Peter E. Fäßler: Durch den 'Eisernen Vorhang'. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949-1969 (= Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien; Bd. 14), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2006, VII + 335 S., ISBN 978-3-412-28405-3, EUR 32,90
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Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen sind auf der Grundlage des nach 1990 zugänglichen Archivmaterials bisher kaum erforscht worden. Daher ist es besonders zu begrüßen, dass Peter E. Fäßler seine Habilitationsschrift den Handelsbeziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten in den Fünfziger- und Sechzigerjahren widmet. Sein Ziel besteht darin, "die politische Bedeutung der deutsch-deutschen Handelsbeziehungen, d. h. des Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs, unter Einbeziehung der west- wie ostdeutschen Perspektive zu ergründen" (3). Es geht ihm also nicht um eine reine Wirtschaftsgeschichte, sondern um das spannende Problem der Interdependenz von Wirtschaft und Politik im Zusammenhang mit den innerdeutschen Handelsbeziehungen. Dabei versucht er, die Perspektive der Bundesrepublik wie der DDR gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Arbeit basiert auf den einschlägigen west- und ostdeutschen Archivbeständen, die vornehmlich im Bundesarchiv lagern.
Fäßler setzt mit seiner Darstellung zwar 1945 ein. Die Jahre bis 1949 sind für ihn jedoch nur die Vorgeschichte des durch die erste Berlin-Krise unterbrochenen, im Mai 1949 wieder aufgenommenen und mit dem Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949 auf eine vertragliche Grundlage gestellten Interzonenhandels. Wenngleich die Untersuchung pro forma mit dem Jahr 1969 endet, ist deutlich zu spüren, dass der Elan des Autors mit Beendigung der zweiten Berlin-Krise nachlässt. Die Jahre 1962 bis 1969 werden nur noch relativ kursorisch auf 30 Seiten abgehandelt, was zum Teil auf die im Vergleich zu den Fünfzigerjahren weniger ereignis- und konfliktreiche Entwicklung des innerdeutschen Handels zurückzuführen ist. Dass als Endpunkt der Untersuchung 1969 gewählt wurde, leuchtet zwar insofern ein, als mit dem Amtsantritt der sozial-liberalen Koalition der innerdeutsche Handel endgültig nicht mehr durch innerdeutsche politische Verwerfungen gefährdet war; näher begründet wird diese Zäsur mit Blick auf etwaige neue Grundlinien der innerdeutschen Handelspolitik jedoch nicht.
Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die SBZ waren 1945 nicht schlecht; diese war aber aufgrund der wirtschaftsstrukturellen Disproportionen (vor allem wegen des Mangels eigener Rohstoffe) in einem höheren Maße auf den Handel mit den Westzonen angewiesen als umgekehrt. Ihre Situation verschlechterte sich in den folgenden Jahren stärker als die der Westzonen aufgrund der harten sowjetischen Reparationspraxis, der Weichenstellungen in Richtung Zentralplanwirtschaft und der beginnenden Integration in den rückständigen osteuropäischen Wirtschaftsraum. In den Ausführungen zu den Akteuren im innerdeutschen Handel in Ost- und Westdeutschland werden die Parallelen ebenso deutlich wie die Unterschiede. Beide Regierungen unterlagen auch in Fragen des innerdeutschen Handels der Oberhoheit der Westmächte bzw. der Sowjetunion. Die Akteure in Westdeutschland - Wirtschaftsministerium, Bundeskanzleramt, Auswärtiges Amt, Wirtschaftsverbände - hatten indes eigenes politisches Gewicht, während in der DDR die SED-Führung letztlich den Kurs bestimmte.
Freilich weisen die Ausführungen zu den DDR-Strukturen einige Mängel auf. So hätte sowohl bei der Sowjetischen Kontrollkommission als auch beim DDR-Staatsapparat darauf verwiesen werden müssen, dass sie auf die SMAD bzw. auf die Zentralverwaltungen der SBZ zurückgingen und seit dieser Zeit auch formelle bzw. informelle Abhängigkeitsstrukturen zwischen beiden bestanden. Zu der bei der Regierung gebildeten Kommission für Außenhandel (75) fehlen nähere Auskünfte. Auch zu den Instanzen des Parteiapparats (ZK-Abteilungen "Handel, Versorgung, Außenhandel" und "Planung und Finanzen" sowie die Wirtschaftskommission beim Politbüro) wären bei Benutzung der neueren Literatur präzisere Informationen möglich gewesen. Außerdem werden hier einige unzutreffende oder zumindest unwahrscheinliche Behauptungen gemacht: So war Willi Stoph als DDR-Innenminister gewiss kein "enger Mitarbeiter des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl"; außerdem ist es höchst unwahrscheinlich, dass er "im Herbst 1952 geheime Kontakte ins BMWi [knüpfte], ohne darüber das Politbüro ins Bilde [sic] zu setzen" (78).
Die voraussetzungslose Skizze der DDR-Verhältnisse rächt sich in Kapitel 4, in dem es zunächst um die Verhandlungen geht, die zum Frankfurter Abkommen vom Oktober 1949 führten. Diese wurden am 15. Mai 1949 zwischen der westzonalen "Verwaltung für Wirtschaft" und der ostzonalen "Hauptverwaltung für Innen- und Außenhandel" aufgenommen. Dass letztere aus der Zentralverwaltung für Interzonen- und Außenhandel hervorgegangen und seit Februar 1948 Teil der Deutschen Wirtschaftskommission war, erfährt der Leser ebenso wenig wie die Tatsache, dass aus ihr nach der DDR-Gründung das für den innerdeutschen Handel zuständige DDR-Ministerium wurde. Insgesamt werden jedoch die Probleme der Wirtschaftsbeziehungen, die beiderseitigen Interessen, der Gang der Verhandlungen und deren Ergebnisse - das Frankfurter Abkommen vom Oktober 1949 und das Berliner Abkommen vom September 1951 - anschaulich präsentiert. Das Berliner Abkommen war ein Rahmenvertragswerk, innerhalb dessen Jahr für Jahr die Warenlisten neu ausgehandelt werden mussten. Damit war der innerdeutsche Handel auf eine dauerhafte, belastbare Grundlage gestellt worden.
In den Jahren 1951 bis 1958 wurden letztlich die Fundamente für den innerdeutschen Handel gelegt. Die Bundesregierung gelangte zu der Einsicht, dass eine "Politik der Stärke", wie sie mit der einstweiligen Aussetzung des Berliner Abkommens Anfang 1952 zum vorerst letzten Male praktiziert worden war, wirkungslos bleiben würde. In diesen Jahren setzte sich innerhalb der Bundesregierung das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) mit seiner der DDR entgegenkommenden Haltung durch. Das bedeutete, dass die Bundesregierung bereits seit Ende 1952 eine Handelspolitik betrieb, die eine Stabilisierung der DDR zum Ziel hatte. Nach 1953 kamen sich überdies das Ost-Berliner Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAI) und westdeutsche Unternehmerkreise näher, die ein rein ökonomisches Eigeninteresse am innerdeutschen Handel entwickelten. Die DDR versuchte erfolglos, Sonderinteressen in der Bundesrepublik, vor allem solche von einzelnen Bundesländern, durch "Sondergeschäftsangebote" zu nutzen, um die bundesdeutschen Akteure auseinander zu dividieren. Nicht zuletzt deshalb verlief der innerdeutsche Handel trotz einer dynamischen Entwicklung in den Jahren 1954 bis 1957 nicht störungsfrei. Dabei war es vornehmlich die DDR, die Konflikte provozierte. Fäßler geht detailliert auf die Auseinandersetzung um die von der DDR zum 1. April 1955 verkündete drastische Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühr ein, die vor allem dank westdeutscher Kompromissbereitschaft beigelegt werden konnte. Insgesamt wird aus der Darstellung deutlich, dass in der Bundesrepublik das Interesse an der Aufrechterhaltung des innerdeutschen Handels eher politisch als ökonomisch motiviert war, während die DDR wirtschaftlich profitierte, ihre Zielsetzung, über handelspolitische Kontakte und Vereinbarungen mit bundesdeutschen Einrichtungen politisch aufgewertet zu werden, aber nicht realisierte.
Die Initiierung der zweiten Berlin-Krise (1958-1961) wurde von handelspolitischen Initiativen aus Ost-Berlin begleitet, die West-Berlin vom innerdeutschen Handel abkoppeln sollten. Diese standen jedoch eher in der Tradition der vergangenen Jahre als in einem unmittelbaren Kontext mit dem Berlin-Ultimatum: Dies geht schon daraus hervor, dass diese Angebote vor dem Berlin-Ultimatum vom 27. November 1958 unterbreitet wurden und Letzteres auf eine einsame Entscheidung Chruschtschows zurückzuführen war. Der innerdeutsche Handel auf der Grundlage des Berliner Abkommens blieb jedoch zunächst von der politischen Krise um Berlin unberührt. Ja, beide Staaten einigten sich sogar am 16. August 1960 auf ein revidiertes Abkommen, demzufolge die Warenlisten nicht mehr jährlich ausgehandelt werden sollten, sondern unbefristet festgelegt wurden. Bevor das revidierte Abkommen in Kraft treten konnte, kündigte die Bundesregierung das Berliner Abkommen am 30. September 1960 wegen wiederholter Behinderungen des Zugangs zu Berlin durch die DDR. Die Ursachen für diesen Schritt waren Fäßlers plausibler Argumentation zufolge weniger darin zu suchen, dass man glaubte, dadurch die DDR zu substanziellen Zugeständnissen bewegen zu können. Es handelte sich eher um ein Signal an die Alliierten, dass Bonn in der Berlinfrage zu harten Reaktionen bereit war. Darüber hinaus sah Adenauer darin die Möglichkeit, den Wirtschaftsminister gezielt zu schwächen. Die Bundesregierung nutzte des Weiteren die Chance, die westdeutschen Wirtschaftsverbände zu disziplinieren. Jedoch regte sich in der Bundesrepublik schon bald Widerstand gegen diesen Schritt, die Bundesregierung lenkte ein, und das revidierte Abkommen vom 16. August 1960 konnte zum 1. Januar 1961 doch noch in Kraft treten.
Gegenüber den Darlegungen zur bundesdeutschen Haltung fallen die zur DDR etwas ab. Hier wird lediglich darauf verwiesen, dass die DDR die Wiederaufnahme der Gespräche für einen erneuten Versuch nutzte, einen Keil zwischen Bonn und West-Berlin zu treiben (240). Fäßler vernachlässigt, dass auch die Sowjetunion, die bei ihren Lieferungen für die DDR an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stieß, auf eine Wiederaufnahme der Gespräche drängte. Freilich verweist er zu Recht darauf, dass die DDR-Führung die Abhängigkeit vom Westhandel vermeiden wollte und daher in dieser Zeit die so genannte "Störfreimachung" der eigenen Wirtschaft betrieb. Eher am Rande wird die Hauptursache für das Scheitern dieses Vorhabens erwähnt: Weder die Sowjetunion noch die anderen Ostblockstaaten wollten all die Lieferungen übernehmen, die die DDR durch den Abbruch der Handelsbeziehungen mit der Bundesrepublik verloren hätte.
Dem Schlusssatz, demzufolge die innerdeutsche Handelspolitik von deutschlandpolitischen Konjunkturen schon sehr frühzeitig weitgehend autonom wurde, ist zwar beizupflichten. Gerade hier hätte man sich jedoch etwas eingehendere Betrachtungen gewünscht. Denn die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen waren bei aller Autonomie wirtschaftlicher Prozesse politischen Einwirkungen ausgesetzt, die Fäßler in seiner Arbeit ja detailliert untersucht hat.
Hermann Wentker