung von Lokalverwaltungen Teil eines umfassenderen Reformprogramms gewesen ist, das in seiner Gesamtheit die führenden Schichten und Institutionen der ständisch-korporativ verfassten Gesellschaften in den Ländern des Habsburgerreiches entmachten oder einer gewissen Modernisierung unterwerfen wollte. Leider werden kirchenpolitische Reformen, die früher allzu engführend mit dem Begriff "Josephinismus" gleichgesetzt wurden, oder Eingriffe in die Organisation der Freimaurer kaum angeschnitten; die Reform der Lokalverwaltungen betrachtet Szántay vielmehr relativ isoliert unter verwaltungsgeschichtlichen Gesichtspunkten. In dieser Fokussierung mag eine Stärke liegen, die zugleich allerdings eine Begrenzung der interpretatorischen Reichweite der Untersuchung darstellt.
Seine Forschungsergebnisse gewinnt Szántay auf einer sehr breiten Quellenbasis. Sein Buch ist Ausdruck einer lobenswerten Fleißarbeit, die ihn durch allerlei europäische Archive geführt hat. Trotz der Probleme, die eine höchst unterschiedliche Überlieferungslage mit sich bringt, ist es ihm gelungen, den Versuch einer Reform der Verwaltungssysteme in Ungarn, in der Lombardei und in den belgischen Provinzen gründlich zu analysieren. Bei der Auswertung der Quellenbestände hat der Autor gleichwohl nicht immer die Spreu vom Weizen getrennt. Manche Ausführungen sind ungemein detailorientiert; man hat den Eindruck, dass Szántay bei der Darstellung der Vorbereitung und Implementierung der Reformmaßnahmen kaum ein Element der behördeninternen Konsultationsprozesse auslässt. Selbst die Befindlichkeit von einzelnen Beamten hat Eingang in die Monografie gefunden. So erfährt man beispielsweise, dass "der erste Kanzlist [von Como] sosehr von Kopfweh und Kurzsichtigkeit geplagt [war], dass er bereits plante, den Dienst zu verlassen." (268) Auf derselben Seite wird minutiös aufgeführt, an welchen Tagen der Intendant von Cremona für wieviele Tage oder Wochen Urlaub beantragt hat, und etwas später wird die Geduld des Lesers oder der Leserin auf die Probe gestellt, wenn die Tische und Stühle der Brüsseler Intendanz einzeln vorgestellt werden (292 f.)! Ob solche und manch weitere detaillierte Ausführungen den wissenschaftlichen Ertrag der Untersuchung in angemessenem Maße heben, ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Eine Straffung der Darstellung und eine Konzentration auf die für den Ländervergleich wichtigen Aspekte wäre durchaus vertretbar gewesen und hätte der Lesbarkeit des Werkes sicherlich gut getan. Weniger wäre hier mehr gewesen - umso mehr, als bereits seit längerem zahlreiche Einzelaspekte der Josephinischen Reformen durch Quelleneditionen oder durch Sekundärliteratur zuverlässig erschlossen worden sind.
Angesichts der Detailfreudigkeit vermisst man eine Zusammenfassung, die die analysierten Versuche zur Reform von Verwaltungssystemen in drei sehr unterschiedlichen Territorien des habsburgischen Reiches strukturiert zueinander in Beziehung gesetzt hätte. Komparatistische Ansätze sind zwar sporadisch vorhanden, beispielsweise wenn Ungarn und die Lombardei (105 f.) oder die Lombardei und die österreichischen Niederlande unmittelbar miteinander verglichen werden (154 f.). Dabei hätte der letzte Halbsatz des Buches als Kern einer Quintessenz dienen können: "die regionale Vielfalt der Habsburgermonarchie sprengte den Rahmen der zentralisierten Gleichförmigkeit" (318). Bei dieser kryptischen Aussage bleibt es, eine Zusammenfassung muss man sich als Leser selber zusammensuchen.
Für weitere Forschungen könnte die Frage reizvoll sein, inwieweit die konkrete Durchführung der Josephinischen Reformen in den drei ausgewählten Ländern der Habsburgermonarchie durch Interaktivität zwischen einheimischer Bevölkerung und der Bürokratie beeinflusst worden ist. Szántay, dessen Buch in hohem Maße aus der Perspektive Josephs II. und seiner Beamten in Wien und vor Ort geschrieben ist, gibt hierzu Hinweise, die eine Vertiefung und Ausweitung vertragen. Widerstand gegen die Josephinischen Verwaltungsreformen wird bei ihm in inner-administrativen Stellungnahmen deutlich, etwa wenn Beamte der Ungarisch-Siebenbürgischen Hofkanzlei unter der Federführung von Graf Ferenc von Esterházy 1785 mit einer von traditionell ständischen Vorstellungen geleiteten Stellungnahme der kaiserlichen Reformpolitik Sand ins Getriebe streuten (70 ff.). Selbst Szántays Kapitel über die Brabantische Revolution, also "Die Krise", die das Verwaltungssystem Josephs II. spätestens im Herbst 1789 in den belgischen Provinzen Makulatur werden ließ, ist zu einem großen Teil auf das Statthalterpaar Maria Christina und Albert von Sachsen-Teschen konzentriert. Dabei lassen die Forschungen zur Brabantischen Revolution das Wechselspiel zwischen der staatlichen Administration und den Repräsentanten der betroffenen Bevölkerung sehr viel plastischer zu Tage treten, als dies bei Szántay ersichtlich wird. Dies herauszuarbeiten, birgt zusätzliches Potential für die Gesamtinterpretation der Josephinischen Reformen.
Es verdient Anerkennung, dass der ungarische Autor sein Buch auf Deutsch veröffentlicht hat. Gleichwohl wäre es angebracht gewesen, wenn ein Muttersprachler den deutschen Text vor der Drucklegung Korrektur gelesen hätte, was offenbar nicht geschehen ist; andernfalls hätten sich zahllose sprachliche Fehler vermeiden lassen. In diesem Zusammenhang mutet es fast wie eine Ironie an, dass ausgerechnet das Wort "sorgfältig" an genau jener Stelle einen Trennungsfehler aufweist, an dem der Autor im Vorwort dem Verlag für die "sorg-fältige Arbeit" dankt.
Mit über 170 Seiten fällt der Anhang mit der Wiedergabe einzelner Quellen, mit Karten, Tabellen, Grafiken und dem Quellen- und Literaturverzeichnis überproportional umfangreich aus. Nach welchen Kriterien Vornamen im Personenregister aufgeführt werden, ist nicht ersichtlich.
Trotz vermeidbarer technischer Unzulänglichkeiten, trotz der Überfrachtung der Darstellung mit Details von bisweilen zweifelhafter historiografischer Relevanz und ungeachtet der wissenschaftlichen Grenzen, die Szántays Untersuchung besitzt, kommt seiner gründlich recherchierten Studie das Verdienst zu, die Reform von Lokalverwaltungen in den habsburgischen Besitzungen in Ungarn, Norditalien und in den belgischen Provinzen unter Kaiser Joseph II. umfassend analysiert zu haben. Damit liefert die Arbeit Innenansichten zu einer Zeit, in der der Aufgeklärte Absolutismus sich anschickte, zur Hochform aufzulaufen. Wie dieser Anlauf in Wien und den drei ausgewählten Ländern konkret aussah, ist Gegenstand von Regionalpolitik im alten Europa. Ob sein Scheitern auf mögliche innere Widersprüche des Aufgeklärten Absolutismus, auf die Einflüsse, die das Revolutionszeitalter auf die Staaten des Ancien Régime hatte, oder auf eine Kombination von inneren und äußeren Umständen zurück zu führen ist, bleibt außerhalb der Betrachtung des Buches. Es lässt somit Raum für weiterführende Fragen zu einer Zeit des Umbruchs in Europa.
Johannes Koll