Luise Schorn-Schütte: Historische Politikforschung. Eine Einführung, München: C.H.Beck 2006, 160 S., ISBN 978-3-406-55061-4, EUR 17,90
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Als eine Art Nebenfrucht eines Internationalen Graduiertenkollegs legt die Frankfurter Frühneuzeithistorikerin eine kleine Schrift - eine auf das Politische fokussierte historiographiegeschichtliche Analyse - vor, von der sie ausdrücklich hofft, dass sie "Widerspruch herausfordern wird". Er mag in Einzelheiten auch kommen, aber ihr Grundanliegen, die gegenwärtige Konjunktur einer (oft neu begründeten, auf die Paradigmen der politischen Kommunikation und der Kulturgeschichte des Politischen zurückgreifenden) historischen Politikforschung in die longue durée Annäherungen an das Politische einzuordnen, ist ebenso überzeugend wie erhellend.
Die Verfasserin holt für ihre Argumentation weit aus - bis hin zu Ranke und Jacob Burckhardt, also bis zu jenen Zeiten, als der Primat des Politischen begründet, zugleich aber (Burckhardt) die machtpolitische Ausrichtung des Staates einer ersten Fundamentalkritik unterzogen wurde. Für Deutschland wurde charakteristisch, dass der national und staatlich orientierte Blick auf den Primat des Politischen die "weitgehende Ausblendung sozialer und wirtschaftlicher Impulse in ihrer Wirkung auf das Handeln der Staatsindividuen" zur Folge hatte. Der von der sich formierenden Soziologie postulierten Trennung von Staat und Gesellschaft setzte Treitschke seinen Politikbegriff entgegen, eine umfassende Lehre vom Staat, der alle Lebenszwecke des Menschen integriert, also die Einheit von Staat und Gesellschaft. Neue Facetten brachten Meinecke mit seiner Zusammenschau von politischer und Ideengeschichte ins Spiel sowie Hintze mit seiner integrativen Verfassungsgeschichte, die neben der politischen Ideengeschichte auch den sozioökonomischen Rahmenbedingungen Rechnung trug. Die für Nachkriegsdeutschland charakteristische Debatte über den Primat von Innen- oder Außenpolitik, im europäischen Vergleich ein wirklicher Sonderweg, mündete in das Konzept einer mit Monopolanspruch auftretenden Gesellschaftsgeschichte. Schorn-Schütte vergleicht diesen deutschen Entwicklungsprozess mit den historiographischen Entwicklungen in den USA ("Progressive History"), in Großbritannien und in Italien - warum nicht mit dem sicher mindestens so reizvollen Frankreich? - mit dem Ergebnis, dass dort die Berechtigung einer eigenständig zu betreibende politischen Geschichte nie in Frage stand, vielmehr die Parallelität und Vielfalt der Forschungsrichtungen unbestritten war. In der englischen Geschichtsschreibung beispielsweise ist ein Hiatus zwischen politischer Geschichte und Ideengeschichte völlig unbekannt, weil sie eine Wechselwirkung zwischen Idee und politsicher Herrschaft annimmt.
Die Zwischenbilanz, dass Politikgeschichte überall als vielschichtig verstanden wurde, führt die Autorin zum Kern ihrer Schrift, dass sich nämlich die aktuellen Trends der internationalen Forschung, die auf eine Wiederbetonung des Politischen zielen, das Politische nun mit dem Schüsselbegriff der Kommunikation verbinden. Politik wird sozusagen als kommunikativer Raum verstanden, in den sich die verschiedenen neuen "turns" - Diskursanalyse, politische Semantik, Kommunikationstheorie - einbringen lassen, wobei allenfalls darüber kontrovers diskutiert werden könnte (und wird), ob Politik eher als Entscheidungshandeln politischer Führungsgruppen oder aber als Kommunikation über Herrschaft definiert wird. Wie auch immer: Politik wird von den verschiedenen methodischen Ansätzen unisono als ein kommunikativer Raum begriffen, dessen Füllung in verschiedenen historischen Epochen freilich unterschiedlich war. Die Autorin belegt das mit Beispielen aus ihrem engeren (frühneuzeitlichen) Forschungsbezirk mit dem Ergebnis, dass politische Kommunikation zwar mit je unterschiedlichen Methoden bearbeitet werden kann, in der Sache aber in allen Fällen die Historisierung des Politischen ermöglicht. Die historische Politikforschung auf der Basis der skizzierten methodischen Ansätze hat jedenfalls eine beachtliche Erweiterung des Forschungsblicks zur Folge, woran auch manche Einwände gegen das Konzept nichts ändern.
Es ist das Verdienst des kleinen Buchs, die aktuellen "turns" in die longue durée von Politikforschung seit dem frühen 19. Jahrhundert gestellt und im Modell des kommunikativen Raums einen Integrationsfaktor erkannt zu haben, der die verschiedenen theoretischen Ansätze zusammenführt und aus dieser Spannung heraus zusätzlich fruchtbar macht.
Heinz Duchhardt