C. Scott Dixon / Martina Fuchs (eds.): The Histories of Emperor Charles V. Nationale Perspektiven von Persönlichkeiten und Herrschaft (= Geschichte in der Epoche Karls V.; Bd. 6), Münster: Aschendorff 2005, 294 S., ISBN 978-3-402-06574-7, EUR 41,00
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Die Idee überzeugt sofort. Den Herrscher über siebenundzwanzig Königreiche, den Kämpfer gegen Frankreich, den Papst, die Osmanen und die protestantischen Reichsstände in den Blick zu nehmen von Seiten der vielen Kulturen, die sich ein Bild von ihm gemacht haben, das ist ein lohnendes Unterfangen. Karls Stellung ragte schon über die Wahrnehmungshorizonte seiner Zeitgenossen hinaus; bis heute tun Historiker und Historikerinnen sich schwer, auch nur die wichtigsten Bedeutungen seiner Herrschaft zusammen zu sehen. Da kann ein Vergleich helfen, wie der Kaiser in den vielen Gemeinwesen wahrgenommen wurde, die von seiner Herrschaft betroffen waren (jedes auf andere Weise); wie er in den historiografischen Traditionen gedeutet wurde, die aus jenen Gemeinwesen hervorgingen; wie diese Rezeptionsgeschichte weiterwirkt in die aktuelle Forschung. Einen solchen Vergleich zu ermöglichen, ist das Ziel des vorliegenden Bandes.
Die Schwierigkeiten, die das Unternehmen aufwirft, lassen sich erahnen. Sie beginnen bei der Suche nach Experten/Expertinnen und enden bei der Konkretisierung des Themas noch lange nicht. Scott Dixon und Martina Fuchs haben dreizehn Beiträge zusammen gebracht: Drei über die deutsche Auseinandersetzung mit dem Habsburger, je einen über die niederländisch/belgische, spanische, italienische, französische, englisch/schottische, skandinavische, ungarische, tschechische, polnische und osmanische. Einige werden nicht von Einheimischen dargestellt - was von Vorteil sein kann: Der Aufsatz von Christine Shaw über Karl V. und Italien gehört zu den besten des Bandes. Für die eidgenössische, die portugiesische, die lateinamerikanische Sicht, die Dixon und Fuchs gerne mitberücksichtigt hätten, fanden sich keine Bearbeiter/Bearbeiterinnen.
In jedem Aufsatz sollten fünf Themen behandelt werden: "historical traditions, national perspectives, debates and dialogues in the historiography, appraisals of the ruler and his reign, and the place of Charles V in modern scholarship" (1). Das lässt grossen Spielraum. Die Analyse der aktuellen Geschichtswissenschaft führt zum Forschungsbericht, die der Geschichtsschreibung zur Historiografiegeschichte, die der nationalen Perspektive zur Memoria, die der historischen Tradition zur Geschichtsdarstellung. Hätte man sich auf eines dieser Themen beschränkt, wären vermutlich einige Nationalhistoriografien heraus gefallen - zu verschieden ist schon die Intensität der Beschäftigung mit Karl. Sehr unterschiedlich sind die Beiträge dadurch ausgefallen.
Alfred Kohler macht aus dem seinen einen Forschungsbericht. Nach Bemerkungen zur Selbstdarstellung des Kaisers und den zeitgenössischen Quellen streift er die deutschsprachige Geschichtswissenschaft seit Ranke, um dann die Themen der Sammelbände wiederzugeben, die seit dem Jubiläumsjahr 2000 erschienen sind. Auch Arno Strohmeyer hat die aktuelle Forschung im Blick. Er untersucht, welches Gewicht die deutschen Biografen Karls V. seit Hermann Baumgarten dem Begriff der Universalmonarchie beimaßen. Er konstatiert, der Erkenntniswert des Begriffs werde relativiert, die Forschung wende sich anderen Fragestellungen zu. Martina Fuchs referiert die Sicht von deutschsprachigen Publizisten des 19. und 20. Jahrhunderts auf den Kaiser, ohne auf die politischen Konstellationen einzugehen, aus denen die Porträts hervorgingen. Durch den Zuschnitt dieser drei Beiträge fällt ausgerechnet das heraus, was man von der Analyse der deutschsprachigen Geschichtsliteratur als erstes erhofft: Wie Karls historiografische Deutung zusammenhing mit dem Kampf der Konfessionen im Reich, mit der Auseinandersetzung zwischen Habsburgern und Hohenzollern, mit der kleindeutschen Nationsbildung und der Selbstverständigung des ausgeschlossenen Österreich, darüber bleibt man unbelehrt.
Anders thematisiert Raymond Fagel die Auseinandersetzung der niederländischen und der belgischen Geschichtsschreibung mit Karl V. Fagel rückt die Memoria in den Mittelpunkt. In ihr, nicht in den Inhalten der Karlsdeutung, sieht er den entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Ländern. Auch José Martínez Millán zielt auf den Zusammenhang zwischen Politik und Wissenschaft. Dass Karl V. im Spanien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Fremdherrscher mit Missachtung gestraft wurde, veranlasst Millán dazu, den politischen Rahmen zu analysieren, aus dem die spanischen Geschichtsdeutungen der Moderne hervorgingen. Erst das Ribera-Regime und die Franco-Diktatur hätten eine Reichsidee propagiert, über die man den Habsburger in die spanische Geschichte zurückholte. Was ein Forschungsinteresse an Karl ohne solch imperiale Hispanisierung begründen könnte, sucht Millán zu beantworten. Sein Vorschlag dafür lautet, den Herrscher von seinem Hof her zu betrachten: verstanden als Hauswesen im aristotelischen Sinn, das eine bestimmte wirtschaftliche Grundlage umformt in eine spezifische Verwaltung und Politik.
Die folgenden drei Beiträge wenden die Themenvorgabe in Historiografiegeschichte. Sowohl Christine Shaw für Italien als auch David Potter für Frankreich und Scott Dixon für Großbritannien analysieren, wie Karl V. in den Geschichtswerken dargestellt wird, die zu seinen Lebzeiten entstanden (bei Guicciardini und Giovio, Guillaume und Martin du Bellay, Edward Hall und John Foxe) und wie sein Bild sich in den folgenden Jahrhunderten änderte. Frühneuzeitliche Geschichtsschreibung und moderne Geschichtswissenschaft werden unterschieden. Meisterhaft führen Shaw und Dixon die Spezifika der Karlsdarstellung auf die pragmatischen Interessen zurück, die hinter den verschiedenen historiografischen Genres standen; auf das politisch-historische Denken, das darin zum Ausdruck kam; auf dessen Wandel durch Konfessionsbildung und Aufklärung; auf die Etablierung der modernen Geschichtsforschung durch neue institutionellen Rahmenbedingungen. Am Leitfaden der Karlsdeutungen durchschreiten sie die neuzeitliche Historiografiegeschichte Frankreichs, Englands und Schottlands insgesamt. Mehr als nur über Karl V. kann der dankbare Leser hier lernen.
Dynastische Bande, Handelsinteressen und konfessionelle Entscheidungen machten Karl V. für die skandinavischen Länder bedeutsam, was dort, wie Jason Lavery zeigt, einige Forschung über ihn hervorgebracht hat. Die Ungarn streiten, so Zoltán Korpás, warum der Schirmherr der Christenheit ihnen nicht so engagiert gegen die Osmanen zu Hilfe kam wie man gehofft hatte. Die tschechische Geschichtswissenschaft stand Karl, wie Jaroslav Pánek referiert, so feindlich gegenüber wie den Habsburgern insgesamt; Gegenstand eigener Forschung ist Karl dort nie geworden. Das gleiche gilt für Polen, wie Natalia Nowakowska zeigt und in einer brillanten Analyse auf die Rivalität der Jagiellonen mit den Habsburgern zurückführt. Die Osmanen sahen in Karl, so Marlene Kurz, ein verderbtes Gegenbild zu ihrem glänzenden Sultan Süleyman oder dem Seehelden Hayreddin.
Wie man über die nationalen Einzelperspektiven hinausgelangen könnte, wird von den Herausgebern/Herausgeberinnen nicht diskutiert. Ihre luzide Einleitung läuft im Gegenteil auf ein Plädoyer für Pluralisierung und Fragmentierung hinaus. Auch wer Zweifel hat, ob damit das letzte Wort schon gesprochen ist - als Pionierleistung und Diskussionsanstoß ist der Band unbedingt zu empfehlen.
Johannes Süßmann