Rezension über:

David Blackbourn: The Conquest of Nature. Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, London: Random House 2006, xiii + 497 S., ISBN 978-0-224-06071-4, GBP 30,00
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Rezension von:
Verena Winiwarter
Institut für Soziale Ökologie, Universität Klagenfurt
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Verena Winiwarter: Rezension von: David Blackbourn: The Conquest of Nature. Water, Landscape, and the Making of Modern Germany, London: Random House 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 5 [15.05.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/05/10656.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Zur Geschichte des Rheins" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 5

David Blackbourn: The Conquest of Nature

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Ob David Blackbourn Graham Swifts Erzählung "Waterland" (dt.: Wasserland, Heinemann 1983; Zsolnay 1984) kennt, ist der Rezensentin nicht bekannt. Das Buch wird in der umfänglichen Literaturliste nicht erwähnt, schließlich handelt es sich um einen Roman, der in seriöser Geschichtsschreibung wohl kaum zur Referenzliteratur zählt, obwohl Blackbourn es versteht, literarische Quellen elegant einzubinden (so werden z. B. Goethe, Fontane und Grass im Quellenverzeichnis genannt). Und doch haben Blackbourns Studie und der um die nur wenig fließendes Wasser führende Ouse kreisende Roman Entscheidendes gemeinsam: Die Landschaft prägt in beiden Fällen die Geschichte, ist mehr als eine Folie, vor deren Hintergrund sich Geschichte abspielt, sondern spielt in dieser Geschichte ein eigene, wichtige Rolle. In den Worten Blackbourns: "This is a book about the reshaping of the German landscape that also tries to show how modern Germany itself was shaped in the process." (19). Im Gegensatz zu Waterland, dessen Geschichten sich so wenig linear bewegen wie das Wasser der Ouse, schält Blackbourn aus dem Umgang mit den Feuchtgebieten Deutschlands eine konventionellere, lineare Geschichte, die Geschichte der Trockenlegung und des Wasserbaus als Zähmung, als Eroberung der Natur, beginnend im 18. Jahrhundert, aber bis zu den Überschwemmungen von 1997 reichend. Das Ausmaß menschlicher Eingriffe und menschlicher Zerstörungskraft (vgl. etwa den Schlusssatz von Kapitel 3, 178) nimmt in diesem Zeitraum zu.

Blackbourn ist von Arbeiten zur deutschen Geschichte her zu seinem Thema gekommen. Er hat sich in die umwelthistorische Literatur eingelesen: Andersen, Brüggemeier, Sieferle [1], Radkau und Uekötter sowie Rita Gudermann sind neben Mark Cioc, Thomas Lekan und Thomas Zeller wichtige Referenzen in die Umweltgeschichte Deutschlands. Amerikanische Autoren wie John R. McNeill ebenso wie Richard White oder Don Worster (allerdings nicht das einschlägige Rivers of Empire), Clarence Glacken und Simon Schama finden sich ebenfalls. Blackbourn kennt den frühen Sammelband zur europäischen Umweltgeschichte von Peter Brimblecombe (leider im Literaturverzeichnis als Brindlecombe) und Christian Pfister ebenso wie Bernd Herrmanns gemeinsam mit Martina Kaup verfasste Studie zum Oderbruch. Theodore Steinbergs "Nature Incorporated" fehlt bedauerlicherweise. [2] Eine Anlehnung an diese sowohl rechts- als auch umwelthistorisch bemerkenswerte Studie der Flüsse Neu-Englands, insbesondere des Merrimack River im Prozess der Industrialisierung, hätte den Ansatz Blackbourns erweitern können. Überraschend ist, dass Blackbourn William TeBrake nicht rezipiert hat, der in seiner Studie zur mittelalterlichen Zähmung der Wasser in den heutigen Niederlanden (Rijnland) gezeigt hatte, wie früh in Europa bereits weitreichende Eingriffe in hydraulische Systeme erfolgt sind. TeBrake war es auch, der die Frontier-Hypothese, die von Frederick Jackson Turner Ende des 19. Jahrhunderts für die amerikanische Geschichte formuliert wurde, auf Europa übertragen hat, was dem Narrativ, dem sich Blackbourn verschrieben hat, entspricht. [3]

Soweit zur Einschätzung von Blackbourns Verbindungen zur umwelthistorischen Diskussion; nun aber zum Text selbst. Sechs Kapitel und ein Epilog umfassen 250 Jahre deutscher Geschichte. Friedrich der Große und das Projekt der Trockenlegung des Oderbruchs stehen am Beginn des Buches. Diese Trockenlegung ist Teil einer umfassenderen Agrar- und Peuplierungspolitik, von der in Blackbourns Buch nur am Rande die Rede ist. Die Einführung der Kartoffel wird nicht als ökologisches, sondern im Wesentlichen als militärisches Projekt diskutiert. Wichtig ist der Hinweis darauf, dass das Oderbruch keine leere Wildnis war, sondern eine dünn mit Fischerdörfern besiedelte Gegend. Die Fischerei wurde zugunsten der als höherwertig eingeschätzten Landwirtschaft aufgegeben, die Parallele zu von Rodung und Urbarmachung allerorts bedrohten "Ureinwohnern" liegt auf der Hand.

Das zweite Kapitel über die Regulierung des Rheins hat, wie das Erste, eine zentrale Person. Diesmal ist es Johann Gottfried Tulla, der Ingenieur, der Anfang des 19. Jahrhunderts für das größte Wasserbauprojekt Deutschlands, die Begradigung des Rheins, verantwortlich zeichnete. Das dritte Kapitel, in dem es um das "goldene Zeitalter" der Landschaftsveränderung ab etwa 1850 geht, bringt als einen Fall die (über Jahrhunderte dauernde) Umgestaltung der Jadebucht an der Wesermündung, dazu kommen die Drainage der Moore in Oldenburg und der Triumph des Dampfschiffes. Kapitel 4 beschäftigt sich mit Dammbauten in ganz Deutschland; das 5. Kapitel handelt Drainagevorhaben in den Pripet-Sümpfen und andere Projekte der Nationalsozialisten unter dem Titel "Race and Reclamation" ab; das 6. und letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Situation im Deutschland der Nachkriegszeit. Ein Epilog führt zurück zum Beginn der Geschichte, in das Oderbruch. Die durch das Hochwasser von 1997 aufgeworfene Frage, welches Land als Retentionsbecken für Überschwemmungen verwendet werden solle, dient Blackbourn als Schluss seiner Geschichte: Im Umgang mit der Natur am Fluss, einem "faustischen Kampf", wird es immer Verlierer geben.

Das Buch ist in der besten Tradition angelsächsischer Historiografie exzellent geschrieben, wissenschaftlich umfassend mit Belegen ausgestattet (man hätte sich bei den Endnoten eine Kopfzeile mit den passenden Seiten des Haupttexts, wie sie in vielen Werken üblich ist, sehr gewünscht) und argumentiert überzeugend. Es wird, wie Simon Schamas "Landscape and Memory", ein größeres Publikum mit umwelthistorischen Zugangsweisen bekannt machen.

Einige Ungenauigkeiten im Literaturverzeichnis, zumindest eine völlig unleserliche und daher sinnlose Abbildung (2) sowie eine Karte, von der wesentliche Teile im Buchfalz verschwinden, also einige ärgerliche, weil vermeidbare Kleinigkeiten sind anzumerken. Das Buch hätte inhaltlich gewonnen, wenn Blackbourn die Vorgeschichte seiner Geschichte besser integriert hätte. Hierzu nur ein Beispiel: Feddersen Wierde, ein über Jahrhunderte bewohnter eisenzeitlicher Siedlungsplatz an der Wesermündung ist dem Verfasser keine Erwähnung wert. Blackbourn weist zwar darauf hin, dass es einzelne menschliche Eingriffe in die Feuchtgebiete schon früher gegeben habe, argumentiert aber, dass sich das Ausmaß der Eingriffe so entscheidend geändert habe, dass man von einer neuen Situation sprechen müsse. Dieser Einschätzung kann man nicht widersprechen, eine Würdigung des Ausmaßes früherer Eingriffe würde aber den Eindruck vermindern, dass die Welt vor 1750 entscheidend 'natürlicher' gewesen sei, was für die europäische Situation so nicht stimmt. [4]

Insgesamt ist die Studie ein sehr gut lesbares, klassisch gebautes Geschichtswerk, in dem das gesellschaftliche Verhältnis zur Landschaft als zentrale Erzählung firmiert, das ereignisgeschichtliche Schwerpunkte setzt und einzelne Akteure (durchaus zu Recht) in den Vordergrund der Geschichten stellt. Was die Stellung des Buches innerhalb der Umweltgeschichte angeht, fällt die Beurteilung gemischter aus: Die Natur nimmt zwar, so schreibt es Blackbourn programmatisch, Einfluss auf die Politik, aber sie selbst bleibt dabei ein wenig unterbelichtet, das Buch bietet keine Weiterentwicklung umwelthistorischer Zugangsweisen. Als Brückenschlag zwischen politischer Geschichte und Umweltgeschichte ist es schon aufgrund der langen beschriebenen Zeitspanne bemerkenswert und jedenfalls weiterzuempfehlen.


Anmerkungen:

[1] Allerdings nicht Sieferles Studie zu den Naturtheorien der klassischen Ökonomie, die für das erste Kapitel sehr nützlich gewesen wäre: Rolf Peter Sieferle: Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt. Studien zur Naturtheorie der klassischen Ökonomie, Frankfurt am Main 1990.

[2] Theodore Steinberg: Nature Incorporated: Industrialization and the Waters of New England, New York 1991.

[3] William H. TeBrake: Medieval Frontier: Culture and Ecology in Rijnland, Texas 1985.

[4] Vgl. hierzu Richard Hoffmanns umfassenden Überblick über die Umgestaltung europäischer Flusssysteme: Economic Development and Aquatic Ecosystems in Medieval Europe, in: American Historical Review 101 (1996), 631-669, sowie Paolo Squatriti (Hg.): Working with Water in Medieval Europe: Technology and Resource Use, Leiden / Boston / Köln 2000; Petra van Dam: Sinking Peat Bogs: Environmental Change in Holland, 1350-1550, in: Environmental History, 6 (2001), 32-45; vgl. auch Petra van Dam: Gott schuf das Wasser, die Holländer Holland. Mythen und Fakten zum Wandel der Umwelt 1300-1600, in: FNZ-Info 12 (2001), 7-13.

Verena Winiwarter